
© imago/Votos-Roland Owsnitzki
Das Berghain wird 20: Liebeserklärung an eine Legende
Viele Berliner Clubs stecken in Schwierigkeiten, einige müssen sogar schließen. Unbeeindruckt von der Krise ist das Berghain, das jetzt sein 20-jähriges Bestehen feiert. Wie macht es das?
Stand:
Auch ein Mythos fängt mal klein an. Im Falle des Berghains sogar gleich mehrmals. Zwei Monate bevor der Club vor 20 Jahren eröffnete, fand die erste Party in der Panoramabar statt, dem House Floor einen Stock weiter oben, weil in der großen Halle des ehemaligen Heizkraftwerks mit der markanten stalinistischen Architektur noch Baustelle war.
Der 15. Oktober 2004 war ein Freitag. Ohrenzeugen berichten, dass Ricardo Villalobos, charismatischer Großmeister der endlosen DJ-Sets und stets umschwirrt von einer Gruppe glamouröser Rave-Satelliten, gegen Mittag eine Platte mit Otto-Witzen in den hypnotischen Strom an Beats und Sounds mischte.
Die erste Party im Ostgut wiederum, dem Vorgängerclub, ohne den es das Berghain nie gegeben hätte, fand quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das lag auch am Termin. Sie war am 1. Januar 1998. Heute schwer vorstellbar, aber damals waren Clubnächte noch Veranstaltungen, die ungefähr dann zu Ende gingen, wenn der Tag begann. Außer ein paar fast nackten Stammgästen aus dem schwulen Sexclub nebenan verirrte sich kaum jemand in die zugige Lagerhalle mit der schepprigen Anlage. Das sollte sich gründlich ändern. Aber erst mit den Jahren.
Dass Berlin für die elektronische Musik das wurde, was Florenz für die Kunst der Renaissance war, der Mittelpunkt der tanzenden Welt, das hat natürlich nicht nur, aber doch einiges mit dem Berghain zu tun. Hier wurde Techno wieder cool.
Ausgangspunkt schwule Fetischszene
Die Gründer, Norbert Thormann und Michael Teufele, mittlerweile ausgeschieden, haben sich in den frühen 90er Jahren im E-Werk kennengelernt, einem ehemaligen Umspannwerk von epischer Schönheit in Sichtweite des Mauerstreifens (heute eine Event-Location). Sie gründeten den Snax-Club, eine schwule Fetisch-Partyreihe, zu der schon mal Jean-Paul Gaultier aus Paris angejettet kam und von der Wolfgang Tillmans berühmte Fotos machte.
Eine Weile fanden die Partys im Bunker in der Reinhardt-Straße statt, wo heute Christian Borros auf Anfrage seine Kunstsammlung zeigt. Später eröffneten sie den Men-only-Club Laboratory am Ostbahnhof und mieteten die Halle nebenan.
Da passierte etwas Ungewöhnliches. Nicht sofort, aber doch allmählich mischten sich zwei Gruppen, die sich sonst weder auf der Tanzfläche noch sonst wo begegneten. Die schwule Fetisch-Szene, bei deren Partys Musik nicht die Hauptrolle spielte, und die damals etwas heimatlose Rave-Szene, die bis dato nicht neben dem Eingang zum Darkroom tanzte.
Im größeren, schöneren, mit einer deutlich besseren Anlage ausgestatteten Berghain entwickelte sich diese ganz eigene Mischung dann zu einem weltweit beachteten Phänomen. Den Sound lieferten die frühen Resident-DJs wie etwa Ben E Klock, Marcel Dettmann und Norman Nodge. Sie verhalfen Techno zu einer neuen Hochphase, nachdem die Musik ein paar Jahre eher uninspiriert und mit Hang zum Stupiden war, der sich schon im Namen des damals populären Stils ausdrückte: Schranz.
Techno in eine neue Hochphase geführt
Im Berghain dagegen lief ein klassischer Sound, etwas langsamer, dubbig, eleganter, in hypotischen Schleifen. Man hatte bald das Gefühl, die Stücke werden extra produziert für diese Anlage, diesen Ort, diese Partys. Die liefen immer länger. Bis mittags, bis nachmittags, irgendwann wurden Stars auf Sonntagabend gebucht, was auch heute vielen als Prime-Time gilt.
Es entstand auch ein eigenes journalistisches Genre: die „Ich war im Berghain“-Reportage mit möglichst vielen grellen Details. Sogar der „New Yorker“ schickte einen seiner berühmtesten Kulturreporter, der gleich eine ganze Woche in Berlin blieb und eine mittelschwere Paranoia entwickelte, ob er denn an den Türstehern vorbeikommen würde (kam er, über die Gästeliste eines Gast-DJs aus England).
