
© Jacopo La Forgia
Christina Quarles im Hamburger Bahnhof: Das Gedächtnis der Muskeln
Gemalte Erfahrung. Die amerikanische Künstlerin macht in ihrer ersten Berliner Ausstellung ein neues Kapitel der Körperdarstellung auf.
Stand:
Christina Quarles malt nicht nach Modell. Sie malt auch nicht ihren eigenen Körper. Sie malt eine Erfahrung. Und zwar die, wie es sich anfühlt, mit den Zuschreibungen von außen nicht ganz übereinzustimmen. Als Tochter einer weißen Mutter und eines Schwarzen Vaters, bekam sie schon als Kind auf dem Spielplatz mit, dass ihre Identität nicht in feststehende Kategorien passt. Ihr Hautton ist hell, sie wird als weiß wahrgenommen. Ihre eigene Geschichte ist von außen nicht lesbar. Die Erfahrung, in starren Zuschreibungen gefangen zu sein, begegnete ihr, die sich als queer bezeichnet, noch in mehrerlei Hinsicht.
Diese Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit spiegelt sich auch in ihrer Malerei. Man sieht Figuren mit langen Gliedmaßen und abgeknickten, wie in einer Box eingesperrten Körpern. Meist zwei oder drei Schemen ineinander verschränkt. Meist von gemusterten Ebenen begrenzt, eine Horizontlinie hinter sich. Hier sind Mensch, Natur und Raum in absichtsvoller Uneindeutigkeit miteinander verwoben.

© Christina Quarles, Courtesy die Künstlerin und Hauser & WirthFoto: Tara Darby
Was wie ein Horizont wirkt, entpuppt sich als Linie, die Natur als Ornament. Auf rohe, beigeweiße Leinwand gemalt, spielen auch die vielen freien Stellen in den Gemälden eine wichtige Rolle. Was ist von der Linie umrissen, was schaut aus ihr hervor, was haben wir gelernt zu sehen, und was nicht? Das sind die Fragen, denen sich die Künstlerin malend und zeichnend stellt.
Widersprüche werden sichtbar
Ihr Auftritt im Hamburger Bahnhof ist die erste Einzelausstellung der in Los Angeles beheimateten Künstlerin in Deutschland, ihr erster großer Auftritt in Berlin sowieso. Die Direktoren des Hamburger Bahnhof, Sam Bardaouil und Till Fellrath, sehen es als Auftakt: Einzelpräsentationen von aufstrebenden internationale Künstler:innen sollen künftiger fester Bestandteil ihres Programms sein. Jeweils begleitet von einer handlichen Publikation mit Begleittexten und einem Interview, das die Ausstellungen dokumentiert. So trägt der Hamburger Bahnhof zu seiner Positionierung als Ort für Entdeckungen bei.
Ihr erster großer Auftritt in Berlin
Christina Quarles, 1985 in Chicago geboren, hat ihren Auftritt in Berlin gleich in mehrerlei Hinsicht auf die spezifischen Gegebenheiten abgestimmt und nicht einfach nur ihre neuesten Werke mitgebracht. Zentrales Element der Ausstellung ist eine ortsspezifische Installation, eine Art Raumtrenner aus bemalten Leinwänden, eine schräg in den Raum gesetzte Gemäldewand, durch die man die Ausstellung betritt.
Weitere Bilder sind hinter weißem Gaze-Stoff präsentiert und nur durch dessen Maschen hindurch wahrnehmbar. Die in den Gemälden thematisierte Eingrenzung kommt auch räumlich zum Ausdruck. Eine gelungene Setzung, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Man hat als Besucher den Impuls, den weißen Stoff wegschieben zu wollen, um den Blick freizubekommen.
Ihre eigenen meist großformatigen Gemälde präsentiert Quarles zusammen mit den Werken von sieben Künstler:innen, die sie selbst aus den Beständen der Sammlung des Hamburger Bahnhofs mit ausgewählt hat. Auch diese Werke lässt sie teilweise hinter dem Stoff verschwinden. Es sind ikonische Arbeiten der jüngeren Kunstgeschichte, die sich auf jeweils auf eigene Art mit Begrenzung und Einengung, Serialität und Normierung auseinandersetzen.
Eingesperrt in der Komposition des Bildes
In einem Raum ist Absalons Video „Solutions“ von 1992 zu sehen. Der Künstler entkleidet sich in einem weißen undefinierbaren Raum, setzt sich in eine Art Wanne, probiert die Möglichkeiten, sich in den Schranken dieses Nichts zu bewegen. Er versucht herauszufinden, was in dieser Umgebung mit seinem Körper noch möglich ist. Eine Isolation, die er ja selbst gewählt hat und in der die Betrachter nun Einblicke in sein Inneres bekommen. Charlotte Posenenske ist mit ihren genormten Industrieelementen aus Stahlblech dabei, die immer wieder neu zusammengesetzt werden können und in ihrer Varianz doch arg beschränkt sind. Kreative Freiheit trifft auf Serialität.
Das Maschinelle holt sich Christina Quarles ebenfalls in ihre Malerei hinein. Sie sagt selbst, sie verlasse sich beim Zeichnen der Figuren und Körper zunächst auf ihr „Muskelgedächtnis“. Die Proportionen und Formen des Körpers schreiben sich bei einer Zeichnerin wie ihr in die Bewegungen ihres Körpers ein, jahrelanges Training sorgt für routinierte Hände, die genau wissen, wie sie eine Gestalt aufs Papier bringen.
Distanz zu sich selbst schafft die Künstlerin, indem sie ihre Figuren abfotografiert und anschließend im Computer bearbeitet oder Linien, Hintergründe und Formen von der Software mitgestalten lässt. Diese bringt sie dann mit Schablonen auf die Leinwand. Das Ergebnis ist eine Mischung aus gestischen, aquarelligen Pinselstrichen, glatten, schablonierten Formen, zeichnerischen Linien. Es ist ein Ringen in diesen Bildern, eine Zartheit und Verbundenheit, die sich mit Verzweiflung und Eingrenzung paart.
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