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Wegweiser zum Bernhard-Haus in Obernathal.

© PantherMedia / Wolfgang Spitzbart

Das Schreiben verbergen: Zu Besuch auf dem Vierkanthof von Thomas Bernhard

1965 erwarb Thomas Bernhard einen Bauernhof und restaurierte ihn. Heute ist der Hof ein Museum, das zeigt, wie der Schriftsteller seinen Alltag inszeniert hat. Ein Rundgang mit dem Bernhard-Bruder Peter Fabjan.

Es ist Thomas-Bernhard-Wetter an diesem Samstag in Salzburg. Düstere Wolken am Himmel, aus denen es immer mal wieder regnet, zu kalt für einen Tag Mitte September. Nur das viele Grün rechts und links entlang der Westautobahn zwischen Salzburg und Linz zeigt an, dass der Sommer gerade erst vorbei ist.

In Obernathal bei Ohlsdorf, kleineren Ansiedlungen im südlichen Oberösterreich, gelegen ganz in der Nähe von Gmunden und dem Traunsee, stellt sich allerdings alles etwas anders dar, als es auf alten, zumeist schwarzweißen Fotos von Thomas Bernhard vor seinem Hof zu erkennen ist.

Oder auch anders, als es der österreichische Großschriftsteller in einem Artikel 1965 für die „Presse“ beschrieben hat, einem Artikel, der mit „Meine eigene Einsamkeit“ überschrieben war: „Mein Hof verbirgt, was ich tue. Ich habe ihn zugemauert, ich habe mich eingemauert. Mit Recht. Mein Hof schützt mich, ist er mir unerträglich, laufe ich, fahre ich weg, denn die Welt steht mir offen.“

Ein Bauernhaus an einen Schriftsteller? Das gab 1965 Probleme

Gegenüber des Hofes steht inzwischen ein Mehrfamilienhaus, davor liegt Kinderspielzeug, und läuft man hinter dem Hof auf den Wiesen umher, ist das Rauschen der Autobahn deutlich laut zu vernehmen. Trotzdem: Das von vier Seiten umschlossene, sachte in einen Hügel gebettete, trotz seiner zwei Stockwerke flach wirkende Gebäude hat sich seinen Festungscharakter bewahrt. Im Innern haben allein der einstige Kuhstall und die Scheune, die jetzt ein Veranstaltungsort ist, noch immer etwas ländlich Abweisendes, leicht Bedrohliches.

Peter Fabjan, der 1938 geborene, sieben Jahre jüngere Bruder und Nachlassverwalter von Thomas Bernhard ist mit seiner Frau gekommen, um die Gäste über den Hof und durch dessen Räume zu führen. Von Beruf war Fabjan Arzt, Internist, er leitete in Gmunden jahrzehntelang eine Praxis. In seinen 2021 erschienenen Erinnerungen an „den Bruder“, wie er Thomas Bernhard infolge häufig nennen wird, ohne Possessivpronomen, hat er es so ausgedrückt: „Natürlich bedingt die räumliche Nähe zum Bruder ein verstärktes Miteinander. Wir leben in Parallelwelten mit unterschiedlicher Sprache und unterschiedlichen Umgangsformen, jeder von uns ein Außenseiter, in der Welt des anderen weniger integriert als nur geduldet."

Thomas Bernhard hatte den 1325 erstmals urkundlich erwähnten Vierkanthof 1965 erworben, unter anderem von dem Geld, das der Bremer Literaturpreis ihm für seinen Roman „Frost“ eingebracht hatte; mehr noch natürlich durch die finanzielle Unterstützung seines Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld und seiner Freundin Hedwig Stavianicek.

Der Bernhard-Hof von hinten
Der Bernhard-Hof von hinten

© Bartels

Der Verkäufer und vormalige Vierkanthofvorbesitzer Rudolf Asdamer, ein Land- und Gastwirt aus Ohlsdorf, erinnerte sich daran, wie der Deal im Beisein von Bernhards damaligem Freund und Immobilienmakler Karlheinz Hennetmair, dem berühmten „Realitätenhändler“, innerhalb von zwanzig Minuten und per Handschlag über die Bühne ging.

