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20.02.2023, Rheinland-Pfalz, Mainz: Hunderte Menschen feiern nach dem Rosenmontagsumzug auf dem Gutenbergplatz.  Das Motto des Zuges war «In Mainz steht Fastnacht voll und ganz für Frieden, Freiheit, Toleranz!». Aufgrund der Corona-Pandemie fand er das erste Mal seit zwei Jahren wieder statt. Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Sebastian Gollnow

Corona vorbei?: Die Freiheit und ihr Preis

Keine Masken, volle Kneipen, überall Menschenmengen: Ist das jetzt die neue alte Normalität? Ein Blick zurück auf den ersten Berliner Lockdown vor drei Jahren.

Christiane Peitz
Eine Kolumne von Christiane Peitz

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Trubel in der Markthalle, die Erinnerung an die ausverkauften Berlinale-Kinos ist noch frisch, und der Anblick einer Maske in der U-Bahn gewinnt langsam Seltenheitswert. Der Frühling lässt auf sich warten, aber die Freiheit nehmen wir uns schon mal. Ist das die neue alte Post-Corona-Normalität?

Drei Jahre ist es her: Am 1. März 2020, es ist der Berlinale-Publikumstag, wird der erste Corona-Infizierte in der Hauptstadt bestätigt, am 9. März sollen sich 60 von 80 Sänger:innen bei einer Chorprobe infiziert haben, am Freitag, den 13., macht die Kultur dicht, gefolgt von den Schulen. Die Freiheit in der Freizeit, der Bildung, der Mobilität ist erst mal dahin: der Preis für die Gesundheit, die Sicherheit.

Heute wissen wir, wie notwendig das meiste und wie übertrieben manches war, aus berechtigter Angst, aus unvermeidlicher Unsicherheit. Der Wert der Freiheit ist gestiegen in diesen drei Jahren, wir haben gelernt, wie vulnerabel sie ist, nicht nur in all den Ländern, wo Menschen unter Lebensgefahr um sie kämpfen müssen. Auch bei uns, in einer demokratischen, saturierten Gesellschaft.

Überall finden sich in diesen Tagen Symptome der Sehnsucht nach Gemeinsamkeit und Nähe. Am Samstagmorgen schaltet man das Radio ein, die Schauspielerin Margarita Broich erinnert sich gerade an die wilden Nächte der 80er Jahre samt Kumpelnest-Absacker, ihre Erzählungen sind von wunderbar sinnlichen Seufzern durchsetzt. Danach findet sich kein freier Platz im Café, am Vorabend in der Kneipe mit den Kollegen war es ebenfalls voll und laut. Alle redeten durcheinander, anderntags kratzt die Stimme.

Wohin am Wochenende? Die Hauptausstellung des Europäischen Monats der Fotografie im Amtsalon in der Kantstraße trägt den Titel „Touch” und ist den „Politiken der Berührung” gewidmet, das Münchner Museum Brandhort kündigt eine Schau der Malerin Nicole Eisenman an, die in ihrer Kunst die weibliche Lust feiert und im „Monopol”-Interview für das Verbindende in unserer auseinandergerissenen Kultur wirbt. Und für die Liebe.

Wir sind angefasst von dem, was uns derzeit erschüttert, und wir wollen uns wieder anfassen lassen, wollen Enge und Menge, ob im Stadion oder beim Karnevalsumzug. Ein Menschenrecht. Das Pflegeheim der alten Mutter teilt per Rundmail mit, dass die Testpflicht bei Besuchen aufgehoben ist und so gut wie alle Schutzmaßnahmen entfallen. Fast jeder zweite Corona-Tote 2020 und 2021, auch das wurde gerade bekannt, lebte einem Pflegeheim. Welchen Preis unsere Post-Corona-Freiheit kostet und wer ihn bezahlt, wir wissen es noch nicht.

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