
© Christoph Brech
"Ansichten" des Fotokünstlers Christoph Brech: Das Auge des Entdeckers
"Ansichten": Der Fotokünstler Christoph Brech wandert auf den Spuren Johann Gottfried Schadows durch Berlin.
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Wer jetzt das vom Deutschen Bundestag für 17 Millionen Euro kostbar restaurierte frühere Wohnhaus des Bildhauers Johann Gottfried Schadow in der Schadowstraße in Berlin-Mitte betritt, stößt auf eine Sensation. Im Erdgeschoss wurden mehrere moderne Ausstellungsräume eingerichtet, und gleich zu Beginn fällt der Blick auf einen mächtig dramatischen Sandsteinfries. Mit Göttern und Geistern der Lüfte, Winde und Fluten.
Die Naturgewalten hatte Schadow im Jahr 1800 als Finale eines 36 Meter langen Figurenzyklus für die königliche Münze am Werderschen Markt entworfen. Doch das alte Münzgebäude existiert seit langem nicht mehr, eine Kopie des Schadow-Frieses prangt heute in der Fassade des Palais Schwerin am Molkenmarkt, aber das Original ruhte bisher im Verborgenen. Hier im Schadow-Haus sind nun die letzten fünf der insgesamt 39 Teile des gewaltigen Bilderreigens – eines Hauptwerks der klassizistischen Skulpturkunst – erstmals wieder in ihrer Ursprungsgestalt zu sehen.
Das verdankt sich dem gerade gefeierten 250. Geburtstag Schadows und der Findigkeit des soeben 50 gewordenen Münchner Foto- und Videokünstlers Christoph Brech. Die Kunstsammlung des Bundestages, die Brech bereits vor zwei Jahren in einer exquisiten Ausstellung im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus präsentiert hatte, bietet im Schadow- Haus nun unterm schlichten Titel „Ansichten“ einen symbolischen Dialog zwischen dem Jubilar und dem Künstler von heute. Es ist die denkbar schönste Ergänzung auch zur Schadow-Schau derzeit im Berliner Ephraim-Palais.
Christoph Brech, zwischen Venedig und Taipeh, Barcelona und Boston, München, Dresden, Rom oder Wien in den großen Museen und Galerien präsent, hat das Auge des Entdeckers. So ist er in Berlin in einen der schatzkellerartigen Geheimorte der Stadt gedrungen: in das sonst abgeschlossene Depot unter dem Schinkelschen Nationaldenkmal für die Befreiungskriege auf dem Kreuzberg. Dort, direkt unterm Gipfel der mit 66 Metern höchsten natürlichen Erhebung der Berliner Innenstadt, lagert nämlich seit 25 Jahren der originale Schadow-Fries in einem vergitterten Gewölbe, in einer Mischung aus romantischer Wunder- und Gespensterkammer. Auf Brechs großformatigen, düster leuchtenden Farbfotos der Skulpturengruft eröffnet sich nun unverhofft die (so betitelte) „Unterwelt“ eines Orts, von dem ein Kreuzbergbesteiger kaum etwas ahnt.
Brech hatte zuletzt unter anderem in den Verließen und sonst unzugänglichen Orten der Vatikanischen Museen fotografiert. Jetzt führt sein Dialog mit Schadow immer wieder zu überraschenden Blicken hinter die Kulissen der Staatlichen Museen. Abgüsse von Schadows „schöner“ Königin Luise und ihrer Prinzessinnenschwester Frederike oder des knabenhaften Grafen Alexander, vermutlich vergifteter illegitimer Sohn von Friedrich Wilhelm II., korrespondieren auf Brechs Bildern mal tagträumerisch suggestiv, mal subtil witzig mit anderen Ablagen im Depot: mit antiken ägyptischen Königen und allerlei Grünzeug nebenan oder heutigen Feuerlöschern, Telefon und Verbandskästen an der Wand. Das alles ist nie eigens arrangiert, Brech arbeitet durchweg ohne digitale Montagen, er öffnet nur den Blick für das sonst Übersehene, für die Mythen des Alltags.
Auch in der Kunsthalle Schweinfurt stellt Brech gerade aus
Der Videokünstler ist auch zu Schadows Quadriga aufs Brandenburger Tor gestiegen und lässt uns unter einem Huf hindurch ins jetzige Getriebe auf dem Platz vor Tor blicken. Spektakulärer aber wirkt der Sechsminuten-Loop auf großer Leinwand. Erst nur ein Schatten, dann wächst wie aus Nebelschleiern die dunkle Kontur einer sich um sich selbst drehenden weiblichen Figur, bis ein erster Schein auf die Mitte des Körpers fällt und die Gestalt von innen und außen zu leuchten beginnt und mit dem wachsenden Licht selber wächst, die funkelnde Oberfläche zur zweiten Haut wird und die Nacktheit zum natürlichen Gewand. Es ist, so raffiniert, aber ohne Effekthaschen gefilmt, das rotierende Abbild einer nur 35 Zentimeter hohen, in einer Seitenvitrine stehenden „Tänzerin“ Schadows, die hier nach 200 Jahren zu neuem geisterhaftem Leben erweckt wird.
Man kann Christoph Brechs Magic Eye noch bis zum 7. Juni auch im KunstBüro Berlin, einer Galerie in der Uhlandstraße 162, erkennen, wo eine Reihe großformatiger Fotografien aus dem Innenraum des römischen Pantheons ausgestellt sind: Spiele mit dem natürlichen Lichteinfall durch die offene Kuppel und zugleich Ausblicke aus diesem ältesten Gebäude Roms in die Gegenwart. Die Bilder finden sich ebenfalls in einer kürzlich eröffneten großen Brech-Retrospektive in der Kunsthalle Schweinfurt.
Ausgangspunkt der Ausstellung dort ist ein Video: Erst nur Schwärze, dazu eine Musik, in die sich ein Rauschen mischt. Wie durch’s dunkle Universum schwebt plötzlich ein goldener Schwan. Dann noch mehr golden leuchtende Schwäne, im Schwarz dahintreibend – und mit der Musik und dem Rauschen sehr langsam und in rätselhafter Schönheit wieder aus dem Bild verschwindend.
Das Dunkel ist das nachtschwarze Wasser unter einer Brücke über dem ansonsten zugefrorenen Landwehrkanal in Berlin-Kreuzberg; das Gold der Schwäne war der Widerschein des Reklamelichts eines türkischen Dönerladens, die Szene hatte Brech im Winter 2012 bei minus 17 Grad abends von der Brücke aufgenommen. Kein Trick, nur Slow-Motion und das Hintergrundrauschen des Berliner Verkehrs mit dem Vorspiel aus Wagners „Lohengrin“ gemischt. Der Titel des Films ist „Monsalvat“, so heißt die von himmlischen Vögeln umschwebte Gralsburg in der Oper. Die Retrospektive hat nun das Motto „it’s about time“, und frei nach Wagners „Parsifal“ gilt auch für Brech: Zum Raum wird hier die Zeit.
„Ansichten“ im Schadow-Haus bis 14. September, Schadowstraße 12, Di-So 11 bis 17 Uhr (Eintritt frei). Die Retrospektive Christoph Brech „it’s about time“ in der Kunsthalle Schweinfurt bis 14. 9., Di-So 10 bis 17 Uhr (Do 21 Uhr), Katalog 29, 90 €.
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