Die Probleme folgen gleich im Anschluss des Verkaufs, „die Neidkomplexe und die Voreingenommenheit der Nachbarn“, wie Asamer in einem Gespräch mit dem Bernhard-Fotografen Sepp Dreissinger sagte: „Der einstimmige Grund war der, dass man ein solches Bauernhaus nicht an einen Schriftsteller verkaufen kann, das muss in der Landwirtschaft bleiben. Sie müssen sich vorstellen, wenn in einer Bauernsiedlung ein Akademiker daherkommt und kauft sich ein Bauernhaus, kann das nur zu Schwierigkeiten führen.“

Ein Zimmer, das Bernhard nie genutzt hat
Ein Zimmer, das Bernhard nie genutzt hat

© Bartels

Bernhard überwindet diese Schwierigkeiten, schafft es später auch, die Errichtung einer Schweinemastbetriebs durch einen benachbarten Bauern gegenüber zu verhindern, und macht sich mit Hilfe örtlicher Handwerker an die Restaurierung des eigentlich kurz vor dem Abriss stehenden Gebäudes. Zimmer für Zimmer, fast dreißig sollen es sein.

Houellebecq brachte eine Trachtenjacke von Bernhard in seinen Besitz

Fabjan führt zunächst in den Kuhstall, mit dem Bernhard im Grunde nichts anfangen konnte, den er zu einem kalten Gewölbe entleerte und mit neuem Fußboden versah. Heute kann man darin unter anderem das glänzend restaurierte Fahrrad von Bernhards Stiefvater Emil Fabjan sehen; es ist das Rad, mit dem der kleine, acht Jahre alte Thomas von Traunstein nach Salzburg fuhr und das bei schwerem Regen kaputtging. Die Erfahrung war traumatisierend. Bernhard hat davon in seiner autobiografischen Erzählung „Ein Kind“ erzählt: „Ich schob ein Gerümpel.“

Ringsherum Programmhefte, Fotos und Plakate von Theateraufführungen seiner Stücke, darunter in Tirana und in Peking, lange nach dem Tod des Schriftstellers am 12. Februar 1989. Und der Bernhard-Blick draußen, durch kleine, sechsteilige Fenster: ein Regenhimmel, Tannen am Horizont, eine nassgrüne Wiese.

Der Schuhschrank von Thomas Bernhard
Der Schuhschrank von Thomas Bernhard

© Bartels

Es geht schließlich herüber in die Wohnräume. Von denen sehen viele genauso aus, wie Bernhard seinerzeit darin lebte: mit nur wenig bäuerlichem Mobiliar, einerseits kühl-funktional eingerichtet, andererseits mit Möbeln aus dem Biedermeier und der josephinischen Epoche; auch ein Porträt des Habsburger Kaisers Joseph II. ist zu sehen.

Peter Fabjan zeigt die komplett ausgestattete Küche, in der nie gekocht wurde: Bernhard aß immer in Gasthäusern. Er weist auf andere Räume im Erdgeschoss, die wir wie die Küche nicht betreten. Sie sind hervorragend eingerichtet, aber nur zu repräsentativen Zwecken: Wohnzimmer, in denen nicht gewohnt, Speisezimmer, in denen nie gegessen wurde. Fabjan zitiert in seiner sympathisch spröden Art André Heller, der davon sprach, dass Bernhard ein „Als-ob“-Leben geführt hätte, er ein Meister der Selbstinszenierung gewesen sei. Das Thomas-Bernhard-Leben: ein Theaterstück eigener Art.

Das ist faszinierend, so wie die Literatur von Thomas Bernhard. Auch Schriftstellerkollegen geht das so, wie eine Anekdote Fabjans über Michel Houellebecq beweist. Der französische Schriftsteller ließ es sich bei einem Besuch in Salzburg ebenfalls nicht nehmen, zum Bernhard’schen Vierkanthof rauszufahren. Wie Fabian erzählt, verhielt er sich wie ein kleines Kind. „Alles wollte er anfassen, den Plattenspieler in Betrieb nehmen, das Gewehr oben im Schlafzimmer, sich überall hinsetzen."

