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Comedy hilft zu vergessen. Chelsea Handler gehört seit fast zwanzig Jahren zu den erfolgreichsten amerikanischen Komikerinnen.

© Imago/Crash/Imagespace

„Ohne Drogen wäre es gerade schwer erträglich“: Comedienne Chelsea Handler über Trumps USA

Die US-Komikerin Chelsea Handler hält sich mit ihrer Meinung nicht zurück. Ein Gespräch über amerikanische Politik, Comedy im Ausnahmezustand, Cancel Culture und ihren bevorstehenden ersten Berlin-Auftritt.

Stand:

Chelsea Handler gehört zu den hardest working women in der amerikanischen Comedy-Szene. Das deutsche Publikum kennt sie vielleicht aus ihren Comedy-Specials für Netflix oder durch ihre zahlreichen Auftritte in den Late-Night-Shows von Jimmy Kimmel, Seth Meyers und Stephen Colbert.

Ihre Anfänge hatte Handler in den 1990er-Jahren in der amerikanischen Stand-up-Szene, bevor sie 2006 mit ihrer Sketch-Show „The Chelsea Handler Show“ ins Fernsehen wechselte.

Ihr enthemmter Humor und ihr satirischer Blick auf die amerikanische Celebrity-Kultur und die US-Politik machten sie einem breiten Publikum bekannt. 2007 bekam sie mit „Chelsea Lately“ als erste Komikerin eine eigene Late-Night-Show, die sie bis 2014 moderierte.

Seit Ende April läuft auf Netflix ihr neues Comedy-Special „The Feeling“, in dem sie Alltagserfahrungen mit Beobachtungen über den gegenwärtigen Zustand Amerikas verbindet. Im Mai tourt Chelsea Handler mit ihrem neuen Programm „An Abroad Broad“ durch Europa und gastiert am 30. Mai im Punch Line Club in Berlin. Wir erreichen sie via Telefon morgens in Kalifornien, wenige Tage vor ihrer Abreise.


Chelsea Handler, Ihre kommende Europa-Tour hat den Titel „An Abroad Broad“, was mit „Tussi im Ausland“ noch schmeichelhaft übersetzt ist. Ist es gerade eine gute Zeit, um auf räumlichen Abstand zu Amerika zu gehen?
Das kann man wohl sagen. Ich mache erst mal ‘ne Fliege, mir wird es hier langsam zu brenzlig. 

Es ist nichts lustig an dem, was im Moment passiert – außer vielleicht der Tatsache, dass wir einen Haufen Trottel im Weißen Haus haben.

Chelsea Handler, US-Komikerin

Wie sieht die Situation in Amerika für eine überzeugte Demokratin und Komikerin aus? Sie denken vermutlich nicht darüber nach, Ihr Programm den politischen Umständen anzupassen?
Ich zensiere mich sicher nicht selbst. Ich denke, es ist immer eine Frage des richtigen Zeitpunkts und des richtigen Orts, um sich zu äußern; wir müssen inzwischen aber öfter abwägen, ob die Umstände gerade lustig oder ernst sind. Im Moment fühlt es sich leider sehr, sehr ernst an. Umso wichtiger ist es, aufzustehen und unserem Unmut darüber, wie lächerlich sich unsere Regierung verhält, lautstark Ausdruck zu verleihen.

Muss Comedy wieder ernster werden, um überhaupt noch erfassen zu können, was gerade vor sich geht?
Ich weiß nicht, ob das unbedingt etwas ist, worüber wir als Comedians uns die Köpfe zerbrechen sollten. Es gibt nichts Lustiges an dem, was im Moment passiert – außer vielleicht der Tatsache, dass wir einen Haufen Trottel im Weißen Haus haben. Familien werden auseinandergerissen, Menschen täglich abgeschoben.

Wenn ich nach Europa komme, werde ich natürlich über Amerika sprechen und mich bei unseren Verbündeten, die die meisten von uns ja weiterhin zu schätzen wissen, für mein Land entschuldigen.

Authentizität ist für einen Comedian alles: Auf der Bühne macht Chelsea Handler auch Witze auf eigene Kosten.

