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Generalstaatsanwalt Fritz Bauer initiierte den Schriftzug „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ am Justizzentrum in Frankfurt.

© Naked Eye Filmproduktion

Das Erbe Fritz Bauers: Späte Aufarbeitung von NS-Verbrechen

Der Dokumentarfilm „Fritz Bauers Erbe“ zeigt den Einfluss des Initiators der Frankfurter Auschwitz-Prozesse auf den juristischen Sinneswandel in der Bundesrepublik.

Auf das millionenfache Morden im Nationalsozialismus folgten nach 1945 in den beiden deutschen Staaten erstaunlich wenige Ermittlungsverfahren. So wenige, dass es auffällt, wie vehement deutsche Staatsanwaltschaften nach Jahrzehnten unterbliebener Verfolgung von NS-Verbrechen in den vergangenen Jahren versuchen, zumindest die letzten noch lebenden Täter:innen vor Gericht zu bringen.

Sabine Lambys, Cornelia Partmanns und Isabel Gathofs Dokumentarfilm „Fritz Bauers Erbe. Gerechtigkeit verjährt nicht“ über die Errungenschaften des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer in den 1960er Jahren zeichnet den juristischen Sinneswandel nach, der den Weg zu den aktuellen Verfahren eröffnet hat.

Archivmaterial als Beweismittel

„Fritz Bauers Erbe“ beginnt mit dem Prozess gegen den Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof Johann Rehbogen vor dem Landgericht Münster im Jahr 2018. Das Verfahren wurde wegen der Verhandlungsunfähigkeit des 95-Jährigen schließlich eingestellt. Doch an diesem Beispiel erklären Lamby, Partmann und Gathof die Abläufe von Prozessen zu Straftaten in der Vergangenheit.

Der Staatsanwalt im Stutthof-Prozess und Jens Rommel, damaliger Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen im baden-württembergischen Ludwigsburg, skizzieren die Schritte, die Prozessen wie dem in Münster vorangehen. Die Ermittlungen beruhen, anders als in Fällen mit weniger lang zurückliegenden Taten, vor allem auf gut aufbereitetem Archivmaterial. Rommel führt die Filmemacherinnen in die Zentralkartei, in der seit 1958 alle Informationen zu NS-Verbrechen gesammelt sind. Ein Raum voller Metallschränke mit Karteikarten, verschlagwortet nach Täterorten, Personalakten und Verfahren.

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Während frühere Prozesse in Westdeutschland meist vom Kontext der deutschen Industrialisierung des Tötens abstrahierten und dem Personal der Konzentrationslager einzelne Taten nachzuweisen versuchten, hatte die hessische Staatsanwaltschaft unter Leitung Fritz Bauers schon Anfang der 1960er Jahre im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess die Rechtsauffassung einer Tateinheit im Lager Auschwitz vertreten. Das Wachpersonal habe sich schon durch seine Tätigkeit der Beihilfe schuldig gemacht, so Bauers Argumentation. Das Gericht folgte dieser Rechtsauffassung damals nicht.

Als juristisches Vorbild dienen die Anschläge von 9/11

Wieder aufgegriffen wurde diese Rechtsauffassung durch die Verurteilung des marokkanischen Terroristen Mounir al-Motassadeq wegen Beihilfe zu den Morden des 11. September 2001. Al-Motassadeq hatte den Haupttätern von 9/11 unter anderem geholfen, ihre Reisen in die USA zu verschleiern. 2011 wurde diese neu belebte Rechtsauffassung dann im Urteil gegen John Demjanjuk wegen des Mordes an 28.060 Menschen im Vernichtungslager Sobibor erstmals in einem Verfahren zu NS-Verbrechen angewendet.

So abstrakt solche juristischen Spitzfindigkeiten erscheinen mögen, gelingt es „Fritz Bauers Erbe“ doch, diese Überlegungen an konkreten Beispielen anschaulich zu machen und als wichtige Zäsur im juristischen, aber auch politischen Umgang mit den deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus herauszuarbeiten. Sabine Lamby war als Produzentin schon an Giulio Ricciardellis sehr fiktivem Film „Im Labyrinth des Schweigens“ über den Frankfurter Auschwitz-Prozess beteiligt.

Die Filmemacherinnen nennen die Vorbereitungen zu Ricciardellis Film und den Kontakt zu Gerhard Wiese, dem letzten lebenden Staatsanwalt des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, einen wichtigen Ausgangspunkt für ihre Arbeit. „Fritz Bauers Erbe“ kombiniert die Stimmen von Jurist:innen und Historiker:innen mit denen von Überlebenden wie Roza Bloch und Judith Meisel und deren Angehörigen zu einer komplexen Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen – bis in die Gegenwart. Vor allem aber ist „Fritz Bauers Erbe“ ein Film über die verpasste Chance einer Aufarbeitung.

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