Die legendäre Türsituation ist seit etwa 2008 ein Dauerthema. Auch wenn es damals weder Whatsapp-Gruppen mit vierstelligen Mitgliederzahlen gab, die über die Länge der Schlange und den Reinkommquotienten informierten, noch Online-Simulationen, bei denen man trainieren kann, wie man es an den Türstehern vorbeischafft.
Legendär verschwiegene Betreiber
Zu einem Mythos gehört ein Geheimnis. Legendär verschwiegen sind die Clubbetreiber. Sie sprechen grundsätzlich nicht mit der Presse. Und kommunizieren auch sonst sehr sparsam. Auf dem Instagram-Account (241.000 Follower) ist genau ein Post: ein Foto des Schilds mit dem Fotoverbot, das im Club herrscht.
Und zu einem Mythos gehört auch, dass man ihn nicht exakt vermessen kann. Höchstens umreißen. Wie wichtig ist das Berghain für Berlin? Wichtiger als, sagen wir, die Philharmonie? Kommen dafür mehr Besucher aus dem Ausland angereist? Ist es ein weicher Standortfaktor, der Gründer dazu bewegt, sich nicht im Silicon Valley, sondern im coolen Berlin niederzulassen? Könnte es ein Vorbild sein für die unter harschen Kürzungen leidende Kulturbranche, wie der in Bedrängnis geratene Senator Joe Chialo es gerade ins Spiel brachte?
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Sicher ist: Es steht für vieles, was die Stadt besonders macht. Ohne Kultur sei Berlin „wie Bielefeld mit big builidings“, sagte Opernregisseur Barrie Kosky neulich, der im Berghain schon eine Oper inszenierte. Und es steht für vieles, was aktuell gefährdet ist.
Techno mag seit diesem Frühjahr immaterielles Weltkulterbe sein, der Clubszene selbst hat das bislang keinen nennenswerten Vorteil gebracht. Das Geschäftsmodell wird merklich schwieriger. Die Kosten gehen in allen relevanten Bereichen rauf, gleichzeitig sinkt die Kaufkraft.
Gleich zwei etablierte Läden schließen gerade, das Watergate nach 22 Jahren, die Wilde Renate nach 17 Jahren. Beide haben denselben Vermieter und sagen, sie könnten die Mieterhöhungen nicht mehr bezahlen. Auch das About Blank hat zu kämpfen, nicht nur wegen der drohenden Stadtautobahn-Erweiterung.
Nun könnte man lange argumentieren, dass es auch ganz gesund sei für die Szene, wenn Clubs schließen und neue entstehen, eine Subkultur sollte vielleicht nicht zu etabliert werden. Allerdings sind in einer Stadt, die nicht nur teurer, sondern auch dichter wird, kaum Orte zu finden, an denen das stattfinden kann. Anders als in den 90er Jahren, als das permanente Umziehen zum Markenzeichen der Berliner Szene wurde.
Nie uncool geworden
Dieses Problem hat das Berghain nicht, das Gebäude gehört dem Club. Und noch etwas hat es geschafft. Es wurde nie uncool. Andere Clubs, die seit Jahrzehnten laufen, wie etwa der Tresor, hatten da eine viel bewegtere Geschichte mit Aufs und Abs. Das Berghain schaffte es, sich immer wieder im laufenden Betrieb neu zu erfinden. Neue Resident-DJs kamen, freitags sind nun Fremdveranstaltungen, am Donnerstag in der Säule läuft experimenteller Sound.
Seinen dunklen Glamour hat es dabei nie verloren. Es bleibt gleichzeitig exklusiv: Es ist schwer, reinzukommen. Und inklusiv: Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Herkunft … all das spielt keine Rolle, wenn man sich die 25 Euro Eintritt leisten kann oder es irgendwie schafft, auf die seit Corona deutlich verkürzte Gästeliste zu gelangen.
Am Samstag, zum Jubiläum, legen DJs auf, die für die Gegenwart des Clubs stehen, aber auch welche, die die letzten 20 Jahre geprägt haben. Und die Zeit davor. André Galluzzi beispielsweise rückte zur legendären Closing-Party des Ostgut 2002 mit gleich sieben Plattenkoffern an und legte 16 Stunden am Stück auf, bis die Letzten gegangen waren.
Unwahrscheinlich, dass jemand eine Platte von Otto dabeihaben wird. Aber auch nicht völlig unmöglich.
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