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Sheriff Joe (Joaquin Phoenix, links)) und Bürgermeister Ted (Pedro Pascal) beim Wortduell auf der Hauptstraße von Eddington.

© Leonine Verleih

Corona-Western „Eddington“ : Maske runter oder wir schießen!

Eine Western-Satire auf die Coronajahre. „Eddington“ von Ari Aster beschreibt ein Amerika, in dem der öffentliche Diskurs mit Waffen und Handys geführt wird. Kann man darüber schon lachen?

Stand:

Nostalgie kommt da keine auf. Wer erinnert sich nicht – oder hat die Erinnerung nicht längst wieder verdrängt?

Eine Schlange vor dem Supermarkt, die Menschen warten geduldig, mit Sicherheitsabstand, am Eingang wird ein älterer Mann ohne Atemschutzmaske vom Personal unter Körpereinsatz am Betreten des Geschäfts gehindert.

Ari Aster hat sich für seine Satire „Eddington“ einen neuralgischen Punkt in der jüngeren Menschheitsgeschichte ausgesucht. „Ende Mai 2020“ steht am Anfang seines Films, der als Pandemie-Komödie nur unzureichend beschrieben ist.

Die titelgebende Kleinstadt in New Mexico, Einwohnerzahl: 2345, soll eine Art Amerika im Kleinen darstellen, die Menschen sind ein gesellschaftlicher Querschnitt wie das Springfield der „Simpsons“. Da ist zum Beispiel der Sheriff Joe Cross, gespielt von Joaquin Phoenix, der für Recht und Ordnung zu sorgen hat, aber eine eigene politische Agenda verfolgt.

Als er sich dem Supermarkt nähert, nimmt er erst mal die Maske ab, die eben noch unter der Nase hing. Unbescholtene Bürger behandele man mit Respekt, weist er den Supermarktangestellten zurecht. Joe spricht für die einfachen, ehrlichen Amerikaner, die sich von „denen da oben“ nicht länger gängeln lassen wollen.

Verschwörungsvokabular ist in den Diskurs eingesickert

Die intransparente Aufarbeitung der Coronapolitik war, nicht nur in Deutschland, Wasser auf die Mühlen der „Maßnahmen-Kritiker“, die hier den „Deep State“ bei der Arbeit sahen.

Das Verschwörungsvokabular, das mit der Pandemie aus Onlineforen vom rechten Rand in den gesellschaftlichen Diskurs einsickerte, flottiert frei in „Eddington“. Aster holt mit den Versatzstücken einer völlig fehlgeleiteten öffentlichen Kommunikation noch einmal die alten Barrikaden aus der Requisite und bringt sie wieder in Stellung.

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Ordnungshüter Joe hat nicht nur mit den Maskenauflagen seiner Regierung Probleme; es gibt kein Covid in Eddington, lautet sein behördliches Dekret. Die eigentliche Nemesis ist Bürgermeister Ted (Pedro Pascal), der seine Wiederwahl mit dem Versprechen eines hochmodernen KI-Datenzentrums vor den Toren der Stadt sichern will.

Ted ist alles, was Joe nicht ist: nicht weiß, liberal, gut aussehend, wissenschafts- und zukunftsgläubig. Sein Wahlkampfvideo ist eine pointierte Parodie auf liberale Kleinstadtpolitik: Der Kandidat begrüßt auf der Straße die People of Color seiner demografisch weißen Musterstadt mit „Fist-Bumps“ und spielt an der staubigen Hauptstraße Klavier.

Außerdem ist Ted der Ex von Joes Frau Louise (Emma Stone), die den Lockdown depressiv im Haus mit ihrer verschwörungsaffinen Mutter Dawn (Deirdre O’Connell) verbringt und gruselig aussehende Puppen bastelt. Joes Eigenheim befindet sich im Zentrum der Echokammer: Dawn füttert ihre Tochter mit Youtube-Videos, in der Isolation die direkteste Verbindung in das Kaninchenloch alternativer Fakten.

Der Star unter diesen Influencern ist Vernon Jefferson Peak (Austin Butler), der weißgewandete Guru einer New-Age-Sekte, die den Kampf gegen pädophile Netzwerke in Amerika aufgenommen hat.

Showdown mit bewaffneter Antifa-Bürgerwehr

„Eddington“ versammelt dieses Kuriositätenkabinett ohne offenkundig eigene Agenda. Das heißt, insofern man nicht schon in der „neutralen“ Gegenüberstellung der verzweifelten Gerechtigkeitskämpfe der linken Jugend und der antiliberalen Reflexe der herrschenden Klasse eine politische Haltung erkennen will. In Eddington sind alle gleichermaßen an den Verhältnissen irre geworden. Zum Showdown tritt auch noch eine schwer bewaffnete Antifa-Bürgerwehr auf den Plan.

