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Gruppenbild mit Selfie. Lässig sind wir schon, den Rest schaffen wir auch noch.

© imago images/MASKOT

Kohorten und Konflkte: Das dunkle Prinzip des Überlebens

Mal links, mal liberal, mal konservativ: Die Schriftstellerin Nora Bossong und ihr essayistisches Generationenporträt „Die Geschmeidigen“.

Die Debatten der Gegenwart werden gerne als Generationenkonflikte dargestellt. Man erspart sich damit lästige Differenzierung und kann die Kontrahenten wie um einen familiären Festtagstisch gruppieren. Der vegane Teenager tritt dann gegen die Oma Umweltsau an, die Generation Greta gegen die Boomer und die „Schneeflocken“ aus dem zweiten Semester gegen die „alten weißen Männer“.

Etwas aus den Schlagzeilen geraten ist die Kohorte dazwischen, die den Mauerfall in jungen Jahren erlebte, erst spät einen eigenen Computer geschenkt bekam, und in der Spaßgesellschaft der Neunziger erwachsen wurde. Nora Bossong nennt sie „Die Geschmeidigen“.

So lautet auch der Titel ihres jüngsten Buchs, in dem sich die 1982 geborene Schriftstellerin an einem politischen Porträt ihrer Generation versucht. Warum geschmeidig? „Biegsam, nachgiebig, leicht zu bearbeiten, so definiert das etymologische Wörterbuch das Geschmeidigsein. Übersetzt ins Politische, kann das einen Mangel an Härte und Beharrlichkeit bedeuten, einen Hang zum Angepasstsein, gar zum Opportunismus.

[Nora Bossong: Die Geschmeidigen. Meine Generation und der neue Ernst des Lebens. Ullstein, Berlin 2022. 240 Seiten, 19,99 €.]

Es kann aber auch bedeuten, dass sich Geschmeidige leicht in neue Situationen einfügen, kompromissfähig sind und nachgeben können, dass sie die ideologische Verhärtung hinter sich gelassen haben und über Parteigrenzen und unterschiedliche Wertvorstellungen hinweg das Verbindende finden, wo andere nur auf das Trennende blicken.“

Prädestiniert für die Vermittlerrolle

Aufgrund dieser Eigenschaften seien die Geschmeidigen prädestiniert für die Rolle eines Vermittlers „zwischen einem trägen ‚Weiter so’ der Älteren und der Umsturzwut der Jüngeren“. Als größte Herausforderungen nennt Bossong: Klimawandel, soziale Spaltung, die Erosion der EU, den Aufstieg Chinas, Verschwörungstheorien und Falschinformation, aber auch die Jüngeren an sich.

Während Bossong den Älteren vor allem Bequemlichkeit attestiert, unterstellt sie diesen (Stichworte: Identitätspolitik, Klimaaktivismus) eine Tendenz zur Spaltung und Demokratiefeindlichkeit: „Wenn sowohl der gesellschaftliche als auch der klimatische Kipppunkt überschritten sind, wird der Ruf nach einem Umsturz des parlamentarischen Systems so laut werden, dass man die weniger radikalen Vorschläge kaum noch wird hören können.“

Nora Bossong schreibt für gewöhnlich Romane und Gedichte, sie ist keine Soziologin, was ein Grund dafür sein könnte, dass ihre Analyse eher von Rhetorik und Dramaturgie denn kühler Argumentation gestützt wird.

Es liegt somit nahe ihr Buch als literarisches Werk zu lesen, als Heldengeschichte einer bürgerlichen Mittelschicht, die ein bisschen wohlverstandsverwahrlost, sorglos und mit netten Eltern aufwuchs, der Karriere und Konsumverhalten bislang immer wichtiger war als alles andere. Und die nun aber gefragt ist, gegen alle Widerstände und vor allem die eigene Trägheit antretend die Welt zu retten.

