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Comeback von Daniel Day-Lewis: Eine Masterclass des Oscar-Preisträgers
Eigentlich hatte Daniel Day-Lewis seinen Ruhestand angekündigt. Aber für das Regiedebüt seines Sohnes Ronan kehrt er vor die Kamera zurück. Passenderweise handelt „Anemone“ von einem Vater-Sohn-Konflikt.
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Der Filmemacher Ronan Day-Lewis ist ein verkappter Landschaftsmaler mit einem Hang zum Surrealen. Letzteres drängt sich in den Bildern des 27-Jährigen, viele davon überhöhte Alltagssituation, besonders durch die erratische Präsenz von geschwungenen Lichtwesen und eine kühl-distanzierte Ästhetik im Stil von Nachtsichtaufnahmen auf.
In seinem Regiedebüt bekommt Ronan Day-Lewis es mit einer ganz anderen Naturgewalt zu tun. Vater Daniel hatte sich vor sieben Jahren – nach seinem dritten Oscar und auf dem Höhepunkt seines Schaffens mit dem Regisseur Paul Thomas Anderson – eigentlich vom Kino verabschiedet. Sein „Comeback“ ist natürlich die Hauptattraktion von Ronans erster Regiearbeit „Anemone“, die, überaus passend, eine traumatische Geschichte von Vätern und Söhnen erzählt.
Man muss kein Fan von den Manierismen des Schauspielers Daniel Day-Lewis sein, in dessen sehnigem Spiel immer eine biblische Urgewalt anklingt. „Anemone“ nach zu urteilen, lässt sich der Eindruck auch nicht ganz entkräften, dass diese Art von theatralischer Männlichkeit, zwischen eloquenter Hybris und verdrängten Versehrungen, heute ein wenig aus der Zeit gefallen ist.
PT Anderson hat mit dieser autoritären Selbstgerechtigkeit, die viele der Rollen von Day-Lewis wie eine Aura umgibt, in dessen bisher letztem Film „Der seidene Faden“ noch ein hintergründiges Spiel getrieben. Für Sohn Ronan fungiert dieses robuste Profil nun als Fels in der Brandung eines hoch ambitionierten Wechsels von der Bildenden Kunst ins Regiefach.
Die verdrängten Traumata des Nordirlandkonflikts
Die Archaik des Vater-Sohn-Konflikts findet ihre Entsprechung in den irischen Wäldern, in die sich Ray Stokes (Day-Lewis) mit soldatischer Disziplin zurückgezogen hat. „Anemone“ filmt dieses wortkarge Mannsbild gleich zu Beginn in der Rückansicht beim Holzhacken. 20 Jahre lebt Ray abgeschieden von der Zivilisation; er ist derart eins mit der Natur, dass sein Instinkt jede Veränderung um sich herum wahrnimmt.
Plötzlich – Ray legt die Axt wieder seelenruhig beiseite und setzt erstmal Teewasser auf – steht sein Bruder Jem (Sean Bean) in der Tür, der sich in der Abwesenheit des Ehemanns und Vaters um Nessa (Samantha Morton) und den inzwischen 20-jährigen Brian (Samuel Bottomley) gekümmert hat.
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„Anemone“ ist ein Film weniger Worte und brütender Virilität. Brian hat diese Lektion von seinem abwesenden Vater gelernt. Mutter Nessa redet mit wachsender Verzweiflung gegen Wände. Jetzt ist Jem, das andere männliche Rollenmodell im Film, gefragt.
Er folgt (buchstäblich) den Standort-Koordinaten seines Bruders – beide waren als britische Soldaten in Nordirland stationiert –, um Ray davon zu überzeugen, dass nur er seinen Sohn wieder auf den rechten Weg zurückführen kann.
Der Junge hat einen Kameraden brutal zusammengeschlagen und kauert jetzt apathisch auf seinem Bett. Ihm droht ein Verfahren vor dem Militärgericht, eine Geschichte, die der als „Kriegsverbrecher“ verurteilte Ray lange hinter sich hat.
Die familiären Traumata reichen tief in „Anemone“, bis zurück in den Nordirlandkonflikt (auch ein Krieg unter Brüdern), der Spuren in Rays Seele hinterlassen hat. Der Wut und der Schmerz im volatilen Spiel von Day-Lewis umschließen die Geschichte fest, bis keiner der Figuren – und dem Film – noch Luft zum Atmen bleibt.
Vater und Sohn haben gemeinsam das Drehbuch geschrieben, aber seine (altmodischen) Qualitäten gewinnt der Film fraglos nicht durch das Skript, sondern aus Regie und Performance. Ronan filmt die Wälder als eine wolkenverhangene, mythische Urlandschaft, aus der Luft und der Perspektive des moosigen Untergrunds, durch den die Brüder beim Bonding auf der Jagd pirschen.

© Focus Features
Die irische Nationalfarbe besitzt in den Bildern von Kameramann Ben Fordesman (zuletzt „Love Lies Bleeding“), wohl nicht ganz zufällig, eine saftige Saturiertheit. Jedes Bild ist symbolisch aufgeladen, irgendwann steht auch Ronans Lichtwesen in der Dunkelheit an einer Wasserstelle.
Diese hypertrophe Visualität – eine nächtliche Plansequenz führt vorbei an einem erleuchteten Jahrmarkt direkt in den nächsten Pub – kontrastiert das asketische Spiel von Daniel Day-Lewis, der nach Jahren der Abwesenheit nochmal eine Masterclass in Method Acting absolviert.
Der Wunsch, den eigenen Vater stolz zu machen, ist der Inszenierung deutlich anzumerken. Es gibt dann auch ein paar Szenen, die es später mal in die Top Ten seiner Karriere schaffen könnten.
Zum Beispiel Day-Lewis und Bean beim Pogo in der einsamen Holzhütte, während sich die Kamera langsam in die Nacht zurückzieht. Besonders denkwürdig ist ein langer Monolog, in dem Ray seinem Bruder im Detail erzählt, wie er als erwachsener Mann in RAF-Uniform seinen Darm über dem Gesicht eines katholischen Priesters entleerte, der ihn als Messdiener sexuell missbraucht hatte.
Es ist ein unfassbar schweinischer Text, den Day-Lewis da mit sardonischem Grinsen vorträgt. „Glaubst du mir meine Geschichte?“, will Ray am Ende von Jem wissen. Aber es spielt eigentlich keine Rolle. Wenn Daniel Day-Lewis vor der Kamera steht, erschafft er immer noch seine eigenen Wahrheiten.
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