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Erste Liebe. Elias (Jakob Mader) und Moid (Verena Altenberger).

© Prokino

Adrian Goigingers Filmdrama „Märzengrund“: Das Glück liegt auf den Gipfeln

Ade Zivilisation: Die Geschichte von einem modernen Aussteiger in den Zillertaler Alpen, den es tatsächlich in den 1960er Jahren gegeben hat.

Angst um die materielle und physische Existenz, Angst vor Einsamkeit, Angst vor dem Tod: All diese menschlichen Unsicherheiten hat Elias überwunden. „Die Furcht der Menschen da unten, die habe ich abgestreift“, schreibt der Bauernsohn, der auf der Almhütte „Märzengrund“ im Zillertal den Sommer verbringt.

Und als er an dessen Ende nicht mit dem Vieh ins Tal absteigt, sondern zum Entsetzen von Eltern und Schwester umdreht und noch höher hinauf bis jenseits der Baumgrenze wandert, da vergrößert sich seine Freiheit noch. „Endlich habe ich meinen Platz in der Gesellschaft gefunden“, seufzt Elias (Jakob Mader) im Angesicht der majestätischen Gipfel, „nämlich weit weg von ihr.“ Und von ihren Insignien wie Geld und Besitz.

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Es ist eine Aussteigerdrama, eine moderne Einsiedler-Geschichte, die der österreichische Filmemacher Adrian Goiginger in „Märzengrund“ erzählt. Vor der atemberaubenden und durchaus zelebrierten Kulisse eine Berglandschaft, die die menschliche Existenz relativiert. Und die schon vielen eine „Ihr da unten, ich hier oben“-Distanzierung ermöglicht hat.

Von Bergfilmhelden und Romanfiguren wie Thomas Manns Hans Castorp gar nicht zu reden, die allesamt das Leben in der Höhe als existenzielle Herausforderung und Läuterung zugleich empfunden haben. So fern vom eitlen Getriebe der Welt, so nah bei sich, bei Gott oder anderen metaphysischen Kräften.

Der Stoff wird authentisch, im örtlichen Dialekt erzählt

Goigingers Held hat tatsächlich in den 1960er Jahren hoch oben einsam in den Zillertaler Alpen gelebt, was im Kino nicht notwendigerweise etwas zu bedeuten hat. Viel wichtiger als der authentische, im örtlichen Dialekt erzählte Stoff ist die künstlerische Wahrhaftigkeit der filmischen Erzählung, die in „Märzengrund“ bis auf den romantisierenden Schluss durchweg stimmige Töne anschlägt.

Schon Goigingers Langfilmdebüt „Die Beste aller Welten“, das 2017 auf der Berlinale in der Perspektive Deutsches Kino ausgezeichnet wurde, bestach durch eine feinnervige Figurenzeichnung. Das trifft genauso auf den sensiblen Bauernsohn Elias zu, der mit seinen 18 Jahren zwar Klassenbester ist, aber vom Vater (Harald Windisch) als Bücherwurm für verweichlicht gehalten wird.

Als der Großbauer auch noch das Anwesen eines verschuldeten Nachbarn aufkauft, um den Hof zu erweitern, den Elias nach der Tradition übernehmen soll, fühlt der nur heißes Mitgefühl mit dem Pleitier. Das hindert ihn jedoch nicht, begeistert das Auto anzunehmen, das der Vater ihm mit dem Satz „Ein Jungbauer braucht ein Auto“ auf den Hof stellt. Ein eigener Wagen, das ist 1967 kein Pappenstiel und zeugt vom Bauernstolz, aber auch der Liebe des Vaters.

Dem Neo-Heimatfilm sind Bauerntheaterklischees fremd

Den Mief der Sechziger auf dem Land und die Unmöglichkeit von Elias’ erster Liebe zu Moid (Verena Altenberger), einer geschiedenen Dreißigjährigen, gegen die die eifersüchtige Mutter (Gerti Grassl) wütet – das erzählt „Märzengrund“ atmosphärisch dicht und kein bisschen diffamierend. Überhaupt sind diesem Neo-Heimatfilm Bauerntheaterklischees wie das vom verbohrten Patriarchen fremd. Nur die spätere Stilisierung der herrischen Mutter zum greisen Schlaganfallmonster mit Gesichtslähme gerät etwas fett.

Die in drei kunstvoll miteinander verwobene Erzählzeiten aufgeteilte Lebensgeschichte umfasst 40 Jahre. Sie beginnt mit dem Rettungshubschrauber, der den gealterten Elias (Johannes Krisch) nach einem Zusammenbruch ins Hospital fliegt. In einer Rückblende wird von seiner Jugend im Tal erzählt, als er, schon von einsetzenden Depressionen gezeichnet, zu Moid sagt: „Ich fühle mich auf der Welt wie ein Fremder.“

Die dritte Ebene bilden verästelte Rückblenden, die das Eremitenleben von Elias schildern. Wie er sich aus grob behauenen Holzstämmen eine Kate zimmert, im Bach Fische fängt, im Winter Baumrinden und Flechten auf dem Feuer kocht und in der Schönheit der Natur seinen Frieden mit der in der Zivilisation als schmerzhaft erfahrenen eigenen Existenz macht.

[Bundesplatz-Kino, Capitol, Delphi LUX 1-7, Hackesche Höfe Kino 1-5 (DFmenglU), International, Yorck + New Yorck]

Die Sehnsucht nach einer Verbindung mit den Elementen, der Landschaft, mit Pflanzen und Tieren und die Frage, was ein gutes Leben ist. Sie sind nicht nur Aussteigern zu eigen, sondern angesichts von Pandemien, Kriegen und Klimakrise allgegenwärtig. Auch jetzt werden Städte, Gesellschaft und Wirtschaftssystem von immer mehr Menschen als Zumutung empfunden.

„Märzengrund“ liefert dazu keinen allgemeingültigen Gegen-Lebensentwurf. Dass Elias und seine Familie einen verheerenden Preis für seine Freiheitsliebe zahlen, zeigt Adrian Goiginger sehr genau. Auch, dass Radikalität asozial macht. Nur hat Elias eben einfach keine Wahl. Er muss hinauf. Und wenn’s das Leben kostet.

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