zum Hauptinhalt
Die Villa Aurora in Kalifornien.

© Marc Rensing

Ausstellung zur Künstlerresidenz Villa Aurora: Daheim in der Fremde

Checkpoint California: Seit 20 Jahren empfängt die Villa Aurora Künstler aus aller Welt. Die Deutsche Bank Kunsthalle widmet ihr eine Ausstellung. Über ein Exil mit Seele.

Eine „entsetzliche Idylle“ herrsche hier, notierte Hanns Eisler im kalifornischen Exil. „Die Hölle muss Los Angeles gleichen“, schrieb Bertolt Brecht. Hoch auf den Hügeln von Pacific Palisades, am nördlichen Rand von L. A., trafen die beiden sich regelmäßig mit anderen Deutschen. Treffpunkt der Exilanten war ein Haus, das in Málaga oder Córdoba nicht weiter auffallen würde – hier aber sticht die mediterrane Villa Aurora heraus. Vor 70 Jahren machte Marta Feuchtwanger aus einem trockenen Acker einen blühenden Garten, während ihr Mann Lion im Schlafzimmer an seinem Spätwerk „Goya“ schrieb. Und heute? Wohnen hier Stipendiaten, Künstler.

Damals musizierten Eisler und Brecht bei den Feuchtwangers und diskutierten über die Folgen von Vertreibung. „Es gibt – leider – viele Parallelen zwischen unserer Zeit und damals“, sagt Alexandra von Stosch, die zum 20-jährigen Jubiläum der Künstlerresidenz die Ausstellung „Checkpoint California“ in der Deutsche Bank Kunsthalle in Berlin kuratiert hat. „Flucht und Exil, das ist ist wieder sehr aktuell.“

Alle Werke in der Ausstellung stammen von Stipendiaten der Villa Aurora. Fünf Künstler aus den Bereichen Bildende Kunst, Literatur, Performance, Musik oder Film beherbergt das Haus für jeweils drei Monate. Die Künstler arbeiten an ihren Werken – und hinterlassen ihre Spuren in den Produktionen der anderen. „Ein Ort der Transition, der Wandlung“, sagt von Stosch.

Die Villa Aurora für 9000 Dollar

Ein Blick auf den Anfang: Lion Feuchtwanger, Autor von „Jud Süß“ und „Geschwister Oppermann“, wurde 1929 als Nobelpreis-Kandidat gehandelt, 1932 musste er Deutschland verlassen. Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels bezeichnete ihn als „ärgsten Feind des deutschen Volkes“; 1933 werden seine Bücher verbrannt, seine Villa im Grunewald geplündert. Das Ehepaar gelangt ins französische Sanary-sur-Mer, wird ins Internierungslager Les Milles geschickt, von wo Lion Feuchtwanger in Frauenkleidern flüchten kann. Über die Pyrenäen gelangen die beiden nach Lissabon, von dort nach New York und Los Angeles.

1943 kaufen sie die Villa Aurora. 20 Zimmer, elektrische Spülmaschine, eineinhalb Fußballfelder Garten für 9000 Dollar. Das Haus ist in desolatem Zustand. Marta, die Seele des Hauses, richtet es mit Möbeln vom Trödler ein, bepflanzt den Hang und legt einen Weg zum Pazifikstrand an, den sie täglich hinabsteigt, um baden zu gehen. Auch ihren Mann verdonnert sie zu Gymnastik – und erträgt seine Affären. Lion Feuchtwanger sitzt im Schlafzimmer, schreibt – und sammelt Bücher an. 30 000 sind es bei seinem Tod 1958.

Idylle am Pazifik. Vor 70 Jahren machte Marta Feuchtwanger aus einem trockenen Acker einen Garten, während ihr Ehemann Lion Feuchtwanger an seinem Spätwerk schrieb.
Idylle am Pazifik. Vor 70 Jahren machte Marta Feuchtwanger aus einem trockenen Acker einen Garten, während ihr Ehemann Lion Feuchtwanger an seinem Spätwerk schrieb.

© Julia Lutz/Villa Aurora

Im Krieg treffen sich hier die wichtigsten deutschen Exilanten

In den Kriegsjahren treffen sich in der Villa Aurora die wichtigsten deutschen Exilanten in den USA: Neben Eisler und Brecht auch Fritz Lang, Kurt Weill, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Max Reinhardt, der im Hollywood Bowl den „Sommernachtstraum“ inszeniert. Und allen voran Thomas und Katia Mann, die ganz in der Nähe wohnen und alle zwei Wochen zum Salon kommen. Es sind goldene Jahre für das Haus der Morgenröte. Als Marta Feuchtwanger 1987 stirbt, vermacht sie die Residenz der University of Southern California, die eine Bibliothek im Namen der Feuchtwangers gründet, aber für das Haus keine Verwendung hat. Es wird für den Verkauf vorbereitet.

