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Flirrendes Licht. Zentrales Gestaltungselement von Architekt Jean Nouvel ist die flach gewölbte Kuppel.

©  AFP/Giuseppe Cacace

Louvre Abu Dhabi: Das erste Universalmuseum im Orient

Weltmuseum in der Wüste: Der Louvre Abu Dhabi wurde 2017 eröffnet. Wie entwickelt sich das ehrgeizige Projekt? Eine Besichtigung.

Ein halbes Jahr ist seit der Eröffnung des Louvre Abu Dhabi mittlerweile vergangen. Seinerzeit war noch nicht jeder Teilbereich des großen, in Anlehnung an die verschachtelte Bauweise früherer orientalischer Städte gestalteten Komplexes fertiggestellt, inzwischen aber hat der normale Museumsbetrieb Einzug gehalten, und ein erneuter Besuch bietet Gelegenheit, das Museum im Alltag zu erleben und zu beurteilen.

Zwar hat sich nichts geändert an der abgeschiedenen Lage des Gebäudes. Gedacht als Erstlingsbau auf der durch Aufschüttung erweiterten Insel Saadiyat am Rande von Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate (V.A.E.), sind die seit etlichen Jahren vorgesehenen weiteren Institutionen auf diesem der Kultur gewidmeten Areal noch immer Vision. Doch dem Wüsten-Louvre tut das keinen Abbruch.

Der französische Architekt Jean Nouvel hatte das Gebäude von vorneherein als abgeschlossene Entität geplant. Wesentliches Gestaltungselement ist das leicht gewölbte Dach, eine flache Kuppel, die dem Komplex Schatten und Kühlung gibt. Ein raffiniertes System der Öffnungen zwischen übereinandergeschichteten Stahlstreben lässt zugleich das notwendige Tageslicht in einzelnen Strahlen auf den Boden gleiten, wo sie als Lichtpunkte das Kuppelmuster widerspiegeln.

Es gibt auch eine starke optische Beziehung zur Umgebung – allerdings zur Wasserseite hin, die Nouvel in Gestalt von künstlichen Buchten und Kanälen in das Wegenetz seiner Museumsstadt hineinführt. Eine Abfolge einander überlappender Plätze lässt den Besucher nach der Absolvierung des mäandernden Weges durch zwölf verbundene Ausstellungspavillons flanieren und die kubischen Einzelbauten an den Gewässerzungen genießen, bevor er sich entschließt, ins Café- Restaurant zu wechseln, dessen Längsfront sich ganz der flirrenden Helligkeit von Meer und Himmel öffnet.

„Austausch zwischen den Menschen, den Völkern und Kulturen“

Das Museum ist an diesem Wochentag gut besucht, so angenehm locker und gut verteilt, wie man den Pariser Louvre heutzutage nie mehr erlebt. Es fällt unmittelbar ins Auge, dass die überwiegende Mehrzahl der Besucher nicht-arabische Touristen sind; das Übergewicht französischer Sprachfetzen gegenüber dem ansonsten dominierenden Englisch lässt darauf schließen, dass die mit der Museumseröffnung einsetzende Reisewerbung beim französischen Publikum Gehör findet. Braucht es einen zweiten Louvre für das Heimatland des Originals?

Natürlich wird sich der Nationenmix des Emirate-Tourismus nach und nach in der Besucherstruktur des Louvre abbilden. Schon jetzt weist ein bemerkenswerter Anteil indischer Besucher auf die Drehscheibenfunktion hin, die die Emirate mit ihren zwei Riesenflughäfen von Abu Dhabi und Dubai im Ost-West-Verkehr spielen.

Geografisch gesehen ist der indische Subkontinent ganz nahe. Eine solche Drehscheibenfunktion betonen denn auch die Gesprächspartner auf der Ebene der Kulturpolitik. Die erst jüngst ins Amt der Ministerin für Kultur und Wissensentwicklung gelangte, aber zuvor bereits regierungserfahrene Noura al Kaabi wie auch der jahrzehntelange Präsidentenberater und Staatsminister Zaki Anwar Nusseibeh zeichnen vor dem geistigen Auge immer wieder Handelsrouten zwischen dem Fernen Osten und dem aus dieser Perspektive genauso fernen Westen, die zugleich Wege des Wissensaustauschs wie Pfade der Migration darstellen, und als deren quasi natürlicher Schnittpunkt eben auch die Arabische Halbinsel und deren östlicher Saum hervortreten.

Ist der Maßstab der Weltkarte erst groß genug gewählt, lassen sich fast überall Schnittpunkte und naturgegebene Zentren ausmachen; jedenfalls ermöglicht es der Massenluftverkehr, auch Randlagen in Kreuzungspunkte zu verwandeln. Als solchen, als „hub“ zwischen den Ländern, sieht Nusseibeh die Emirate, es ist überhaupt die Staatsideologie, ein solcher Netzknoten zu sein.

