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Eine Szene aus „Ahmadjan und der Wiedehopf“

© Carlsen

Comic „Ahmadjan und der Wiedehopf“: Schmerzhafte Selbstfindung zwischen Kabul und Hamburg

Maren Amini hat in einer faszinierenden Bilderzählung die Lebensgeschichte ihres aus Afghanistan stammenden Vaters verarbeitet – und einen der besten Comics des Jahres geschaffen.

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Dass Afghanistan einst der Sehnsuchtsort westlicher Hippies war, ist aus heutiger Sicht kaum vorstellbar. Kabul, die Hauptstadt des von zahlreichen Kriegen zerstörten und seit gut drei Jahren wieder von den islamistischen Taliban-Terroristen beherrschten Landes, hatte vor gut 50 Jahren den Ruf einer weltoffenen Metropole.

Unter den Freigeistern und kreativen Menschen aus aller Welt, die es hierherzog, war damals auch ein junger Mann namens Ahmadjan Amini, der jetzt die Hauptfigur einer der faszinierendsten Bilderzählungen geworden ist, die in den vergangenen Jahren in Deutschland entstanden sind.

Geschaffen hat sie Ahmadjan Aminis Tochter, die renommierte Hamburger Illustratorin und Cartoonzeichnerin Maren Amini, deren Arbeiten unter anderem im „Spiegel“, der „Zeit“ und der „Washington Post“ erschienen sind.

Der Krieg lässt ihn nicht los: Eine Szene aus „Ahmadjan und der Wiedehopf“.

© Carlsen

In „Ahmadjan und der Wiedehopf“, ihrer ersten langen Comic-Erzählung, verknüpft sie die dramatische Lebensgeschichte ihres Vaters mit Elementen des persischen Versepos „Die Konferenz der Vögel“, das der islamische Mystiker Fariduddin Attar im 12. Jahrhundert verfasst hat.

Eine Szene aus dem Pandschir-Tal.

© Carlsen

Es erzählt von der Suche der Tiere nach einem legendären König, der ihnen den Ausweg aus einer Krise zeigen soll: Eine beschwerliche Reise, die die wenigen überlebenden Tiere am Ende zu sich selbst führt.

Rund 800 Jahre später gelingt Maren Amini das Kunststück, die poetische Geschichte mit der Biografie ihres Vaters zu verschmelzen, die sich selbst ein bisschen wie ein Märchen liest. Es ist der Lebensweg eines halbwaisen Hirtensohns aus dem Hindukusch-Gebirge, der unter widrigen Umständen aufwächst, eine Künstlerlaufbahn einschlägt, in Deutschland landet, hier eine Familie gründet und zeitlebens zwischen seiner verlorenen Heimat und dem neuen Zuhause hin- und hergerissen ist.

Immer wieder arbeitet Maren Amini Bilder ihres Vaters ein, hier eine Szene mit ihrer Mutter und dem in seiner Kunst verschwindenen Ahmadjan Amini.

© Carlsen

Maren Amini vermittelt diese komplexe, von Widersprüchen und schmerzhaften Wendungen geprägte Biografie mit einem hellen, freundlich wirkenden Zeichenstil, der einen zweifachen grafischen Kontrapunkt setzt – zum ernsten Thema des Buches wie auch zu den von traumatischen Lebenserfahrungen geprägten düsteren Gemälden des Vaters, die an mehreren Stellen als Teil der Erzählung zu sehen sind.

Diese zeichnerische Leichtigkeit irritiert anfangs, erweist sich aber dann im Lauf der Geschichte als perfekte Wahl. Denn neben Themen wie Entwurzelung, Angst, Gewalt und Verlust geht es in „Ahmadjan und der Wiedehopf“ auch um die menschliche Widerstandskraft angesichts von unerträglich scheinenden Umständen, um einen unbändigen Lebenswillen und die Macht der Liebe.

Eine weitere Bildfolge aus dem besprochenen Buch.

© Carlsen

Maren Aminis fließende Linienführung ist aufs Wesentliche reduziert, großzügige Weißflächen lassen viel Raum, in dem die Figuren vor meisterhaft gezeichneten Wasserfarben-Kulissen gut zur Geltung kommen. Souverän lässt die Künstlerin Menschen, Tiere und Landschaften in einem oft an Traumsequenzen erinnernden Stil lebendig werden.

Ihre leicht karikierend überzeichneten Figuren sind mit souveränem Minimalismus zu Papier gebracht, der an französische Meister wie Jean-Jacques Sempé („Der kleine Nick“) oder die einstige „Charlie-Hebdo“-Zeichnerin Catherine Meurisse erinnert. Je nach Gefühlslage der Hauptfigur sind die Linien, mit denen Amini ihren Vater zeichnet, mal kräftig und schwungvoll, dann wieder zittrig und fragil.

An vielen Stellen kommen kreative Bildmetaphern hinzu, die die Gefühle von Ahmadjan Amini auf seiner langen, von weisen Vogelfiguren geleiteten Odyssee sowie seine mehrfach radikal wechselnden Lebensumstände anschaulich vermitteln. Dazu passt der mit leichtem Humor durchsetzte, Tragisches oft nur andeutende Erzählton der Autorin, der zwischen Fabel-Stil und realistischer Schilderung changiert.   

Das Titelbild des besprochenen Buches.

© Carlsen

Entstanden ist das Buch, das mit einem Comicbuchpreis der Berthold-Leibinger-Stiftung gefördert wurde, aus einer Notwendigkeit heraus, wie Maren Amini in einem Interview erzählt hat: „2021, als die Taliban die Macht in Afghanistan übernahmen, wurden bei meinem Vater alte Narben aufgerissen.“

Seine Tochter und er wollten „unbedingt etwas gegen dieses Gefühl der Ohnmacht tun und etwas schaffen, das uns guttut“, sagt die Zeichnerin. Sie wollten an ein Afghanistan erinnern, „das von gesellschaftlicher und kultureller Vielfalt geprägt war – und sich „als Vater und Tochter im künstlerischen Dialog näherkommen“.

Das Ergebnis ist eine Graphic Novel, die sich durchaus mit international gefeierten Vertretern der Kunstform wie „Persepolis“ oder „Der Araber von morgen“ messen kann. Bei der vierteljährlichen Kür der besten Comic-Neuerscheinungen im deutschsprachigen Raum durch 30 Kritikerinnen und Kritiker wurde das Buch daher konsequenterweise auf den ersten Platz gewählt.

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