Es ist dann der Feuchtwanger-Biograf Volker Skierka, der einen Förderkreis für die Villa gründet, mit dem Plan, sie zu kaufen. Unterstützt von dem Literaturkritiker Fritz J. Raddatz, dem damaligen Rowohlt-Verleger Michael Naumann (heute Direktor der Barenboim-Said-Akademie) und der Journalistin Marianne Heuwagen hat er die Vision „einer Art Villa Massimo am Pazifik“. Bei der Finanzierung helfen die Stiftung Deutsche Klassenlotterie, der Berliner Senat, die Pressestiftung des Tagesspiegels - unter dem damaligen Herausgeber Lothar C. Poll - und zahlreiche private Spender. Noch während der Umbauarbeiten, vor der Eröffnung am 1. Dezember 1995, zieht Heiner Müller ein, der erste Stipendiat. Er erholt sich von seiner Krebsoperation, schreibt „Germania 3“. Heute hängt im Haus ein Bild von ihm, Müller mit nacktem Oberkörper an Feuchtwangers Schreibtisch.

Wolfgang Becker schrieb hier „Goodbye, Lenin!“

301 Künstler sind seitdem gefolgt: Wolfgang Becker schrieb hier am Drehbuch zu „Goodbye, Lenin!“, Durs Grünbein lebte hier, Rosa von Praunheim, Thomas Florschütz und natürlich die Künstler der Berliner Ausstellung: Nairy Baghramian, Rosa Barba, Peggy Buth, Sabine Hornig, Christian Jankowski, Michael Just, Philipp Lachenmann, Albrecht Schäfer, Thomas Struth. Viel Zeit, sich zu akklimatisieren, haben die Stipendiaten nicht.Drei Monate werden sie in eine andere Kultur hineingeworfen und machen bald wieder Platz für neue Gäste. In der Ausstellung zeigt das Werk von Peggy Buth solche Übergangsphasen: 183 Schwarz-Weiß-Fotografien, direkt am Eingang, mit den Sternen des Walk of Fame. Anders als die Stars am Hollywood Boulevard tragen die Sterne allerdings keine Namen, versinnbildlichen Träume von künftigem Ruhm.

Ein Bild der Villa Aurora.
"Entsetzliche Idylle" unter der Sonne Kaliforniens: das notierte zumindest Hanns Eisler in seinem Exil in der Villa Aurora..

© Katja Gimpel

Die Villa Aurora ist auch ein Ort der Wiederbelebung, der Wiederholung, wenn man so will. Die Literatur-Stipendiaten – Schriftsteller wie Felicitas Hoppe oder Ilija Trojanow – lesen Feuchtwangers Bücher, schreiben an seinem Schreibtisch, schlafen in seinem Bett. Und im Salon, in dem früher Bert Brecht und Thomas Mann des lieben Abendfriedens wegen ihre Antipathien zurückstecken mussten, müssen heute wieder verschiedenste Künstler miteinander auskommen.

Transition, Wiederholung und das Exil als verbindendes Moment: Alle Bewohner der Villa Aurora kommen von weither, als Emigranten oder als Besucher auf Zeit. Für verfolgte Journalisten und Autoren hat die Villa bereits 18 Mal längere Stipendien vergeben, etwa an den mittlerweile in Berlin lebenden iranischen Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan oder die in die Türkei emigrierte Syrerin Yasmin Merei. Die Vertreibung als essenzieller Bestandteil der Villa: Das unterscheidet den Geist des Hauses von dem seiner großen italienischen Schwestern, der Villa Romana in Florenz und der Villa Massimo in Rom.

Ein ständiger Austausche zwischen Fremde und Heimat

Max Klinger, der Gründer der Villa Romana in Florenz, wollte „talentvolle Künstler eine Zeit lang an schönem Orte“ zusammenbringen, die sich von den Kunstschätzen der Renaissancestadt inspirieren lassen. Auf den Hügeln von Pacific Palisades befinden sich die Künstler fernab des alten Europa. Es herrscht WG-Atmosphäre: Man begibt sich nicht in Ateliers wie in Rom und Florenz, sondern arbeitet im Wohnzimmer, in den Schlafzimmern, im Gartengeschoss. Die Künstler laufen sich über den Weg, inspirieren oder stören einander. Und manchmal öffnet das Haus seine Pforten, nimmt teil am Hollywood-Glamour: Wenn die Oscars vergeben werden, treffen sich die Nominierten aus Deutschland hier zum Empfang.

Annette Rupp, Geschäftsführerin des Stipendiatenprogramms, erläutert den ständigen Austausch zwischen Fremde und Heimat. „Die Ergebnisse der künstlerischen Arbeit in Kalifornien werden regelmäßig in Berlin präsentiert.“ Lion Feuchtwanger schrieb 1938, noch im französischen Lager: „Ja, Exil zerrieb, machte klein und elend. Aber Exil härtete auch und machte groß, reckenhaft.“ Damals bedeutete das Exil eine existentielle Erfahrung, mit der Villa Aurora als Zufluchtsstätte. Für heutige Stipendiaten ist ein Segen daraus erwachsen.

Bis 28. Juni. Deutsche Bank Kunsthalle, Unter den Linden 13–15, tägl. 10–20 Uhr. Infos: www.deutsche-bank-kunsthalle.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false