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Preisgekrönter Roman „Die Straße“ als Comic: Unterwegs in der Postapokalypse
Der französische Künstler Manu Larcenet hat Cormac McCarthys Roman „Die Straße“ als Comic adaptiert. Das Ergebnis dürfte auch Fans von „The Walking Dead“ begeistern.
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Als der amerikanische Schriftsteller Cormac McCarthy 2023 im Alter von 89 Jahren gestorben ist, hat die moderne Weltliteratur einen der ganz Großen verloren. McCarthy wurde für seine Südstaatengeschichten mit Faulkner verglichen, verhalf Western und Neo-Western zu neuem Glanz.
Zudem machte er die Postapokalypse zum Revier der Hochliteratur: „Die Straße“ von 2006, im Folgejahr mit dem Pulitzer-Preis bedacht, ist wohl sein berühmtestes Werk. Schon 2009 folgte eine Verfilmung des Stoffes zwischen Horror und Science-Fiction durch Regisseur John Hillcoat, mit Viggo Mortensen und Kodi Smit-McPhee in den Hauptrollen. Und nun also der Comic von Manu Larcenet.
Die Story von „The Road“, wie McCarthys Roman im Original heißt, folgt dabei immer derselben narrativen Straße: Ein Vater und sein junger Sohn ziehen durch die gnadenlose Postapokalypse – eine Welt voller Plünderer, Kälte, Hunger, Kannibalen. Ihre wenigen Habseligkeiten schieben die beiden in einem alten Einkaufswagen vor sich her. Vorräte schwinden so schnell wie Kugeln in dieser Welt. Die letzten im Revolver des Vaters, der Junge weiß Bescheid, sind vor allem als finaler Ausweg gedacht.

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Und doch bleiben Vater und Sohn auf der titelgebenden Straße und marschieren in Richtung Süden, ein diffuses hoffnungsvolles Anderswo, fast ein Nirgendwo als Ziel ihrer lebensbedrohlichen Reise durch ein entvölkertes, zerstörtes Amerika, das Manu Larcenet in Bildern und Sprechblasen (manchmal auch nur in Bildern) zu neuem Leben erweckt.
Stimmungsvolles Grauen
Larcenet kennt man für den Weird-Fiction-Geniestreich „Blast“, für „Der alltägliche Kampf“, „Brodecks Bericht“, „Rückkehr aufs Land“ und selbst für ein lustiges Spezial der klassischen SF-Serie „Valerian und Veronique“ oder ein paar Beiträge zur Fantasy-Parodie „Donjon“ von Trondheim und Sfar.
Die Gemeinsamkeit all dieser Comics? Manu Larcenet ist immer überragend, selbst wenn er inhaltlich und stilistisch in gänzlich unterschiedliche Richtungen gehen kann. Dennoch begeistert er stets und überall mit seiner Kunst.
Auch in der grauen, grauenvollen Postapokalypse. Die Comic-Fassung von „Die Straße“ wirkt zeichnerisch auf Anhieb ein bisschen, als würde Larcenet auf den Spuren früherer argentinischer Comic-Meister wandeln: Viele Striche, dichte Schraffur, dreckige Anmutung, hoher Kontrast zwischen Hell und Dunkel, das erinnert bei allen vorhandenen grafischen Larcenet-Merkmalen zum Beispiel an Jorge Zaffino, Zeichner des postapokalyptischen Comic-Klassikers „Winterwelt“. Nur noch schmutziger, noch spröder, noch eindringlicher.
Die Farben von Larcanets Bildern sind so ausgewaschen, dass sie größtenteils nur gerade so über Schwarz-Weiß rangieren, und dennoch einen Mehrwert zu diesem dualen Schema bieten. Kaum eine Seite, die man nicht ins Lehrbuch fürs Comic-Machen packen, sich nicht gerahmt an die Wand hängen würde. Trotz ihrer ungeschminkten Brutalität, ihrer poetischen Bitterkeit.

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Makellose Adaption
Die Atmosphäre des Comics, die der 1969 geborene Larcenet scheinbar mühelos aus dem ikonischen Roman in seine gezeichnete Interpretation übertragen hat, ist so dicht und fantastisch wie im Original. Man schmeckt die allgegenwärtige Asche, spürt die überall lauernde Gefahr, die Bedrohlichkeit, den Hunger, die Kälte, die Verlorenheit, die Liebe.

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Gerade die rohen, starken Emotionen zwischen Vater und Sohn, die McCarthys „Die Straße“ zu so einer nachhallenden, bisweilen heimsuchenden Science-Fiction-Horrorgeschichte von Weltruhm gemacht haben, tragen auch den Comic, neben seinem bestechenden Artwork.
Larcenets makellose Adaption überzeugt bei den Dialogen genauso wie auf den Seiten ganz ohne Text, nutzt das variabel angelegte Panel-Raster effizient und kunstvoll. Das dürfte, obwohl keine Zombies vorkommen, auch Fans von „The Walking Dead“ gefallen, durch dessen ursprüngliche Comic-Serie das postapokalyptische Genre 2003 einen neuen Aufschwung erlebte.
Manu Larcenet erweist sich für „Die Straße“ als der erwartungsgemäße Glücksfall: In seiner Kunst – seinem Handwerk – selbst ein Meister wie Cormac McCarthy, macht er mit Respekt, Können und Verständnis die unvergessliche Straße und die vielbesuchte Postapokalypse auch im Comic zum intensiven Leseerlebnis.
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