© Imago/Ryan Walter Wagner

Sie setzen sich für die Legalisierung von Drogen ein. Drogen helfen im Moment wahrscheinlich. 
Ja, ohne Drogen wäre es gerade schwer erträglich. Ich spreche in meinen Shows gerne über Drogen, die Vorteile der Mikrodosierung von LSD, MDMA und Psilocybin. Auch über die medizinischen Vorzüge, etwa bei der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen. Aber ich bin eine moderate Konsumentin.

Haben Sie inzwischen manchmal das Gefühl, bestimmte Witze nicht mehr erzählen zu können? 
Wegen Trump, meinen Sie? Ganz sicher werde ich mich für ihn nicht ändern. Dafür gibt es auch genug von uns. Es ist ja nicht so, dass ich die einzige Person hier bin, die Trump nicht leiden kann. Mehr als die Hälfte des Landes kann ihn nicht ausstehen. 

Es macht mich glücklich, wenn ich ins Publikum schaue und dort Menschen nebeneinandersitzen, die sich noch nie begegnet sind, sich einander umarmen und lachen. In der Zeit, die wir gerade durchleben, ist das unglaublich therapeutisch.

Chelsea Handler, US-Komikerin

Gerade läuft auf Netflix Ihr aktuelles Comedy-Special „The Feeling“. Netflix hat kürzlich auch ein Special mit dem Comedian Tony Hinchcliffe angekündigt, der im Wahlkampf der Republikaner aufgetreten war und viel Kritik eingesteckt hat, weil er Puerto Rico eine „Müllinsel“ genannt hat. Verändert sich die Comedy unter Trump gerade?
Es gibt inzwischen eine Reihe von Komikern in dieser Manosphäre, die Joe Rogans, die Tony Hinchcliffes. Aber das ist nicht „die“ Szene, ich muss diesen Leuten nicht über den Weg laufen. Sie ziehen unter Trump ihr Ding durch, das ist verstörend, aber auch nicht mein Problem. Ich habe gerade ein Panel für mein Netflix-Special abgehalten und mit Jamie Foxx, Roy Wood Jr. und Sarah Silverman gesprochen. Das sind Comedians, die ich respektiere.

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Zu Ihren Fans gehört dagegen die schwule Community, obwohl Sie in Ihren Shows gar nicht so viel queeres Material haben. Wie erklären Sie sich das?
Wahrscheinlich, weil ich mir für keinen Witz auf eigene Kosten zu schade bin. Ich mag nicht so wirken, aber ich bin mit einer Art Außenseitermentalität aufgewachsen. Wenn man mit dem Gefühl aufwächst, nicht gesehen zu werden oder ständig die Zielscheibe von Witzen wurde, fühlt man sich irgendwann isoliert. Und wenn man nicht versucht, das zu verbergen, erkennen sich die Menschen in einem wieder.

Authentizität ist für einen Comedian alles. Man muss wissen, wer man ist und wofür man steht. Trotzdem geht dieses Gefühl mangelnder Wertschätzung nie ganz weg. Und das ist nur eine Erklärung dafür, wie sich viele Männer in meinem Land gerade verhalten. 

Wir leben gerade in einem anderen Amerika, ich beobachte das mit äußerst gemischten Gefühlen.

Chelsea Handler, US-Komikerin

Sie sprechen in „The Feeling“ viel über Ihre Kindheit und das schwierige Verhältnis zu Ihrem Vater. Hat Humor auch eine therapeutische Funktion?
Es soll vor allem für mein Publikum therapeutisch sein. Es macht mich glücklich, wenn ich ins Publikum schaue und dort Menschen nebeneinandersitzen, die sich noch nie begegnet sind, sich einander umarmen und lachen. In der Zeit, die wir gerade durchleben, ist das unglaublich therapeutisch.

Sie erzählen auch eine sehr komische Anekdote über Andrew Cuomo, den ehemaligen New Yorker Gouverneur. Cuomo musste 2021 zurücktreten, weil ihm mehrere Frauen sexuelle Übergriffigkeit vorgeworfen hatten. Aktuell gilt er als aussichtsreicher Kandidat für das Amt des New Yorker Bürgermeisters. Was verrät sein Comeback über Amerika im Jahr 2025?
Wir leben gerade in einem anderen Amerika, ich beobachte das mit äußerst gemischten Gefühlen. Es laufen ja immer noch viele Anklagen gegen Andrew Cuomo. Aber ich denke, die Cancel Culture hat ihren Zenit überschritten, vielleicht ging sie auch etwas zu weit. Keine Frage, Menschen müssen für eine falsche Wortwahl und sexuelle Übergriffe zur Rechenschaft gezogen werden, doch sie sollten auch die Chance bekommen, Reue zu empfinden. Es gibt einen Unterschied zwischen jemandem, der sich am Arbeitsplatz unangemessen verhalten hat, und einem Mann wie Bill Cosby …

