zum Hauptinhalt
Einige der Favoritentitel der Comicjury.

© Schaltzeit, avant, Carlsen

Die Tagesspiegel-Jury hat gewählt: Die besten Comics des Jahres 2022

Ernst und grotesk, humorvoll und reflektiert: Autorinnen und Autoren des Tagesspiegels haben ihre Comicfavoriten des vergangenen Jahres gekürt.

16 Graphic Novels, Alben, Anthologien und eine Mangareihe haben es in diesem Jahr auf die Comic-Bestenliste der Tagesspiegel-Redaktion geschafft. Zur Auswahl standen alle auf Deutsch veröffentlichten Comics der vergangenen zwölf Monate. Das hier sind die Top-Titel der Jury. Da einige von ihnen in der Abstimmung dieselbe Punktzahl erreichten, wurden die entsprechenden Plätze mehrfach vergeben.

1 Andi Watson: „Die Lesereise“, Übersetzung Ruth Keen, Schaltzeit-Verlag, 268 S., 25 €

Der Brite Andi Watson erzählt in „Die Lesereise“ die Geschichte eines erfolglosen Romanautoren, der in einen absurden Kriminalfall hineingezogen wird. „In seinen schwarzweißen Zeichnungen – sparsam bei Figuren und den pointierten Dialogen, voller Details bei Architektur, den vollgestopften Regalen der Buchläden oder den schäbigen Hotelzimmern – treibt Watson die Geschichte gemächlich ins immer Groteskere - wunderbar“, urteilt Tagesspiegel-Autorin Barbara Buchholz.

Sich selbst überlassen: Eine Szene aus „Die Lesereise“.
Sich selbst überlassen: Eine Szene aus „Die Lesereise“.

© Schaltzeit, Übersetzung Ruth Keen


2 Birgit Weyhe: „Rude Girl“, avant, 312 S., 26 €

In diesem Buch setzt sich die Hamburger Zeichnerin, die einige Jahre auch für den Tagesspiegel gearbeitet hat, mit der außergewöhnlichen Biografie von Priscilla Layne auseinander, einer afroamerikanischen Germanistik-Professorin mit karibischen Wurzeln. Dabei verhandelt sie auch ihre eigene Rolle als Erzählerin und hinterfragt, „ob und wie sie als Weiße überhaupt Schwarze Geschichte erzählen kann“, wie Jurymitglied Lara Keilbart zusammenfasst. Das Ergebnis ist für sie „ein Meisterwerk auf allen Ebenen“.

Deutsch-amerikanischer Dialog: Eine Seite aus „Rude Girl“.
Deutsch-amerikanischer Dialog: Eine Seite aus „Rude Girl“.

© avant


2 Anna Rakhmanko, Mikkel Sommer: „Hinterhof“, Übersetzung Katharina Erben, avant, 128 S., 20 €

Dasa Hink ist Musikerin, Künstlerin – und Domina. „Selbstbewusst und offen erzählt sie hier von ihrem Beruf, reflektiert über Männlichkeit, Selbstbestimmtheit, Feminismus und die Rolle von Sexarbeit in unserer Gesellschaft“, fasst Tagesspiegel-Redakteur Moritz Honert zusammen. „Ihren Monolog, der vielen Klischees widerspricht, untermalt Mikkel Sommer mit stimmigen Bildern, die zwar mitunter explizit sind, aber trotzdem nie voyeuristisch oder gar bloßstellend.“

Eine Seite aus „Hinterhof“.
Eine Seite aus „Hinterhof“.

© Mikkel Sommer / avant


3 Flix: „Das Humboldt-Tier“, Carlsen, 72 S., 16 €

Für sein neues Comic-Album hat Zeichner Flix, der lange auch für den Tagesspiegel gearbeitet hat, das frankobelgische Fabeltier Marsupilami aus dem Amazonas ins Berlin der 1930er Jahre versetzt. „Das sprüht auf jeder referenzfreudigen Seite vor Comic-Magie“, lobt Juror Christian Endres. „Ein wunderschöner, warmherziger und zugänglicher Band, den man Groß wie Klein in die Hand drücken kann, um die Faszination für das Medium und seine Möglichkeiten zu vermitteln.“

Eine Seite aus „Das Humboldt-Tier“.
Eine Seite aus „Das Humboldt-Tier“.

© ©Flix/Dupuis/Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2022.


