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Politik und Alltag: Eine Seite aus „Ausnahmezustand“.

© Reprodukt

Hinter der Maske: Wie ein Comic die Spaltung der USA reflektiert

James Sturm erzählt in „Ausnahmezustand“ von einer zerbrochenen Beziehung - und liefert eine Bestandaufnahme der US-amerikanischen Gesellschaft.

Die im Schicksalswahljahr 2020 weiter zunehmende Polarisierung und Tribalisierung der US-Gesellschaft hat angesichts der Covid-19-Pandemie auch gesundheitspolitische Maßnahmen wie das Maskentragen erfasst und ist damit für Krankheit und Tod von Menschen verantwortlich.

Masken spielen auch in James Sturms Buch „Ausnahmezustand“ (Reprodukt, Übersetzung: Sven Scheer, 216 S., 24 €) eine Rolle. Es erzählt von einer Beziehungskrise im Kontext der gesellschaftlichen Turbulenzen des Wahljahres 2016.

Der Peanuts-Fan Sturm, Direktor des Center for Cartoon Studies in Vermont, hat seinen Figuren statt menschlicher Gesichter Hundeköpfe verpasst. Er begründet dies indirekt in einer Episode als „befreiend“. Masken erlauben Spiel und bieten Schutz; die Verfremdung erlaubt dem Leser eine gewisse Distanz.

Der Wahlkampf schlich sich in die Geschichte

Die Geschichte spielt in der Winterlandschaft Neuenglands, und Sturm, der stets einfach, aber elegant zeichnet und die Seiten komponiert, nutzt ein strenges Zwei-Panel-Raster mit blau-grauen Tuschezeichnungen im Querformat, was den melancholischen Eindruck verstärkt. Einige der Vignetten erschienen schon 2016 im Magazin „Slate“.

Betrogen: Eine Szene aus „Ausnahmezustand“.
Betrogen: Eine Szene aus „Ausnahmezustand“.

© Reprodukt

Die politischen Vorgänge rund um den aufgeheizten Wahlkampf zwischen Bernie Sanders und Hillary Clinton, dann zwischen Clinton und Donald Trump und schließlich die überraschende Wahl Trumps schlichen sich sozusagen in die sich entwickelnde Geschichte von Mark und Lisa, die dadurch fast dokumentarischen Charakter erlangte. Sturm berichtet, dass er damals Nächte durchgearbeitet hat, um zeitnah Episoden vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse zu liefern.

Sturm, früher Produktionsassistent bei Art Spiegelmans „RAW“ und in Deutschland bisher nur bekannt durch das Buch „Markttag“, ist schon mit den amerikanischen Literaten Raymond Carver und Richard Ford verglichen worden. Wie diese blickt Sturm durch die Augen eines Mannes und ohne erhobenen Zeigefinger auf die Welt.

Trump hat nur einen einzigen Auftritt

Mark, der Protagonist, erlebt eine schwere Zeit. Seine Beziehung zu Lisa scheint gescheitert, sein Auftraggeber belügt ihn und bezahlt ihn nicht für schon erledigte Arbeiten auf Baustellen. Bernie Sanders, der Kandidat, den er unterstützt hat, hat verloren.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Das Titelbild des besprochenen Bandes.

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Das beherrschende Thema ist Betrug: Wie konnte das passieren? Sturm beschreibt die Unfähigkeit eines verbitterten, überforderten und sich machtlos fühlenden Mannes, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Mark kann sich nicht dazu durchringen, mit Hillary Clinton das „kleiner Übel“ zu wählen, sondern wirft Lisa ihre privilegierte Herkunft vor, die ihr erlaube „auf Facebook die Revolution zu planen“, während er nicht weiß, wie er seine Rechnungen bezahlen soll.

Eine Kritik an Sturms Buch, das im Original „Off Season“ heißt (im Sport eine Phase, in der es einfach nicht läuft), kam dann auch prompt von identitätspolitischer Seite: Hier ginge es nur um die weinerliche Darstellung angeblicher „weißer Opfer“ und damit um eine pauschale Entschuldigung aller Trump-Wähler.

Dies ist offensichtlicher Unfug, nicht nur weil Mark keineswegs aus der Verantwortung gelassen wird, sondern auch weil Klassenunterschiede nun einmal bestehen und angesichts eines brutalen ökonomischen Systems thematisiert werden müssen.

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Marks Wahrnehmung als Ich-Erzähler ist allerdings nicht immer maßgebend, denn Sturm nutzt die Möglichkeiten des Comics, um bildlich von Marks Narrativ abzuweichen. Dieser sympathisiert vielleicht mit Trump, nachdem Sanders gegen Clinton verloren hat; ganz genau kann und soll der Leser dies nicht wissen.

Die Parallelen zwischen der zerbrochenen Beziehung von Mark und Lisa und der amerikanischen Gesellschaft sind offensichtlich. James Sturm hält beide für der Rettung wert und so endet das melancholische Buch auf einer hoffnungsvollen Note, die allerdings etwas fragwürdig bleibt. Trump hat übrigens nur einen einzigen Auftritt: Als Hund mit schweinsähnlichem Gesicht.

Thomas Greven

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