Auf der Plotebene kommt Dynamik in „Eddington“, als Joe aus einer narzisstischen Kränkung heraus seine Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters auf Instagram verkündet. Die sozialen Medien sind bei Aster omnipräsent, das sicherste Indiz für eine fragile Ordnung.

Der gesellschaftliche Firnis von Eddington beginnt allerdings erst dramatisch zu zerbröseln, als in Ferguson George Floyd von einer Gruppe Polizisten getötet wird und Black-Lives-Matter-Proteste das gesamte Land erfassen.

Die depressive Louise (Emma Stone) verliert sich im Kaninchenloch aus Verschwörungstheorien und Fake News.

© Leonine Verleih

Auch die bewegte Jugend von Eddington geht auf die Straße, dabei stets die Frage der eigenen Sprecherposition vorsichtig auslotend. Bei Aster muss sich der junge Brian (Cameron Mann) öffentlich dafür selbst kasteien, seine weißen Privilegien für eine gerechte Sache einzusetzen. „Meine Aufgabe ist es, mich hinzusetzen und zuzuhören. Ich habe eigentlich kein Recht, hier zu reden“, proklamiert er einmal.

Aber eigentlich will er ohnehin nur die blonde BLM-Aktivistin Sarah (Amélie Hoeferle) beeindrucken, welche wiederum ihrem schwarzen Ex-Freund Mike (Micheal Ward) – Joes Deputy – ins soziale Gewissen zu reden versucht. Steht ein schwarzer Cop am Ende nicht immer auf der falschen Seite der Geschichte?

„Eddington“ beschwört eine negative Nostalgie herauf

Dass die aufrichtigen Anliegen der Corona-geplagten Kids in Asters chaotischem Drehbuch derart unter die Räder geraten – als wäre übertriebene Achtsamkeit als Indiz für die Verschärfung des öffentlichen Dialogs ebenso kritisch wie der reaktionäre Influencer-Kram aus dem Darknet zu bewerten –, ist nur ein Beispiel dafür, dass dem Regisseur die Maßstäbe seiner Gesellschaftssatire auf halber Strecke (160 Minuten dauert sein Film) etwas verrutschen.

Der einzige schwarze Polizist (Micheal Ward) in Eddington muss eine Black-Lives-Matter-Demo auflösen.

© Leonine Verleih

Irgendwann hat Aster so viel Material von hohem Wiedererkennungswert angehäuft – Talking Points, Verschwörungen, Slogans, Social-Media-Posts, eine Form negativer Nostalgie –, dass er sich nur noch in die Gewalteskalation retten kann. Ein Trick, den man aus früheren Filmen vom einstigen Erneuerer des Horrorgenres kennt. In „Eddington“ kriecht der Schrecken, wie im japanischen Horrorboom der 2000er-Jahre, aus den Fernsehern, direkt aus den mobilen Endgeräten in die Wohnzimmer und auf die umkämpften Straßen.

Als modernen Western mit Handys statt mit Revolvern hat Aster seinen Film beschrieben. Doch Western, zumindest die klassischen, benötigen Helden. Nur kommen hierfür weder Joe, dessen weißer Cowboyhut wie eine Verkleidung aussieht, noch Ted infrage, dessen casual cowboy wear eher wie plumpe Anbiederung an das gemeine Wahlvolk wirkt. Von den neu geschaffenen Techjobs in dem leuchtenden Klotz, der draußen in der Wüste vor sich hinsummt, werden die Einwohner von Eddington jedenfalls nichts haben.

Asters Porträt von Amerika lässt an keiner der sich unversöhnlich einander gegenüberstehenden Seiten etwas Gutes. Aber wirklich überparteilich ist er in seiner false balance der politischen Verhältnisse auch nicht. Denn für ein Pauschalurteil über den Zustand Amerikas zeichnet er die Manierismen und Befindlichkeiten der frühen 2020er-Jahre ein wenig zu akribisch (und polemisch) nach – auch wenn der Name Donald Trump kein einziges Mal fällt.

Vieles in „Eddington“ wirkt aus heutiger Sicht, gerade mal fünf Jahre später, fast schon wieder historisch. Was Aster noch wie eine Zeitkapsel der totalen Enthemmung beschreibt, ist inzwischen in einen Zustand der Normalität übergegangen. Vielleicht wirkt sein Film auch deswegen am Ende weniger provokativ, als der Regisseur sich das vielleicht vorgestellt hat.

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