4 Aisha Franz: „Work-Life-Balance“, Reprodukt, 256 S., 20 €

In ihrer neuen Graphic Novel thematisiert die Berliner Zeichnerin die Abgründe der modernen Arbeitswelt. „Fesselnd, witzig, ironisch überspitzt und mit einem Hauch von Punk zeigt sie die unschöne Kehrseite des Millennial-Alltags zwischen Start-ups, kryptischen Job-Bezeichnungen und Selbstoptimierungsdruck“, schreibt Jurymitglied Rilana Kubassa. „Dabei erweist sich Franz einmal mehr als scharfe Beobachterin und starke Erzählerin.“

Sonderbare Therapeutin: Eine Szene aus „Work-Life-Balance“.
Sonderbare Therapeutin: Eine Szene aus „Work-Life-Balance“.

© Reprodukt


5 Barry Windsor-Smith: „Monster“, Übersetzung Jano Rohleder und Rowan Rüster , Cross Cult, 368 S., 40 €

Horrorstory, Drama, Thriller, Kriegsgeschichte – „Monster“ ist all das und noch viel mehr. Im Zentrum steht die Geschichte von Bobby Bailey, der durch ein Militärexperiment entstellt wird, sowie der ihn umgebenden Menschen. „Wie Winston-Smith hier klassischen Grusel mit dem Schrecken des Krieges, Trauma und Tragödie vermischt, ist nicht nur zeichnerisch, sondern auch erzählerisch meisterhaft“, urteilt Tagesspiegel-Redakteur Moritz Honert.

Familientragödie: Eine Szene aus „Monster“.
Familientragödie: Eine Szene aus „Monster“.

© Cross Cult


5 Virginie Despentes, Luz: „Vernon Subutex“, Übersetzung Lilian Pithan und Claudia Steinitz, Reprodukt, 304 S., 39 €

Der fließende Strich des einstigen „Charlie-Hebdo“-Zeichners passt perfekt zum rauschhaften Leben des Pariser Subkultur-Antihelden Vernon Subutex, das in dieser Adaption des Romans von Virginie Despentes beschrieben wird. Virtuos nutzt Luz die Möglichkeiten der Kunstform Comic und erweist sich ein weiteres Mal als großartiger Bilderzähler.

Vom Schallplattenverkäufer zum Obdachlosen: Vernon Subutex in Nahaufnahme.
Vom Schallplattenverkäufer zum Obdachlosen: Vernon Subutex in Nahaufnahme.

© Reprodukt


6 Reid Kikuo Johnson: „Kein anderer“, Übersetzung Sven Scheer, Reprodukt, 112 S., 20 €

Das auf Hawaii spielende Familiendrama „Kein anderer“ von Reid Kikuo Johnson handelt davon, wie nach einem Todesfall gewohnte Strukturen zusammenbrechen. „Die Stille und Kraft, die Johnsons klare Linien ausstrahlen, treffen den Ton der Geschichte perfekt“, urteilt Jurymitglied Erik Wenk. „Johnson ist ein brillanter visueller Erzähler, der es schafft, mit wortlosen Andeutungen ganze Biografien zu enthüllen.“ 

Eine Szene aus „Kein anderer“.
Eine Szene aus „Kein anderer“.

© Reprodukt


6 Barbara Yelin, Miriam Libicki, Gilad Seliktar: „Aber ich lebe“, C.H. Beck, 176 S., 25 €

Für die Anthologie „Aber ich lebe“ erzählen Zeitzeugen gemeinsam mit drei Comicschaffenden aus Israel, Kanada und Deutschland vom Überleben im Holocaust. Die Titelerzählung basiert auf der Biografie von Emmie Arbel, die die Münchener Zeichnerin Barbara Yelin in Israel besucht hat. „Yelin überträgt die Erinnerungen mit höchster Sensibilität in tiefe und vielschichtige Bilder, die trotz des Schreckens, den sie zeigen, Ruhe und Schönheit ausstrahlen“, urteilt Rilana Kubassa. 

Zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Eine Seite aus Barbara Yelins Comic „Aber ich lebe“.
Zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Eine Seite aus Barbara Yelins Comic „Aber ich lebe“.

© C.H. beck


7 Olga Lawrentjewa: „Surwilo“, Übersetzung Ruth Altenhofer, avant, 312 S., 28 €

Der Comic der russischen Zeichnerin Olga Lawrentjewa über die Lebensgeschichte ihrer Mutter Walentina im stalinistischen Russland gehört für Jurymitglied Erik Wenk „zu den intensivsten und eindrucksvollsten Lese-Erfahrungen dieses Jahres“. Er lobt besonders die „kraftvollen Schwarzweiß-Zeichnungen, die sich streckenweise zu einem expressionistischen Rauschen steigern“.

Schmerzhafte Erinnerungen: Eine Szene aus „Surwilo – Eine russische Familiengeschichte“.
Schmerzhafte Erinnerungen: Eine Szene aus „Surwilo – Eine russische Familiengeschichte“.

