Kultur: "Das XX. Jahrhundert" mag Meisterwerke in Fülle bieten - der geistige Gehalt des Gesamtvorhabens aber ist es, der über sein Gelingen entscheidet (Glosse)
Das Ausstellungsprojekt "Das XX. Jahrhundert", mit dem sich Berlins Staatliche Museen von Morgen an zu Wort melden, ragt unter allerorten geplanten Vorhaben dieser Art weit heraus.
Das Ausstellungsprojekt "Das XX. Jahrhundert", mit dem sich Berlins Staatliche Museen von Morgen an zu Wort melden, ragt unter allerorten geplanten Vorhaben dieser Art weit heraus. Schon der Titel ist ein Signal. Größer könnte der Anspruch nicht sein: Das ganze 20. Jahrhundert wird in den Blick genommen. Freilich erwartet den Besucher keine bloße kunsthistorische Kulinarik. Der Untertitel der Ausstellung - für die die Neue Nationalgalerie, der Hamburger Bahnhofs und das Alte Museums freigeräumt wurden - lässt aufmerken: "Ein Jahrhundert Kunst in Deutschland". Damit wird die Erwartung der Öffentlichkeit ungleich stärker provoziert, als wenn es nur um einen wohlfeilen Parcours über den oft genug abgeschrittenen Königsweg der internationalen Moderne ginge. Denn das Säkulum war in Deutschland problematisch genug, um das Mindeste zu sagen; und "ein Jahrhundert Kunst in Deutschland" kann kaum weniger schwierig und zerrissen sein als das der Geschichte insgesamt.
Das Unternehmen markiert die Rückkehr von Peter-Klaus Schuster als Generaldirektor der Staatlichen Museen und Direktors der Nationalgalerie. Sein Einstand könnte spektakulärer nicht sein. Das von Schuster auf den Weg gebrachte Ausstellungstriptychon bezieht sich auf ein legendäres Vorbild, die "Jahrhundertausstellung" in der Berliner Nationalgalerie von 1906. Sie leitete eine vollständige Neubewertung deutscher Malerei ein. Dergleichen wird dem jetzigen Unternehmen nicht vergönnt sein - weil die herausragenden Leistungen der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts, mit dem Expressionismus angefangen, unbestritten vor Augen stehen. Die Gesamtsicht indessen, die Höhen und Tiefen einbezieht, ist so noch nicht versucht worden. Die Frage nach dem "Deutschen" in der Kunst wird wieder gestellt, spätestens seit der Wiedervereinigung und dem Ende zweier opponierender Kunstgeschichtsschreibungen. Das Berliner Unternehmen ist klug genug, den Rahmen nicht auf "deutsche" Kunst zu beschränken, sondern unter "Kunst in Deutschland" die internationalen Beziehungen und Einflüsse gleichermaßen zu berücksichtigen. Aber es geht eben doch um ein Kapitel Geistesgeschichte hierzulande.
Deutlicher und zugleich seriöser können die Staatlichen Museen und mit ihnen die übergreifende Stiftung Preußischer Kulturbesitz kaum zeigen, welche Stellung sie im vereinten Deutschland und seiner Hauptstadt Berlin einnehmen wollen. Kulturstaatsminister Naumann - der die Ausstellung heute Abend eröffnet - hat oft genug betont, dass die Stiftung die wichtigste deutsche Kultureinrichtung sei. Abseits der in solchem Zusammenhang immer bemühten Finanzzahlen aber ist "Das XX. Jahrhundert" der ehrgeizige Versuch, diesem Rang auch intellektuell zu entsprechen.
Daran wird das Vorhaben zu messen sein. Es mag Meisterwerke in Fülle bieten - der geistige Gehalt des Gesamtvorhabens aber ist es, der über sein Gelingen entscheidet. Auch sich selbst setzt Schuster damit unter Druck. Denn in dem vor ihm liegenden Jahrzehnt seiner doppelten Amtszeit wird die Öffentlichkeit erwarten, dass die Staatlichen Museen durchweg einen derart hauptstädtischen Part im Kulturkonzert der Hauptstadt Berlin spielen werden. Der Rückblick auf das deutsche Jahrhundert bildet den fulminanten Auftakt.