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Familienbande: Eine Szene aus „Bella Ciao“.

© Edition 52

Comicautor Baru über Immigration und prekäre Arbeit: „Sie leben wie zwischen Hammer und Amboss“

In „Bella Ciao“ behandelt der Comiczeichner Baru das Schicksal von Einwanderern am Beispiel seiner eigenen Vorfahren. Im Interview erklärt er die Hintergründe.

Man hat bei „Bella Ciao“ (Edition 52, 136 S. 20 €), dem Titel des neuen Buches von Comiczeichner Baru, („Autoroute de Soleil“, „Hau die Bässe rein, Bruno!“, „Elende Helden“ ) natürlich sofort die schön-schmissige Melodie im Kopf und denkt wahlweise an Lagerfeuer oder Club, je nach Generation, und natürlich an Partisanen.

Tatsächlich wird der Ursprung des berühmten Lieds im Comic bei Arbeiter_innen verortet, die es langsamer und natürlich mit einem anderen Text intoniert haben sollen, aber auf den ersten Seiten des Comics geht es doch sofort mit Gewalt los.

Bei Auseinandersetzungen um Arbeitsplätze kommen am Ende des 19. Jahrhunderts mehrere italienische Einwanderer ums Leben, erschlagen von ihren einheimischen Konkurrenten. Im Durcheinander sind die Unterschiede zwischen den Gruppen nicht gut zu erkennen. Man meint, die Menschen schlagen einander die Köpfe ein, „weil die einen die einen und die anderen die anderen sind“ (Wiglaf Droste).

Vermutlich sind für Baru ihre Gemeinsamkeiten als Ausgebeutete und Leidtragende ungerechter Arbeitsbedingungen wichtiger als ihre Herkunftsunterschiede – sie selbst erkennen dies oft nicht, damals genauso wenig wie heute.

Auf diese Episode folgen andere, die wie zusammengelegte Puzzlestücke langsam ein Bild ergeben. Dies ist nicht ganz einfach zu lesen, weil Text und Bild oft unterschiedliche Erzählstränge verfolgen und Baru auch Dokumente und anderes einstreut (leider oft nicht aus dem Italienischen oder Französischen übersetzt).

Eine Hommage an Großvater und Vater

Darüber hinaus variiert Baru auch seine zeichnerische Herangehensweise für die einzelnen Episoden, von der anfänglichen schwarz-weißen Dynamik der Kampfszenen über die farbenprächtige Darstellung eines Familienfests und eines Urlaubs hin zu einer skizzenhaft angedeuteten Küchenszene, die den Künstler selbst bei der Pasta-Herstellung zeigt.

Doku-Comic: Eine Doppelseite aus „Bella Ciao“.
Doku-Comic: Eine Doppelseite aus „Bella Ciao“.

© Edition 52

Zwischendurch nutzt Baru Schwarz-Weiß, um verschiedene Zeitebenen anzuzeigen. Sein Stil, die gummiartigen Körper und die markanten Gesichter, ist dabei immer unverkennbar.

„Bella Ciao“ ist eine auf drei Bände angelegte Hommage an Barus Großvater und den früh verstorbenen Vater, welche aus Italien nach Frankreich migrierten, und denen durch harte und schmutzige Arbeit in den Stahlwerken und Fabriken Lothringens Aufstieg und Integration ihrer Familien gelang.

Sie kommen allerdings nicht direkt als Protagonisten vor, sondern allegorisch in vielen Figuren und Bezügen. Baru bedient sich für seinen Comic bei vielen verschiedenen Einwanderergeschichten und verwendet auch visuelle Referenzen, zum Beispiel an Robert Capas Fotografien aus dem spanischen Bürgerkrieg.

Vor allem geht es ihm darum, anzuerkennen, dass die ersten Generationen von Einwanderern mit Arbeit und Demütigungen den Preis dafür bezahlt haben, „damit wir dazu gehören können“. Sein „Lob für das Genie des Proletariers“ erstreckt sich aber sogar auf die Erfindung eines Küchenwerkzeugs für die heimische Pasta-Produktion für die großen Familienfeste.

Im Gespräch macht Baru klar, dass es ihm auch darum geht, darauf hinzuweisen, dass die Welt der Arbeit angesichts von Neoliberalismus und Prekarisierung den Einwanderern heute weniger kollektive Pfade zu Aufstieg und Integration bietet und das dementsprechend die Rede von der früheren „guten Einwanderung“ aus Italien eine Verklärung ist.

Eine weitere Szene aus „Bella Ciao“.
Eine weitere Szene aus „Bella Ciao“.