© avant


8 Nick Drnaso: „Acting Class“, Übersetzung Karen Köhler und Daniel Beskos, Blumenbar/Aufbau, 268 S., 28 €

In einem Schauspielkurs treffen zehn Menschen aufeinander, nach und nach verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Phantasie. Für Jurymitglied Birte Förster zeichnet die Graphic Novel eine Atmosphäre aus, die „beklemmend, unangenehm und fast schon verstörend“ ist, die „einen ergreift und nicht mehr loslässt“. Ihr Fazit: „Dramaturgisch vielschichtig, grafisch überzeugend und virtuos erzählt.“

Eine Szene aus „Acting Class“.
Eine Szene aus „Acting Class“.

© Blumenbar / Nick Drnaso


9 Sonja Eismann, Maya und Ingo Schöningh (Hg.): „Movements and Moments – Indigene Feminismen“, Jaja-Verlag, 316 S., 27€

Der vom Goethe-Institut initiierte Band versammelt Kurzgeschichten aus Brasilien, Bolivien, Peru, Chile, Ecuador, den Philippinen, Vietnam, Thailand, Indien und Nepal. Jurymitglied Lara Keilbart lobt die Vielfalt der Arbeiten, „die oft von queeren indigenen Menschen handeln, von Diskriminierung und Ausgrenzung, und die zeigen, wie Ungerechtigkeit und Intoleranz bekämpft werden können.“

Eine Doppelseite aus „Movements and Moments“.
Eine Doppelseite aus „Movements and Moments“.

© Jaja


9 Keito Gaku : „Boys Run the Riot“, Übersetzung Gandalf Bartholomäus, Carlsen Manga, bislang zwei Bände à 226/178 S., je 10 € 

In der Manga-Reihe „Boys Run the Riot“ erzählt der trans Künstler Keito Gaku von der Selbstfindung der Hauptfigur Ryo. Ihm wurde nach der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen, aber er ist ein Junge. Jurymitglied Sabine Scholz lobt die Reihe als „zeitgemäßen Vertreter des Coming-of-Age-Genres“ und hebt die Authentizität der Erzählung und die von Urban Art inspirierten Zeichnungen hervor.

Eine Szene aus „Boys Run the Riot“.
Eine Szene aus „Boys Run the Riot“.

© Carlsen Manga


10 Darwyn Cooke: „Parker – Martini Edition“, Band 2, Übersetzung Stephanie Grimm, Schreiber & Leser, 336 S., 57,80 €

Der zweite Sammelband der „Parker“-Comics des Kanadier Darwyn Cooke nach den Kriminalromanen von Richard Stark alias Donald E. Westlake besticht erneut durch seinen „überragenden Retro-Stil, der die goldene Vergangenheit von Comic und Illustration verbindet“, wie Jurymitglied Christian Endres feststellt: „Cookes perfekte Crime-Comics sitzen Strich für Strich.“

Eine Szene aus Darwyn Cookes „Parker: Martini Edition 2“.
Eine Szene aus Darwyn Cookes „Parker: Martini Edition 2“.

© „Parker: Martini Edition 2“ / Schreiber & Leser


11 Julien Blondel, Jean-Luc Cano, Robin Recht, Didier Poli, Julien Telo, Jean Bastide: „Elric“, Übersetzung Tanja Krämling, Splitter, 240 S., 39,80 €

Julien Blondels Comicadaption von Michael Moorcocks Fantasyepos überzeugte Jurymitglied Moritz Honert durch die „meisterhaften Bilder“ des Zeichnerteams: „Ein Beispiel dafür, was das Medium Comic vermag, wenn wirkliche Könner sich seines bedienen: nämlich eine Vorlage nicht nur in eine Bildergeschichte zu adaptieren, sondern sie zu erweitern, ja, zu transzendieren.“

Eine Seite aus „Elric“.
Eine Seite aus „Elric“.

© Splitter


12 Héctor Germán Oesterheld, Hugo Pratt: „Ernie Pike“, Übersetzung André Höchemer, avant, 364 S., 49 €

Die gezeichneten Kurzgeschichten um den fiktiven Kriegsreporter Ernie Pike „sind keine kriegsverherrlichenden Landsergeschichten und auch keine pathetischen Heldenepen“, stellt Jurymitglied Ralph Trommer fest. Die Episoden, in denen menschliche Dramen und individuelle psychologische Konflikte vermittelt werden, „sind jeweils von einer eigenen, dichten Atmosphäre geprägt und zeigen, dass schon lange vor dem Aufkommen der „Graphic Novels“ anspruchsvolle Comics für erwachsene Leser entstanden sind.“

Eine Szene aus „Ernie Pike“.
Eine Szene aus „Ernie Pike“.

© avant

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false