
© Deutsche Kinemathek/Marlene Dietrich Collection Berlin
Bildband über Marlene Dietrich: Wie die Diva gegen die Nazis kämpfte
„Das einzig Wichtige, was ich je getan habe“: Marlene Dietrich absolvierte im Zweiten Weltkrieg mehr als 500 Auftritte für die US-Army. Davon erzählt jetzt ein Buch.
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Göttinnen sind manchmal auch nur Wesen aus Fleisch und Blut. Das gilt jedenfalls für Leinwandgöttinnen. „In the flesh!“, verspricht das Plakat, „Marlene Dietrich“.
Die Dietrich ist da, leibhaftig steht sie vor der Reklame, in einem märchenhaften Abendmantel wie aus tausendundeiner Nacht, den sie aus Paris mitgebracht hat. Neben ihr grinst ein US-Soldat in die Kamera, in Uniform und matschverschmierten Stiefeln, als käme er direkt aus dem Gefecht.
Stolberg, eine Kleinstadt bei Aachen, ist Ende November 1944 von schweren Kämpfen gezeichnet. Aber jetzt macht der Krieg kurz Pause. Zwischen Trümmern hat die Schauburg, ein 600-Plätze-Kino mit Revuebühne, die Zerstörungen nahezu intakt überstanden. „Troops invited“: Zweimal am Tag, um 13 und 15 Uhr, sind die Soldaten zu einem Showprogramm eingeladen.
Was für ein Willkommen
„Und dann kam die Dietrich heraus“, schreibt ein G.I., der den Auftritt einige Tage später erlebt, an seine Verlobte. „Es ist schwer, die Wirkung, die das auf die meisten Männer hatte, zu beschreiben. Du musst dir ein Theater vollgepackt mit Männern in jeder Art von Uniform vorstellen […]; in dieser Atmosphäre tritt eine sehr attraktive Frau in einem glitzernden Kleid auf die Bühne – und Junge, sie haben ihr ein Willkommen entgegengeschrien.“
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, 1944/45, hat Marlene Dietrich mehr als 500 Auftritte als Entertainerin der alliierten Streitkräfte absolviert, in Nordafrika, Italien, Frankreich, Belgien und Deutschland. Im Auftrag der United Service Organizations (USO) war sie mit einer Showtruppe von Komikerinnen und Musikern unterwegs. Manchmal sang sie auch auf der Ladefläche eines Lkws vor ihren „Boys“, den Rekruten.

© Deutsche Kinemathek/Marlene Dietrich Collection Berlin
Dieses Engagement nannte Dietrich später „das einzig Wichtige, was ich je getan habe“. Von den Tourneen, die die Sängerin mitunter kurz hinter die feindlichen Linien führten, erzählt Reiner Burger in seinem Buch „Marlene Dietrich an der Front“. Illustriert ist es mit 124 teilweise bisher unveröffentlichten Fotos, die aus ihrem Nachlass in der Deutschen Kinemathek in Berlin stammen.
Die Dietrich war ein Hollywoodstar der A-Kategorie, wo sie auftauchte, waren die Fotografen nicht weit. Sie lebte seit 1930 in den USA, war berühmt für ihre Beine und die Schlagfertigkeit. Nach einem Flop galt die Diva zwischenzeitlich als „Kassengift“, weshalb die Produktionsfirma Paramount den Vertrag mit ihr auflöste. Doch mit der Westernkomödie „Der große Bluff“ gelang ihr 1939 das Comeback.
Aus ihrer Verachtung für den Nationalsozialismus macht Marlene Dietrich keinen Hehl. „Sie hatte einen gut entwickelten Sinn für richtig und falsch, für gerechtes und ungerechtes Verhalten anderer“, konstatiert ihr Biograf Werner Sudendorf. Mit Billy Wilder und Ernst Lubitsch gründet sie einen Hilfsfonds zur Unterstützung jüdischer Flüchtlinge, holt Emigranten wie den Komponisten Franz Wachsmann (später Waxman) nach Kalifornien.
Joseph Goebbels umwirbt die Schauspielerin, will sie zurückholen nach Deutschland. 1936 bietet er ihr die immense Summe von 200.000 Reichsmark pro Film sowie freie Wahl von Stoff, Regisseur und Produzent an. Dietrich lehnt ab.
Als Marlene Dietrich 1937 die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragt, wirft ihr „Der Stürmer“, das NS-Hetzblatt, „Verrat am Vaterland“ vor. Zwei Jahre später erhält sie den US-Pass und legt den deutschen ab.