Quer durchs Jammertal

Doch der Plot hat seine Schwächen. Die Exposition zieht sich, Bossong zählt alle Krisen auf, die ihrer Generation begegneten. Vom 11. September aus dem wohligen Traum vom Ende der Geschichte gerissen, geht es quer durchs Jammertal: Finanzkrise, Massenmigration, Rechtspopulismus, Trump, Brexit, Afghanistan. Im Präteritum berichtet sie sogar noch von der Corona-Pandemie, als richtete sich ihr Buch nicht an Leser, die all das durchaus selbst mitbekommen haben, sondern – ein Akt vorsorglicher Historisierung? – schon jetzt an die Ungeborenen.

Der Stil schwankt zwischen Leitartikel und präsidialem Ton („Anders als die Vergangenheit lässt sich die Zukunft noch ändern“), verfällt aber auch gerne mal in ein unheilsschwangeres Raunen, wie bei der Sache mit den Killerpinguinen im Dresdner Zoo.

„Zuerst stürmten sie auf ein junges Elternpaar, das offensichtlich am Schreck starb, später zog das Killerpaar noch einmal los und tötete zwei Pinguinjunge. Ist die Aggression einer von Pegida-Kundgebungen und Fremdenangst aufgeladenen Stadt schon auf die Tiere übergegangen, oder ist das Prinzip des Überlebens doch dunkler, als wir glauben wollen?“

Da Bossong nicht selbst antwortet, hier eine kurze Entwarnung: Nach allem, was bekannt ist, handelt es sich bei den Killerpinguinen um unpolitische Einzeltäter.

Ein Generationenbuch ist „Die Geschmeidigen“ indes nicht. Wenn Bossong von einem „Wir“ spricht, meint sie damit Eliten aus Politik, Wissenschaft und Kultur. Der Schriftsteller Daniel Kehlmann, Ex-Siemens Managerin Rosa Riera und Spitzenpolitiker wie Katja Kipping (Linke), Christian Lindner (FDP), Lars Klingbeil (SPD) und Paul Ziemiak (CDU) kommen zu Wort. Bossong zeigt sich so betont offen für alle Lager, wie sie es ihrem „Wir“ zuschreibt.

Mal linksrum, mal rechtsrum

Ihre Vorstellungen für die Zukunft klingen mal links, mal liberal, mal konservativ. Anstelle des Wohlfahrts- fordert sie einen Innovationsstaat, was immer das bedeuten mag. Sie ist gegen Gendersternchen und ein Schulsystem, das sozial Schwache benachteiligt, für eine offensivere europäische Verteidigungspolitik und eine Abkehr vom Dogma des Wachstums.

Wie passt all das zusammen? Gar nicht, zumindest nicht im Sinne eines geschlossenen Programms, was für Bossong ja gerade eine Stärke ihrer Generation definiert. Fernab jeder Ideologie könne diese in Ruhe über alles reden. Es scheint mithin, als verteidigte sie die Demokratie gegen ihre eigene Gesetzmäßigkeit: Konflikt, Streit, Machtkampf. Es liegt ihr fern, gerade in der antagonistischen Struktur eines Systems dessen zugleich stabilisierendes wie innovatives Potenzial zu erkennen.

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Ihre Plädoyers lesen sich denn auch wie das Referat eines beim zweiten Sekt übermütig gewordenen Technokraten. Ist eine Vermittlerposition so denkbar? Auf Menschen, die Angst vor einem unbewohnbaren Planeten haben, dürfte Bossongs eigene Vorstellung einer Apokalypse schlicht mickrig wirken, fürchtet sie doch vor allem eine Entwertung der Institutionen.

Ihr Credo lautet: „Wenn wir wollen, dass vieles sich ändert, müssen wir auch dafür sorgen, dass manches so bleibt, wie es ist.“ In „Die Geschmeidigen“ drückt sich so das Gegenteil dessen aus, was die Autorin anfangs verspricht. Große Sprünge sind von der hier beschriebenen Schicht nicht zu erwarten. Bossongs Heldengeschichte endet im Limbus, in der intellektuellen Groko.

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