Auch die Kleider von Bernhard probierte er an, eine Trachtenjacke passte fast perfekt. Houellebecq ließ sich in dieser Jacke im Innenhof fotografieren, und das Foto steht nun hinter einem Rahmen oben in einem Zimmer, das zu einer Bibliothek mit den vielen ausländischen Ausgaben der Bernhard-Bücher umgestaltet wurde. Und die Jacke? Michel Houellebecq behielt sie an, sie ist weiterhin in seinem Besitz. Eine Literaturrequisitengeschichte.

Gewehre, Dunhill-Zigaretten, Handschuhe

Im oberen Stockwerk die Räume, die Bernhard tatsächlich genutzt hat. Das Schlafzimmer mit eben jenem Gewehr, das an einer Wand hängt, aus dem Fenster der Blick auf den Hof; die Schränke mit der Jagdkleidung, obwohl der Schriftsteller nie auf der Jagd war; die Stange Dunhill-Zigaretten, obwohl Bernhard nie geraucht hat („ich habe die nachgekauft“, sagt Fabjan auf die Frage, warum die Stange so neu und voll wirke); eine zerknittert-gelesen-vergilbte Ausgabe der „Le Monde“ vom 23. September 1988 auf einem Tisch.

Am beeindruckendsten ist in einem der vielen kleinen Zimmer die Ecke mit der offenen Schuhablage, darauf mindestens zwanzig Paar Schuhe, alle geputzt, fein säuberlich nebeneinander aufgereiht, mit Spanner. In seiner Erzählung „Watten“ schrieb Bernhard, nach einer der vielen typischen Erregungen zwischen dem Ich-Erzähler und dem Fuhrmann, dieses Mal über Schuhe und ihre Schnallen: „Man kann anziehen, was man will, es zerreißt in kürzester Zeit, wäscht man es, geht es ein usf. Zieht man an neuen Schuhbändern, zerreißen sie, klappt man die Schnallen zu, zerbröckeln sie, bückt man sich im neuen Mantel, zerreißt er, alles zerreißt und zerbricht und zerbröckelt, das ist der Fortschritt."

Peter Fabjan am Samstag, den 17. September 2022
Peter Fabjan am Samstag, den 17. September 2022

© Bartels

Wieder unten im Innenhof, möchte Peter Fabjan sich verabschieden, zügig, wie es scheint. Er ist der Gegenwart verhaftet, gerade auch der dieses Schriftstellermuseums, dieses Bernhard-Schreins, dieses „steinernen Monuments“, wie er selbst es genannt hat. Fabjan hat seine Erinnerungen unter Kontrolle, von Sentimentalität keine Spur. „Ein Rapport“ hat er sein Erinnerungsbuch genannt, so wirkt das auch an diesem Tag.

Bei der Frage aber, ob die 1967 diagnostizierte Immunerkrankung, an der Bernhard litt, der seinem Herz und seiner Lunge so zusetzende Morbus Boeck, unweigerlich zum Tode führen musste, bei dieser Frage kommt Fabjan noch mal ins Erzählen und erinnert sich der letzten Lebenstage seines Bruders.

Thomas Bernhard
Thomas Bernhard

© picture alliance/dpa/Votava

Wie dieser nicht mehr ins Gasthaus gehen konnte, weil er zu schwach war, auch Messer und Gabel konnte er kaum noch halten. Wie Bernhard sich eine Wohnung in Gmunden besorgt hatte, in der Nähe von Bruder und Schwester, um besser als in Obernathal versorgt werden zu können. Und wie er einen Tag vor seinem Tod noch einmal die Sonne sehen wollte und beide auf einen Berg in der Nähe von Gmunden hochgefahren sind. Nur Sonne habe es an diesem verschneiten Februartag nicht gegeben, erzählt Fabjan. Thomas Bernhard versuchte mit der Schuhspitze das Laub unter dem Schnee freizulegen und sagte schließlich, ihm werde es bald genauso ergehen wie dem Laub.

Erschütternd klingt das, berührend. Peter Fabjan aber bleibt nüchtern und sachlich. Seinem berühmten Bruder würde diese Diktion wohl gefallen haben. Auf dem Weg zurück nach Salzburg regnet es in Strömen, und die Sonne lässt sich an diesem Septembertag nicht blicken.

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