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Salomon „Sally“ Perel, NS-Überlebender, der als „Hitlerjunge Salomon“ den Nazis entkam.

© dpa / Marijan Murat

Das Dilemma eines 14-Jährigen: Zum Tod des Holocaust-Überlebenden Sally Perel

Er war ein Opfer, das sich auch als Täter fühlte: Ein Nachruf auf den Holocaust-Überlebenden Salomon Perel, der als „Hitlerjunge Salomon“ den Nazis entkam.

Als Sally Perel sich nach fünf langen Jahrzehnten endlich dazu entschloss, seine ungewöhnliche, erschütternde und nahezu unglaubliche Lebensgeschichte zu erzählen und veröffentlichen zu lassen, erklärte er zunächst in einem kurzen Prolog, was für Skrupel ihn so lange davon abgehalten hatten.

Perel fragte: „Hatte ich wirklich das Recht, mich mit den Überlebenden des Holocaust zu vergleichen?“ Und: „Hatte ich das Recht, mich als Teil ihrer Geschichte zu vergleichen, meine Erinnerungen mit den ihren auf eine Stufe zu stellen?“

Der Grund für diese Zögerlichkeit: Salomon Perel, der 1925 im niedersächsischen Peine als jüngster Sohn strenggläubiger Juden geboren wurde, überlebte den Holocaust als Hitlerjunge. Als Junge, „der unbehelligt unter den Nazis umhergegangen war, der „Heil Hitler“ gerufen hatte, „als hätte ich mich tatsächlich mit ihrer verbrecherischen Ideologie und barbarischen Zielen identifiziert.“

 Mir schien damals - und mir scheint auch heute -, dass das Recht auf Leben über dem Glauben und der Religion steht.

Salomon Perel

Die Schuldgefühle vieler Überlebender gegenüber den sechs Millionen von den Nazis ermordeten Juden, gegenüber den eigenen toten Angehörigen, nämlich noch am Leben zu sein, die hatten sich bei Perel durch sein „Überlebensabenteuer“, wie er es manchmal nannte, in seinem Fall noch einmal potenziert. Doch sein Trauma ließ sich irgendwann nicht mehr verdrängen. Also schrieb er als fast Siebzigjähriger davon, wie er in den lebensgefährlichen Wirren jener Zeit den Nazis entkam.     

Perel wurde 1925 in Peine geboren

1935 verließen seine Eltern mit ihren vier Kindern Peine, weil die Lebensbedingungen für sie unerträglich geworden waren. Salomon durfte nicht mehr zur Schule gehen, das Schuhgeschäft der Eltern wurde zerstört, der Vater zu Zwangsarbeiten bei der Straßenreinigung und bei der Müllabfuhr herangezogen.

Im polnischen Lodz fand die Familie bei einer Schwester der Mutter Unterschlupf; als die Wehrmacht 1939 in Polen einfiel und die Gerüchte von einem Ghetto sich bewahrheiteten, schickten die Eltern Sally und seinen damals schon 29 Jahre alten Bruder Isaak nach Ostpolen, wo sie dann aber von den immer weiter nach Osten vordrängenden Nazis festgenommen wurden. Perel gab sich vor ihnen als „Volksdeutscher“ aus, als Josef Perjell, als ihn ein Soldat fragte, ob er Jude sei. 

Als „Dilemma“ hat Perel die Antwort auf diese Frage in einem Tagesspiegel-Interview vor genau einem Jahr bezeichnet, weil er damit seinen Vater und seine jüdische Herkunft verleugnete. „Ich solle im Leben ein Jude bleiben und nie vergessen, wer ich bin“, habe der Vater zu ihm gesagt. „Du sollst leben“ dagegen die Mutter. Und er wusste, er würde sofort erschossen werden, wenn er die Frage bejaht hätte: „Mir schien damals - und mir scheint auch heute -, dass das Recht auf Leben über dem Glauben und der Religion steht.“

So wurde Perel zum Hitlerjungen Salomon. Er arbeitete in Polen zunächst als Übersetzer für die Wehrmacht und wurde 1944 in die Heimat zurückgeschickt, in die Akademie für Jugendführung der Hitlerjugend Braunschweig.

Nach dem Krieg nahmen ihn die Amerikaner in Gefangenschaft, entließen ihn aber gleich wieder. 1948 ging Perel nach Palästina, um hier kämpfend den israelischen Staat mitzubegründen. Perel hat sich schließlich in Folge lange  als Täter und Opfer zugleich verstanden, auch deshalb sein langes Schweigen. Von seiner Familie überlebten nur seine Brüder Isaak und David den Holocaust.

Als er sich dann von seinem seelischen Druck und seinen schmerzlichen Erinnerungen „befreit“ hatte, wie er es in seinem Buch nennt, als das Buch 1990 erst auf Französisch erschien (1992 in Deutschland) und im selben Jahr von Agnieszka Holland verfilmt wurde, verließ Perel mindestens zweimal im Jahr Israel und ging auf Vortrags- und Lesereise.

Auf dass seine Lebensgeschichte und mehr noch der Holocaust und die Verbrechen der Deutschen niemals in Vergessenheit geraten mögen. Nun ist Sally Perel im Alter von 97 Jahren in seinem Haus in Tel Aviv gestorben.

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