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Zwischen allen Fronten: Eine Szene aus dem Buch.

© Illustration: Blexbolex

Kunst-Comic: Gesellschaftskritik im Fieberwahn

Ein surreales Szenario mit auf die Metaebene gehievten Motiven der Pulpliteratur  - im aktuellen Werk „Niemandsland“ des Illustrators Blexbolex  geht es nicht nur formal drunter und drüber.

Mehr noch als für das bereits ebenso der Trivialkultur huldigende „Die Flucht nach Abecederia“ ist Blexbolex hierzulande vor allem für seine Kinderbücher bekannt: „Leute“ beispielsweise wurde 2009 von der Stiftung Buchkunst als ‚schönstes Buch der Welt‘ ausgezeichnet. Doch in seinen Werken für ältere Leser resultiert die Schönheit aus der Komposition verschiedener Schrecken. Diese fußen gleichermaßen in der Realität wie in für die breite Masse produzierten Fantasien.   

Ein Satz im aktuellen Werk „Niemandsland“ verrät viel über das künstlerische Vorgehen innerhalb dieser Tour de Force durch das Archiv der Trivialkultur: „Am Ende des Wegs sehe ich auf dem Gipfel des höchsten Berges jene Tempelruinen aus Pappmaché, die ich schon einmal in einem Tarzan-Heft gesehen habe.“ Ein vielschichtiger Verweis auf die medialen Tarzan-Inkarnationen in Pulp Novel, Film und Comic. Denn ohne Kenntnis publikationshistorischer Hintergründe und dem Wissen, dass Pappmaché auch als Pulpe bezeichnet wird, sind derartige Anspielungen nur teilweise verständlich.

Eine Buchseite zuvor bezieht sich Bernard Granger, so der bürgerliche Name des mittlerweile in Leipzig lebenden Franzosen, im Begleittext auf den „Umschlag eines Sciencefiction-Romans von Roy Rockwood“. Rockwood war ein Verlagspseudonym, unter dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts utopische Jugendabenteuer veröffentlicht wurden. Genutzt wurde es ebenfalls für die Serie um „Bomba, der Dschungelboy“, die auch in Deutschland erschienenen Abenteuer eines von vielen Tarzan-Epigonen.   

Zwischen Science Fiction und Schwarzer Serie

Der Geschichte vom Selbstfindungsversuch eines Agenten zwischen allen Fronten im Niemandsland zu folgen, ist mitunter also schwierig. Das liegt hauptsächlich am Spiel des Autors mit Metaebenen, in dem ein namenloser Erzähler klassische Schauplätze des Abenteuergenres wie U-Boote, Geisterschiffe oder geheimnisvolle Inseln durchläuft, bis er letztlich wieder bei sich selbst ankommt. Ein mehrfach wiederholtes Motiv ist dabei das Durchbrechen von reflektierenden Flächen seitens der Hauptfigur, seien diese nun aus Fenster- oder Spiegelglas. Dies bietet Anlass zu Reflexionen über Identität, genau wie die Referenzen in Bild und Text an vor sich hin modernde Abfallprodukte vergangener Kulturepochen.

Tour de Force: Zwei Seiten aus dem Buch.
Tour de Force: Zwei Seiten aus dem Buch.

© Illustration: Blexbolex

Überwiegend setzt Blexbolex auf assoziative Rezeption, bei der moralbeanspruchende Institutionen wie Staat oder Kirche schon mal als von instinktgesteuerten Haien umzingelt dargestellt sein können. Der Konflikt um die Freiheit der Fantasie und somit um die Zukunft, der auch ein Kampf um die Ethik ist, illustriert an Hand von aus mehreren Persönlichkeiten und Kunstfleisch zusammengesetzten Monstrositäten wie Banks, in dessen Diensten der Protagonist steht, sowie seiner Widersacher und zeitweiligen Kollaborateure Gregory Rabbit und dem gestiefelten Kater, wird zwar von beiden Seiten mit exzessiver Rücksichtlosigkeit geführt, ist aber zumindest moralisch von keiner der Parteien zu gewinnen.

Optische Präzision mit Sollbruchstellen

Das Verweisen auf Autoren mit Verlagspseudonymen, deren Austauschbarkeit innerhalb der trivialen Massenproduktion ebenso verwechselbare Identifikationsfiguren mit deren stets gleichen Attributen von Heros gebiert, unterfüttert diese Darstellung einer allgemeinen Orientierungslosigkeit. Alles scheint richtig und nichts falsch zu sein, eingesetzte Mittel verkommen zum alles rechtfertigenden Selbstzweck, und moralische Grenzen werden mehr und mehr verschoben. Die positive Identifikation macht der ideellen Beliebigkeit Platz.  

Schönheit des Trivialen: Eine Seite aus dem besprochenen Band.
Schönheit des Trivialen: Eine Seite aus dem besprochenen Band.

© Illustration: Blexbolex

Seine wilden Phantasmagorien von sich in der Methodik ähnlicher werdenden Gegensätzen inszeniert Blexbolex mittels klarer Konturenseparierung  durch begrenzten Farbeinsatz  und bewusst angelegte Ausnahmen von  dieser Regel, in denen sich die Farben wie ungewollt überdecken. 

Diese am Computer entstandenen  und mitunter an fehlerhafte Siebdrucke erinnernden Grafiken sind neben Kinderbuchillustrationen von Titelbildern aus der Science Fiction-Literatur beeinflusst. Weitere Einflüsse entstammen den im Frankreich der 1950er Jahre publizierten „Série Noire“-Taschenbüchern von den dort veröffentlichten Autoren Raymond Chandler, Dashiell Hammett oder Jim Thompson. Deren Duktus und Art der Charakterzeichnung findet sich in den Texten unterhalb der Illustrationen wieder, wie auch die des von Blexbolex geschätzten Autors des ‚Neo Noir‘, James Ellroy. Die literarische Methodik hingegen erinnert an William S. Burroughs´ Cut Up-Experimente in „Nova Express“ - was dazu führt, dass der Leser sich wiederholt der Kontinuität versichern muss, abwechselnd entweder an Hand der Grafik oder des Textes. Konzeptuell schließlich lässt sich eine Verwandtschaft zu Fernando Arrabals im sozialen Surrealismus verwurzelten Theaterstück „Und sie legen den Blumen Handschellen an“ feststellen.

Erinnert an Siebdrucke: Das Covermotiv des Buches.
Erinnert an Siebdrucke: Das Covermotiv des Buches.

© Jacoby & Stuart

„Niemandsland“ bietet, getreu der angeführten literarischen Traditionen, diffuse Sozialkritik im drogeninduzierten Fieberwahn, der hier in dreifarbiger optischer Präzision mit Sollbruchstellen daherkommt. Ob diese Art der Vermittlung heute noch zeitgemäß ist, sei dahingestellt, aber Blexbolex´ Schwelgen in der Schönheit des Trivialen, das sich nur kundigen Lesern vollständig erschließt, stellt trotz aller Formvollendung leider ein großes Hindernis beim Empfangen der Botschaft dar.

Blexbolex: Niemandsland, Jacoby& Stuart, 144 Seiten, 29,90 Euro.

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