© Deutsche Kinemathek/Marlene Dietrich Collection Berlin
Marlene Dietrich war das, was man heute polyamourös nennt. Sie hatte viele Affären, liebte Männer und Frauen. Ihre „längste, leidenschaftlichste und zugleich quälendste Liebesgeschichte“, schreibt Reiner Burger, erlebt sie mit Jean Gabin. Frankreichs größter Filmstar kommt 1940 nach Hollywood, nachdem die Deutschen sein Heimatland besetzt haben.
Die Dietrich verführt und bemuttert Gabin, bringt ihm Englisch bei und kocht für ihn französische Hausmannskost, die er liebt. Das Bemuttern, befindet der „FAZ“-Journalist Burger, sei ihre „raffinierteste Art, ein begehrtes Gegenüber zu dominieren“. Gabin „hing an mir wie ein Waisenkind“, schrieb Dietrich später in ihrer Autobiografie. Doch umgekehrt ist die Abhängigkeit nicht geringer.
Wiedersehen in Algier
Ohne Jean Gabin wäre Marlene Dietrich mutmaßlich nie Truppenbetreuerin geworden. Er hofft in Amerika vergeblich auf Filmangebote und meldet sich Anfang 1944 zu den Panzertruppen der Freien Französischen Streitkräfte. Als Dietrich erfährt, dass Gabin in Algerien ist, bedrängt sie die USO-Chefs so lange mit Telefonanrufen, bis sie nach Nordafrika geschickt wird. In Algier kommt es zum Wiedersehen der Liebenden.
Reporter und Fotografen begleiten Marlene Dietrich bei ihren triumphalen Auftritten vor Armeeangehörigen. Bald geht es weiter nach Italien, wo die 5. US-Armee schwere Kämpfe mit den deutschen Truppen führt.
Die Schauspielerin trägt wie die Soldaten zwei Erkennungsmarken aus Metall um den Hals, mit denen sie im Todesfall identifiziert werden kann. Ihre Khakiuniform kombiniert sie gern mit einer hüftlangen Eisenhower-Jacke.

© Deutsche Kinemathek — Marlene Dietrich Collection Berlin
Eines fürchtet Dietrich noch mehr als den Tod: die Gefangennahme durch die Deutschen. „Man würde mich als ,Verräterin’ kahlscheren, steinigen, mit Pferden durch die Straßen zerren“, sagt sie US-Panzergeneral George S. Patton. „Wenn sie mich zwingen sollten, am Radio zu sprechen, bitte glauben Sie nicht, was ich sage.“ Patton gibt ihr einen Revolver.
Sie wird die Waffe nicht benötigen. Nachdem die amerikanischen Truppen die deutsche Grenze überschritten haben, sind immer zwei Leibwächter in Dietrichs Nähe. Als die Schauspielerin im November 1944 Aachen erreicht, die erste befreite deutsche Großstadt, toben im Hürtgenwald Kämpfe. „Todesfabrik“ nennen die G.I.s den Kriegsschauplatz in der Nordeifel.
Wenige Wochen später werden Marlene Dietrich und ihre Showtruppe bei Eupen von der deutschen Ardennenoffensive überrascht. Im Zickzackkurs können sie sich in ihren Jeeps in Sicherheit bringen. Auf dem Weg retten sie mehrere verwundete Soldaten und bringen sie ins Lazarett.
Am 8. Mai 1945 kapituliert Nazi-Deutschland. Marlene Dietrich trifft noch einmal Jean Gabin, auf einem Flughafen bei München während einer Panzerparade zu Ehren der Heerführer Bernard Montgomery und Charles de Gaulle.
„Was machst du hier?“, fragt der auf seinem Panzer stehende Gabin verdutzt. „Ich möchte dich küssen“, antwortet Dietrich. Sie küssen sich leidenschaftlich, und die Menge applaudiert.
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