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Fantastische Szenerien: Ein Bild aus „Gullivers Reisen: Von Laputa nach Japan“.

© Splitter

Literaturklassiker als Comic: Gullivers dritte Reise

Zwei Franzosen haben eine wenig bekannte Episode von „Gullivers Reisen“ adaptiert und machen aus dem zeitkritischen Abenteuer einen unterhaltsamen Fantasy-Comic.

Technisch ist die Gewinnung von Solarenergie noch lange nicht ausgereizt. Beispielsweise ist kein neuerer Versuch bekannt, bei dem Sonnenstrahlen aus Gurken extrahiert werden sollen. So ein Blödsinn, meinen Sie? Nun, in Lagado auf Balnibarbi, einer der Inselprovinzen eines pazifischen Archipels mit der Hauptstadt Laputa, hat man sich schon vor Jahrhunderten an die Lösung dieses Problems gewagt.

Eine Seite aus dem besprochenen Buch.
Eine Seite aus dem besprochenen Buch.

© Splitter

Sie haben noch nie von Lagado, Balnibarbi, Laputa gehört? Nun, da haben Sie Ihren Jonathan Swift nicht zu Ende gelesen oder sich mit der Kinderbuch-Version seiner „Travels into Several Remote Nations of the World“ von 1726 begnügt, besser bekannt als „Gullivers Reisen“. Da wissen Sie also nur von dessen Besuchen im Zwergenland Lilliput und im Riesenland Brobdingnag, nicht von den beiden folgenden Reisen.

Diesen Mangel zu beheben dürfte heutigen Lesern schwer fallen, muss ihnen doch der fest in der Geisteswelt des frühen 18. Jahrhunderts verwurzelte Wälzer ohne Verständnis der zeitgeschichtlichen Anspielungen und satirischen Seitenhiebe vielfach ein Rätsel bleiben.

Leichter konsumierbar ist da die Graphic Novel „Gullivers Reisen“ (Übersetzung Sophie Beese, Splitter-Verlag, 120 S., 19,80 €), mit der die Franzosen Bertrand Galic und Paul Echegoyen Gullivers dritte Reise in die Sprache ihres Mediums übersetzt haben.

Klar, da geht manches an historischer Finesse verloren, wird das geistesgeschichtliche Mammutwerk auf Lilliput-Format geschrumpft. Aber selbst jetzt bleibt die Reise „Von Laputa nach Japan“ – so der Untertitel – ein spannendes Abenteuer, ein aus London nach Fernost führender Segeltörn inklusive Sturm, Piraten und Stranden auf einsamer Insel.

In Lagado regiert die Pseudowissenschaft

Über der taucht plötzlich die dank Magnetwirkung schwebende Königsstadt Laputa auf, erste fantastische Station einer Odyssee zu immer absonderlicheren Orten und Völkern. Die herrschende Klasse von Laputa, äußerlich an exotische Götzenbilder erinnernd, hat sich ganz den Wissenschaften und der Musik verschrieben, leidet nur darunter, permanent einzunicken, wenn nicht Diener ihnen regelmäßig an Stangen befestigte Säckchen - „Bim! Bam!“ - um die Ohren hauen.

Das Titelbild von „Gullivers Reisen: Von Laputa nach Japan“.
Das Titelbild von „Gullivers Reisen: Von Laputa nach Japan“.

© Splitter

In Lagado hingegen regiert die Pseudowissenschaft, sucht man eben Sonnenenergie aus Gurken zu gewinnen oder Schießpulver aus Eis, während in Glubbdubdrib per Geisterbeschwörung Tote aus dem Jenseits zurückgeholt werden. Das funktioniert nur kurz, dann macht es „Glubb“ – der Geist ist weg.

Swifts „Travels“, im frühen 18. Jahrhundert als Zeitkritik angelegt, sind im Comic zur allerdings sehr unterhaltsamen Fantasy-Story mutiert. Ausbeuterische Sozialstrukturen lösen da nur gelegentlich Stirnrunzeln bei Gulliver aus, als moralische Messlatte fürs 21. Jahrhundert eignet sich der Comic nicht.

[Weiter Artikel über gezeichnete Literaturadaptionen im Tagesspiegel: „Vernon Subutex“ im Comic - Adaption de luxe, Im Schlachthof des Kapitalismus, Robin Hood der Meere.]

Was den Lesespaß nicht mindert, der angesichts der sprühenden Lust des verantwortlichen Duos an bizarren Szenerien und grotesken Figuren beträchtlich ist, bei strikter Beschränkung der zwischen Sepiatönen und blaugrauen Schattierungen pendelnden Farbskala.

Um so wünschenswerter wäre die Adaption von Gullivers vierter Reise: sein Besuch der Pferderepublik der Houyhnhnms. Den klugen Rössern gilt der Mensch als fragwürdige Spezies, der sie einen seltsamen Namen geben. Er ist noch heute in Ge-brauch, mit neuer Bedeutung: Yahoo.

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