Mit dem Louvre geht das ideal zusammen. „Wir lenken von unserem regionalen Hintergrund aus den Blick auf die Kultur der gesamten Menschheit", sagt Nusseibeh, und wenn er hinzufügt, dass es im Laufe der Epochen „stets denselben Austausch zwischen den Menschen, den Völkern und Kulturen“ gegeben habe in dem Sinne, dass die Grundfragen zu vergleichbaren kulturellen Ergebnissen geführt hätten, dann ist damit das Sammlungs- und Ausstellungskonzept des Louvre Abu Dhabi auf den Nenner gebracht.

Gewalt und Krieg kommen allenfalls am Rande vor

Das Haus auf Saadiyat Island, der „Insel des Glücks“, ist das erste Universalmuseum im Orient. Anders als die Vorgänger- und Vorbildeinrichtungen zeigt es die Welt nicht nach Regionen geordnet, sondern nach Themen; Tod und Jenseits, Mutterschaft und Nachkommen, Alltagsleben, Handel. Das bringt eine zugleich chronologische Ordnung mit sich, denn der Tod als unausweichliches Schicksal hat die Menschen schon zu frühesten künstlerischen Äußerungen getrieben. Stets ist im Wüsten-Louvre das Bemühen zu sehen, wenn schon nicht Gleichartiges, so doch Vergleichbares der Kulturen zu zeigen. Das bedeutet, dass das heutzutage wieder so scharf Trennende der Religionen in den Hintergrund tritt und die drei monotheistischen Religionen über das Gemeinsame der Schriftkultur wie nahe Verwandte erscheinen.

Innenansicht des Museums.
Innenansicht des Museums.

© Benno Schwinghammer/dpa /picture-alliance

Ja, es wird vieles auch geglättet oder eher noch ausgelassen, um das „Narrativ“ nicht zu unterbrechen; Gewalt und Krieg kommen allenfalls am Rande vor. Die überzeugendsten Kapitel sind jene, die sich mit Handel und Austausch befassen, die einlaufende Schiffe, ferne Erzeugnisse, Landkarten und Exotika zeigen. Etwa den grandiosen japanischen Stellschirm, der die Ankunft portugiesischer Händler in aller Detailfreude festhält.

Gegenüber dem deutschen Besucher lässt Nusseibeh diplomatisch durchblicken, dass parallel zum seit jeher auf seine kulturelle „Mission“ bedachten französischen Staat auch deutsche Institutionen kontaktiert worden seien, freilich ohne einen entsprechenden Funken zu entzünden. Offenbar dachte man deutscherseits eher an den Aufbau oder die Ausstattung eines ethnologischen Museums. Nusseibeh nennt diese Sichtweise mit feiner Ironie „orientalistisch“.

Den Kulturpolitikern der Emirate ging es indessen um etwas Größeres; genug sagt der Hinweis auf den in diesem Jahr, dem angesichts seines 100. Geburtstags allgegenwärtigen Staatsgründer Scheich Zayed, der sich im Ausland Museen und Universitäten angeschaut und gefragt habe, warum es derlei nicht auch in seiner Heimat gebe. „Es ist uns nicht peinlich, um Hilfe zum Erreichen unserer Ziele zu bitten“, so Nusseibeh, und gerade bei ihm, dem erklärten Wagner-Liebhaber und Bayreuth-Stammgast, der in absehbarer Zeit den „Ring“ am Golf aufgeführt sehen will, ist herauszuhören, dass die deutschen Gesprächspartner nicht verstanden, was Frankreich dann umso bereitwilliger erwiderte.

Weder vollständiges Universalmuseum noch radikal neue Sichtweisen

Freilich um den Preis einer französischen Einfärbung der Weltkultur, die die Erzählung des Louvre Abu Dhabi ab etwa dem 18. Jahrhundert arg einseitig macht. Weder wird die abendländische Kultur angemessen vielfältig dargestellt, noch spielen die „anderen“ Kulturen bislang eine mehr als nur dekorative Rolle. Der Louvre-Ableger will und kann kein Universalmuseum von jener Vollständigkeit sein, wie sie die großen Einrichtungen in London, New York, St.Petersburg oder Berlin aufweisen. Aber bislang spiegelt er mehr die Sammlungen von Paris als dass eine radikal neue Sichtweise erprobt würde. Radikal könnte nur sein, das Exemplarische der künstlerischen Weltdurchdringung gleichwertig an Objekten aus allen Ecken und Enden der Welt vorzuführen.

Dass der Rundgang, bevor er sich in der verwirrenden Vielfalt „der“ Moderne verliert, ausgerechnet auf das majestätische Reiterbildnis Napoleons von 1803 aus Versailles zusteuert – vor dem sich, merkwürdig genug, gerade die nicht-europäischen Besucher begeistert fotografieren –, macht deutlich, dass auch am Persischen Golf noch nicht das (Museums-)Ei des Kolumbus gefunden wurde. Doch das window of opportunity genutzt zu haben, um dem überall in den Emiraten mit Händen zu greifenden Bildungshunger gerecht zu werden und am Wissen und Können der Menschheit teilzuhaben, ist mit dem Louvre Abu Dhabi jedenfalls auf dem Museumssektor eindrucksvoll gelungen.

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