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Erinnerung an den nächtlichen Überfall auf Antwerpen 24./25. August 1914, Zweisprachiges Plakat.

© Sammlung der Stadt Antwerpen, Letterenhuis

Das Ephraim Palais ehrt Paul van Ostaijen: Nach 101 Jahren zurück in Berlin

Im Oktober 1918 floh der flämische Avantgarde-Dichter aus Antwerpen in die deutsche Hauptstadt. Hier schuf er sein Hauptwerk - und war doch lange vergessen.

Nach 101 Jahren sind die Manuskripte, die der flämische Dichter, Aktivist und Kunstsammler Paul van Ostaijen (1896-1928) in Berlin geschaffen hat, nach Berlin zurückgekehrt. Sie stehen im Zentrum der Ausstellung „BOEM! (Sprich BUMM). Paul van Ostaijen in Berlin“, die das Museum Ephraim-Palais in Zusammenarbeit mit dem Letterenhuis Antwerpen, der Kulturorganisation De Buren und der Flämischen Regierung präsentiert. Van Ostaijen gehört zu den Pionieren der niederländisch sprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. In Berlin, wo er 1921 sein Hauptwerk schuf, ist er nahezu unbekannt.

Als linker flämischer Aktivist hatte van Ostaijen sich für die Gleichberechtigung des Niederländischen im französisch dominierten Flandern eingesetzt, was ihm eine Haftstrafe von drei Monaten einbrachte, der er sich im Oktober 1918 durch die Flucht nach Berlin entzog. Dabei half ihm seine Freundin Emma Clement, die Kontakte in die avantgardistische Kunstszene Berlins hatte.

"BOEM" - eine Seite aus Paul van Ostaijens Gedichtband "Bezette Stad" (Besetzte Stadt) begrüßt die Besucher der Ausstellung auf einer ganzen Wand.
"BOEM" - eine Seite aus Paul van Ostaijens Gedichtband "Bezette Stad" (Besetzte Stadt) begrüßt die Besucher der Ausstellung auf einer ganzen Wand.

© Rolf Brockschmidt

Von Berlin versprach sich van Ostaijen einen radikalen Neuanfang. Er hoffte darauf, dass der Krieg die alte bürgerliche Welt hinwegfegen und dass ein neues freies sozialistisches Europa entstehen würde. Was Krieg bedeutet, hatte er in Antwerpen erlebt. Ein Druck in der Ausstellung zeigt einen deutschen Zeppelin, der in der Nacht Bomben auf einen Marktplatz in Antwerpen wirft – Erinnerungen an die kürzlichen Bombardierungen ukrainischer Städte drängen sich auf. In Berlin verarbeitete er seine Eindrücke aus dem bombardierten und besetzten Antwerpen in seinem typografisch aufwändig gestalteten Hauptwerk „Bezette Stad“ (Besetzte Stadt).

Die Ausstellung empfängt den Besucher mit der Vergrößerung einer Seite aus „Bezette Stad“: Weiße Buchstaben tanzen auf schwarzem Grund, große Buchstaben stehen für laut, kleine für leise, die Typographie ist radikal und bricht die Norm, Dada lässt grüßen.

„Das Liebespaar“ von Fritz Stuckenberg 1919/20
„Das Liebespaar“ von Fritz Stuckenberg 1919/20

© Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg

Im ersten Teil der Ausstellung wird auf schwarzen Wänden das kurze Leben des Künstlers skizziert. Private Fotos, aber auch Bilder vom zerstörten Antwerpen und den Mittelalterumzügen der konservativen flämischen Nationalisten, die er verachtete, zeigen das Milieu, aus dem er kommt. Er ist fasziniert von den seit 1915 in Antwerpen wieder eröffneten Music Halls.

Im zweiten Teil wird der Besucher mit van Ostaijens Berliner Jahren konfrontiert. Fotos von Willy Römer fangen die revolutionäre Stimmung gut ein. Dazu dann wieder eine große schwarze Wand mit einem Fragment aus „Bezette Stad“ – „Knall“ steht da klein, drunter „LIEBKNECHT“ groß in Versalien. Van Ostaijens Reaktion auf den Mord an dem Revolutionär. Wachsende Gewalt und das Scheitern der Revolution enttäuschten den Belgier bald.

Eine Seite aus dem Originalmanuskript von „Bezette Stad“ 1921
Eine Seite aus dem Originalmanuskript von „Bezette Stad“ 1921

© Sammlung der Flämischen Gemeinschaft, Letterenhuis

Er schreibt hier 1921 „Besetzte Stadt“ und die „Feste von Angst und Pein“ über die Unsicherheit des modernen Menschen. In seinem Drehbuch für einen Stummfilm „Pleitejazz“ („Bankroet-Jazz“) vereinen sich alle experimentellen Stilelemente seiner typografischen Kunst.

Durch seine Freundin lernte van Ostaijen viele bedeutende Künstler kennen, George Grosz, Lyonel Feininger, Heinrich Campendonck und vor allem Fritz Stuckenberg, der 1919/20 mit dem kubistischen Gemälde „Das Liebespaar“ van Ostaijen und Clement ein Denkmal setzte. Van Ostaijen versuchte sich in Berlin auch als Kunsthändler, scheiterte jedoch. Belgische und deutsche Gemälde und Drucke aus seinem Umkreis illustrieren diese Zeit.

Hanaa El Daghem hat sich zu ihrem Triptychon „Maqam“ (Tonart) von Paul van Ostaijens Werk inspirieren lassen.
Hanaa El Daghem hat sich zu ihrem Triptychon „Maqam“ (Tonart) von Paul van Ostaijens Werk inspirieren lassen.

© Hanaa El Degham

Aber van Ostaijen ist auch nach 100 Jahren noch aktuell. Die ägyptische Künstlerin Hanaa El Degham hat sich in ihrem Triptychon „Maqam“ (Tonart) mit van Ostaijen und seiner Enttäuschung über die gescheiterte Revolution auseinandergesetzt. Auch sie hatte sich vom Arabischen Frühling 2011 mehr erhofft. Die Bewegung und das Sprengen aller Konventionen im Werk van Ostaijens beeinflussten sie, ebenso wie sein Gespür für Rhythmus. So ist auch ihr Bild ein Wirbel aus Farben und Figürlichem, der sich in der Abstraktion verliert.  

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