© Edition 52

Hier eine gekürzte Fassung des Interviews mit Baru:

Tagesspiegel: „Bella Ciao“ kennen wir als Partisanenlied, aber im Comic wird sein Ursprung als Arbeiter_innenlied gezeigt. Hat der Comic einen Bezug zur heutigen Welt der prekären Arbeit?
Ja, ich habe das Buch auch aufgrund der heutigen prekären Situation geschrieben. Für die französische Gesellschaft ist das Thema Immigration zentral. Immigration ist in Frankreich älter als in Deutschland und wird heute als Problem behandelt. Es geht aber darum, dass Arbeit als zentraler Weg für Migranten, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden, heute nicht in gleicher Weise zur Verfügung steht wie für meinen Großvater und Vater, die aus Italien kamen. Für sie war Arbeit ihre „raison d’être“, obwohl sie hart und schmutzig war. Und ich habe die Früchte dieser Arbeit geerntet. Das Buch ist deshalb auch eine Hommage an meinen Großvater und an meinen Vater, der schon mit 58 verstorben ist.

Klassenkampf: Eine Szene vom Beginn des Buches.
Klassenkampf: Eine Szene vom Beginn des Buches.

© Edition 52

Welche Erfahrungen haben die italienischen Migranten in Frankreich gemacht, die in „Bella Ciao“ beschrieben werden?
Es gab damals zwei gegensätzliche Positionen unter diesen Einwanderern: Die einen wollten in ihr Heimatland zurückkehren, die anderen wollten das nicht. Meine Großeltern haben sich langsam von einem Pol zum anderen bewegt, wegen ihrer Kinder und Enkel. Der Schlüssel dafür war, offen leben zu können – mit den eigenen kulturellen Praktiken, also draußen sein, sich viel austauschen. Am Ende stand bei vielen eine De-Christianisierung, sie haben die Religion zugunsten des Kommunismus aufgegeben, auch wegen der schmutzigen und harten Arbeit.

Welche Rolle spielt Religion heute?
In der Industrieregion Lothringen, wo ich aufgewachsen bin, gab es aufeinanderfolgende Wellen von Immigration, erst Italiener, dann viele Maghrebiner – meine Kindheits- und Jugendfreunde. Deren Eltern haben sich auch vom Islam entfernt. Für sie selbst ist die Rückkehr in die Heimat ihrer Eltern keine Option – sie sind Franzosen und ihre Heimat ist Frankreich – und deshalb ist ihre Rückkehr zur Religion eine Reaktion auf die Marginalisierung und gesellschaftliche Gewalt, die sie erleben. Sie leben wie zwischen Hammer und Amboss. Wie gesagt, Arbeit ist der Schlüssel und die fehlt. Mein Vater konnte weder lesen noch schreiben, aber die schmutzige Fabrikarbeit hat ihm einen Aufstieg ermöglicht, der heute so nicht mehr möglich ist – es fehlen die Pfade dafür. Ich habe „Bella Ciao“ auch gemacht, weil man in Frankreich heute den Migranten die Schuld gibt, insbesondere denen aus dem Maghreb. Gleichzeitig wird die „schöne Immigration“ der Italiener verklärt – dazu sage ich: Nein!

Das Titelbild des besprochenen Buches.
Das Titelbild des besprochenen Buches.

© Edition 52

Wie kann die Situation verbessert werden – durch Gewerkschaften zum Beispiel?
Nach dem Krieg haben die Gewerkschaften und die Kommunistische Partei eine Schlüsselrolle dabei gespielt, sie waren Werkzeuge der Integration. Heute sind sie dafür zu schwach, der Neoliberalismus hat das Band der Gesellschaft zerstört. Ich bin da pessimistisch. Natürlich gibt es immer noch individuelle Aufstiege über Bildung, aber eben nicht für die Masse der Menschen. Der Erzähler in „Bella Ciao“ ist sogar an der Zerstörung der Fabrik beteiligt, in der sein Vater gearbeitet hat – auch das ist Teil der Entwicklung.

Hat die Pandemie eigentlich beim Comiczeichnen eher geholfen – mangels Abwechslung?
Das Zeichnen erfordert Disziplin, ja. Man muss am Tisch bleiben! Aber das erzwungene Zuhausebleiben in der Pandemie hatte für mich keinen Vorteil – weil ich mich gegen das Erzwungene innerlich auflehne. Ich will die Isolation und Disziplin am Zeichentisch lieber selbst wählen.

(Redaktioneller Hinweis: Band 2 von „Bella Ciao“ soll in Frankreich im September 2021, Band 3 im September 2022 erscheinen – wenn es denn mit der Disziplin klappt.)

Thomas Greven

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