zum Hauptinhalt
Das Flammende Herz: Polina Semionova bei der Arbeit.

© Promo, Copyright Enrico Nawrath

Primaballerina Polina Seminova: „Wer es sich zu leicht macht, wächst nicht“

Der französische Comicautor Bastien Vivès hat sich für „Polina“ von der Primaballerina Polina Semionova inspirieren lassen. Im Interview spricht die Tänzerin über Unterschiede und Parallelen zum echten Leben.

Von diesem Donnerstag an findet im französischen Angoulême das Festival International de la Bande Dessinée statt, Europas wichtigstes Comicfestival. Dort wird in diesem Jahr die Erzählung „Polina“ von Bastien Vivès mit dem Großen Preis der Kritik ausgezeichnet. Es ist die fiktive Lebensgeschichte einer Balletttänzerin, bei der die Berliner Primaballerina Polina Semionova Patin stand. Lars von Törne sprach mit ihr über die Graphic Novel, die Härten des Tanzens und die unerwartete Bedeutung eines Grönemeyer-Videos für ihre Karriere.

Tagesspiegel: Frau Semionova, lesen Sie eigentlich Comics?
Polina Semionova: Früher als Kind in Russland, heute eigentlich nicht mehr.

Bastien Vivès hat sich für sein aktuelles Buch „Polina“, das hier vor uns liegt, von Ihrem Leben inspirieren lassen…
Ja, ich hörte zum ersten Mal von Bekannten in Paris davon, die das Buch dort gesehen hatten. Das war eine ziemliche Überraschung. Kürzlich habe ich es dann gelesen. Aber ich kann nicht sagen, dass ich das bin.

Wieso nicht?
Der Autor hat nie mit mir gesprochen. Er ist ein großer Künstler, er ist sehr talentiert – aber das hat mit mir nichts zu tun. Ich hoffe sehr, dass die Leute jetzt denken, dies sei meine Geschichte – ist es nicht!

Vivès sagt in Interviews, er sei zumindest durch Sie zu seinem Werk angeregt worden…
Ich war ehrlich gesagt ein bisschen enttäuscht: Es ist toll, ein Buch mit meinem Namen in den Läden zu sehen – aber wieso hat er mir nicht mitgeteilt, dass er ein Buch plant, das durch meine Lebensgeschichte inspiriert ist? Das hätte anders laufen sollen.

Wie?
So wie bei dem Buch „Polina - Aus der Moskauer Vorstadt auf die großen Bühnen der Welt“, das ich zusammen mit dem Autor Gerhard Haase-Hindenburg erarbeitet habe. Wir haben uns zwei Jahre lang zwei Mal die Woche dafür getroffen, der Autor ist mit mir um die Welt gereist und hat meine Familie und andere Menschen getroffen, die mich kennen. Das ist meine Geschichte, nicht dieser Comic.

Und was halten Sie unter künstlerischen Gesichtspunkten von diesem Buch?
Ich mag den Stil von Bastien Vivés, er hat mich ins Buch reingezogen. Ich finde, der Zeichner hat die Bewegungen und die Atmosphäre des Balletts sehr schön eingefangen. Und als mein Mann das Buch sah, sagte er: „Die sieht aus wie Du!“ Ich würde den Künstler gerne mal treffen - er hat einen guten Job gemacht,

Bastien Vivés wurde einst durch ein Grönemeyer-Video auf sie aufmerksam, in dem Sie tanzen. Was bedeutet das Video für Sie?
Es ist erstaunlich, wie viele Menschen durch das Video auf mich aufmerksam wurden. Als ich dabei mitmachte, hatte ich keine Ahnung, dass es so eine Verbreitung haben wird. Ich kannte ja nicht mal Herbert Grönemeyer – ich war gerade erst ein halbes Jahr in Deutschland und wusste nicht, wie berühmt er war. Ich bewundere ihn als Künstler. Und dank des Videos bekomme ich bis heute positive Rückmeldungen – das wird bei Youtube immer noch sehr oft angeklickt.

Auf der Spitze. Dem Zeichner ist die Tänzerin nie begegnet. Ihr Auftritt in einem Musikvideo war die Initialzündung für den Comic.
Auf der Spitze. Dem Zeichner ist die Tänzerin nie begegnet. Ihr Auftritt in einem Musikvideo war die Initialzündung für den Comic.