… über den Sie in „The Feeling“ ebenfalls sprechen …
Bill Cosby, der Frauen vergewaltigt hat. Mir fehlten da oft Nuancen in den Diskussionen. Und viele Leute, die „gecancelt“ wurden, stehen ja auch schon wieder auf der Bühne. Ich möchte daher nicht beurteilen, wie wirkungsvoll diese Bewegung war. Wahrscheinlich war sie aber mit ein Grund dafür, dass Trump wieder im Weißen Haus sitzt. 

Chelsea Handlers Comedy-Special „The Feeling“ läuft seit einigen Wochen auf Netflix. 

© Netflix/Jocelyn Prescod

Sie denken, die zweite Wahl von Trump war eine Trotzreaktion?
Die Aufhebung des Urteils „Roe v. Wade“ war eine direkte Folge der MeToo-Bewegung, davon bin ich überzeugt. Wir hatten zuvor auch schon einen Barack Obama, und die Reaktion unserer weißen patriarchalischen Gesellschaft lautete: „Oh, nein, so nicht.“ Ihre Antwort war 2017 dann Donald Trump. Wir bewegen uns von dem einen Extrem zum anderen Extrem. Wir können nur hoffen, dass unsere Gerichte und unsere Gesellschaft ihm die Stirn bieten – womit sie, wie kürzlich die Harvard-Universität, endlich anfangen.

Die Tatsache, dass die drei größten Tech-Unternehmen bei der Amtseinführung vor ihm niederknieten, hat nicht gerade dazu beigetragen, den Ton für den Widerstand gegen diese Regierung anzugeben. Aber man kann 300 Jahre nicht einfach so rückgängig machen, auch wenn sie das jetzt mit allen Mitteln versuchen. Es leben 340 Millionen Menschen in den USA, 90 Millionen von ihnen haben nicht einmal gewählt. Es gibt also eine Menge Leute, die das nicht einfach so hinnehmen.

Wir müssen realisieren, in was für einer sexistischen Gesellschaft wir immer noch leben. Sehen Sie nur, was die Republikaner mit den Rechten der Frauen machen.

Chelsea Handler, US-Komikerin

Sie erwarten also wieder eine Obama-artige Erlöserfigur nach Trump?
Ich halte es für wahrscheinlich. Sehen Sie nur AOC (die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez; Anm. der Redaktion), sie gewinnt an Momentum und ist inzwischen eine der beliebtesten Personen in der Demokratischen Partei. Vor fünf Jahren sagten noch alle, sie sei zu sozialistisch, jetzt wird sie gefeiert. Das sind Persönlichkeiten, die eine Zukunft in der Politik haben.

Hoffnungsträgerin für die US-Demokraten: Alexandria Ocasio-Cortez.

© AFP/Getty Images/David Dee Delgado

Warum scheint Amerika einfach nicht bereit zu sein für eine Präsidentin?
Es war ja knapp, jetzt schon zum zweiten Mal. Aber wir müssen realisieren, in was für einer sexistischen Gesellschaft wir immer noch leben. Sehen Sie nur, was die Republikaner mit den Rechten der Frauen machen. Die Männer in diesem Land fühlen sich von Frauen bedroht, die unabhängig sind, die keinen Mann brauchen, die keine Kinder haben wollen. Denn wenn wir beschließen, nicht zu heiraten und keine Kinder zu bekommen – wo bleiben dann die Männer? Dafür bekommen wir in Amerika gerade die Quittung. 

Ihre Mutter ist gebürtige Deutsche. Was erwarten Sie sich von Ihrem ersten Deutschland-Gig Ende Mai? Und gibt es einen Comedian, den Sie unbedingt kennenlernen möchten?
Sagen wir mal so: Ich bin offen dafür, meinen zukünftigen Ehemann in Deutschland zu treffen. Ich brauche einen wirklich guten Plan B für den Fall, dass Amerika komplett ins Chaos verfällt. Sagen Sie das bitte Ihren männlichen Lesern.

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