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Literaturkritiker Denis Scheck

© picture alliance / Rolf Vennenbe / Rolf Vennenbernd

Das Volk der Blöden: Denis Scheck bespricht die Sachbuch-Charts

Die Urteile des Literaturkritikers sind gefürchtet. Von scharfsinnig und lesenswert bis albern und geistlos – so bewertet er die aktuelle „Spiegel“-Bestsellerliste.

Stand:

Literaturkritiker Denis Scheck bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“. Die nächste Ausgabe ist am 26. Februar um 23.35 Uhr zu sehen, Gäste sind Julia Schoch und Arno Geiger.

10.) Kurt Krömer: Du darfst nicht alles glauben, was du denkst (Kiepenheuer & Witsch, 192 S., 20 €.)

Auf die Volkskrankheit Depression aufmerksam zu machen, ist allemal verdienstvoll. Aber Kurt Krömer möchte mit diesem Buch vor allem auf sich selbst aufmerksam machen. Das wäre auch nicht weiter schlimm, wenn dies nicht in einer derart aufgesetzten pseudo-jugendlichen Fäkalsprache geschähe, die für einen 48-Jährigen schlicht erbärmlich ist. Aber vielleicht hilft als Therapie zehn Jahre Friedrich Hölderlin lesen, Theodor Fontane und Wyslawa Szymborska?

9.) Hamed Abdel-Samad: Islam – eine kritische Geschichte (dtv, 320 S., 24 €.)

Es ist ein echter Schandfleck für unsere freiheitliche Demokratie, dass kluge Religionskritiker wie Hamed Abdel-Samad in der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2023 unter 24-stündigem Personenschutz mit wechselnden Wohnsitzen leben müssen. Genau wie auf jeden Benedikt XVI. mindestens zwei Karlheinz Deschners und Herbert Achternbuschs gehören, genauso hält auch eine starke Religion wie der Islam einen Hamed Abdel-Samad spielend aus. Nach Lektüre seines erkenntnisreichen Buchs, das einen aufgeklärten Islam fordert, gilt jedenfalls: Lasst uns endlich weniger Heilsideologien wagen!

8.) Manfred Krug: Ich bin zu zart für diese Welt (Kanon, 304 S., 24 S.)

Die süffig zu lesenden Tagebücher Krugs aus den Jahren 1998 und 1999 lassen uns einen 61-Jährigen erleben, der zwischen Mobilat und Morosität schwankt: „Wir werden immer mehr ein Volk von Blöden“, schreibt Manfred Krug. „Aber auch wir haben an der Verblödung mitgewirkt.“ Stimmt.

7.) Stefanie Stahl: Wer wir sind (Kailash, 384 S., 22 €.)

Wir alle möchten uns so schrecklich gern selbst auf die Spur kommen – erfahren, wie wir ticken, was uns zum Ausrasten bringt, wie unser Begehren, unser Hass und unsere Liebe, ja überhaupt unser Betriebscode funktioniert. Stefanie Stahl macht sich diese Neugier auf uns selbst in ihren populärpsychologischen Sachbüchern zunutze. Und warum auch nicht – Selbsterkenntnis war schließlich schon die Triebfeder der Vorsokratiker.

6.) Richard David Precht und Harald Welzer: Die vierte Gewalt (S. Fischer, 288 S., 22 €.)

Auch wenn ich viele Aspekte ihrer Kritik an der Berichterstattung der Medien etwa im Ukrainekrieg nicht teile, finde ich den Ansatz dieses Buch richtig, über die Rolle der Medien in unserer Gegenwart und den sich laufend verengenden Meinungskorridor kritisch nachzudenken. Machen wir uns nicht viel zu oft mit der Meinung der Regierenden gemein? Verwechseln wir inzwischen nicht Journalismus mit Aktivismus? Und treiben wir nicht viel zu häufig die Sau durchs Dorf, ohne jeden erkennbaren erkenntnisstiftenden Mehrwert?

5.) Torsten Sträter: Du kannst alles lassen, du musst es nur wollen (Ullstein, 288 S., 19.99 €.)

Albern, langweilig und geistlos: ein wirklich unnötiges Druckwerk.

4.) Michael Thumann: Revanche (C.H. Beck, 288 S. 25 €.)

Der deutsche Russland-Korrespondent der „Zeit“ analysiert in diesem Sachbuch, warum Putin und Co für den Zerfall der Sowjetunion 1990/1991 Revanche nehmen möchten – nicht nur in der Ukraine. Ein scharfsinniges, ein horizonterweiterndes Buch.

3.) Elke Heidenreich: Ihr glücklichen Augen (Hanser, 256 S., 26 €.)

Wo sie alles war! Was sie alles gesehen hat! Aber die Augen der Elke Heidenreich sind nicht zu beneiden, denn Augen, Augen hat Elke Heidenreich immer nur für sich selbst.

2.) Brianna Wiest: 101 Essays, die dein Leben verändern werden (Deutsch von Ursula Pesch und Anja Lerz, Piper, 432 S., 22 €.)

Ja, es ist möglich, durch Denken das Empfinden der eigenen Lebenslage zu beeinflussen. Wie das gelingt, erfährt man in diesem lesenswerten Selbsthilfe-Ratgeber.

1.) Henry Duke of Sussex: Reserve (Deutsch von Stephan Kleiner, Katharina Martl, Johannes Sabinski, Anke Wagner-Wolff und Alexander Weber, Penguin, 512 S. 26 €.)

Über 500 Seiten Wehleid und Selbstmitleid eines überprivilegierten weißen Mannes, nicht zu vergessen peinliche Prahlereien über seine Kampfeinsätze in Afghanistan. Definitiv ein Fall für die literaturkritische Guillotine.

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