© Illustration: Vivès/Reprodukt

Ungeachtet Ihrer Klarstellung, dass das Buch von Bastien Vivès nicht Ihre Lebensgeschichte ist, gibt es in der Graphic Novel ja viele Parallelen zu Ihrer Lebensgeschichte. Im Zentrum steht das sehr enge Verhältnis einer Tänzerin zu ihrem Lehrer – was auch in Ihrer offiziellen Biografie ein zentrales Thema ist…
Ja, der Lehrer ist im Ballett oft mehr als nur ein Lehrer, alleine schon deswegen, weil man so viel Zeit zusammen verbringt, um verschiedene Rollen einzustudieren. Und die Rollen sind nicht nur verschiedene Schritte, sondern da geht es auch um sehr persönliche Dinge. Ich las kürzlich ein Interview mit dem Choreographen von „Caravaggio“, Mauro Bigonzetti, der sagte: In zehn Minuten Tanz erfährt man so viel über eine Person als wenn man sie ein Jahr lang kennt.

Wieso Polina Semionova ihren eigenen Kindern nicht raten würde, Profi-Ballerina zu werden

In Berlin zu Hause: Polina Semionova.
In Berlin zu Hause: Polina Semionova.

© Promo, Copyright Enrico Nawrath

In Ihrem eigenen Buch erzählen Sie von einem Machtkampf zwischen zwei sehr wichtigen ehemaligen Lehrern in Moskau über die Frage, wohin Sie sich tänzerisch entwickeln und ob sie neben der Tanzausbildung noch weitere Projekte wie einen internationalen Wettbewerb parallel verfolgen können – einen ähnlichen Konflikt gibt es auch im Comic...
Ja, hier gibt es eine offensichtliche Parallele. Ich mochte beide Lehrer sehr, beide waren sehr wichtig für mich, aber sie hatten sehr unterschiedliche Vorstellungen, was für mich der richtige Weg ist. Ich versuchte anfangs beiden gerecht zu werden – aber irgendwann musste ich mich entscheiden, welchen Weg ich gehe…

Und sie haben Ihren Kopf durchgesetzt und sich für den riskanteren Weg entschieden, der aber im Endeffekt zum Erfolg führte. Sie sind offenbar sehr ehrgeizig und wollen mehr, als ihnen der reguläre Weg geboten hätte.
Es gibt immer zwei Wege in meinem Leben: Den komfortableren und den riskanteren Weg. Ich höre dann immer in mich rein, was mir mein Gefühl sagt. Und ich habe keine Angst, ein Risiko einzugehen.

Ein Thema, das sich ebenfalls im Comic wie in Ihrer offiziellen Biografie findet, ist die harte Arbeit an sich selbst, das Unterdrücken von Schmerzen…
Ja. Man könnte kein Buch über eine Balletttänzerin machen, ohne die harte Arbeit zu beschreiben, die damit verbunden ist. Für manche ist es einfacher, weil sie körperlich weniger Hürden zu überwinden haben. Aber harte Arbeit ist es für jeden. Und das ist gut: Wenn man zu bequem wird, hört man auf, nach neuen Wegen zu suchen und sich zu entwickeln. Man sollte es nicht komplizierter machen als nötig – aber wer es sich zu leicht macht, wächst als Künstler nicht mehr weiter. Der Tag an dem ich sage, ich habe alle meine Ziele erreicht, wäre wahrscheinlich das Ende meiner Karriere. Aber ich bin nicht einmal 30 – es ist viel zu früh für solche Gedanken.

Sie reden in Ihrem eigenen Buch sehr offen darüber, wie Sie als Kind keine Zeit für irgendwas anderes als Ballett hatten … Bereuen Sie das?
Für meine Kinder würde ich mir wünschen, dass sie mehr Zeit haben als ich, ihre Kindheit zu genießen und mit anderen Kindern zu spielen. Ich weiß nicht, ob das unbedingt besser ist – aber zu viel von einer Sache ist nie gut. Es ist gut, ein Ziel zu haben, aber man sollte auch Zeit haben, das Leben zu genießen.

Fließende Linien: Das Covermotiv.
Fließende Linien: Das Covermotiv.

© Reprodukt

Würden Sie Ihren Kindern erlauben, professionell Ballett zu tanzen?
Nur, wenn sie es unbedingt wollen und ein Talent haben. Aber mir wäre es lieber, wenn sie etwas anderes machten. Es dauert viele Jahre, ein guter Balletttänzer zu werden – und wenn man dann mit 18 oder 20 keinen Erfolg hat, hat man aber auch nichts anderes gelernt. Dann fängt man wieder bei Null an. Und wenn man Erfolg hat, kann man als Tänzer auch nur bis Ende seiner Dreißiger Jahre arbeiten und muss sich dann etwas anderes suchen. Das heißt, wir müssen so viel Geld wie möglich verdienen, bis wir Ende Dreißig sind. Das ist hart. Ein Musiker kann auch mit 70 noch in einem Orchester spielen, wir nicht. Das ist ein hohes Risiko.

Bastien Vivès' „Polina“ ist auf Deutsch bei Reprodukt erschienen, Leseprobe hier.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false