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Der Berliner Kultursenator Joe Chialo bei der Demo der Kulturszene am Brandenburger Tor.

© AFP/TOBIAS SCHWARZ

Demo gegen Kulturabbau in Berlin: Joe Chialo kassiert Buh-Rufe

Prominenz und Einigkeit. Zahlreiche Kulturschaffende demonstrieren am Mittwoch am Brandenburger Tor gegen Einsparungen. Als Gast erscheint auch der Kultursenator.

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So viel Einigkeit war selten in Berlins Kulturszene. Staatliche Häuser und freie Szene, Seit an Seit, vereint im Kampf gegen weniger Knete für die Kultur. Bühnentrucks der Komischen Oper und der Schaubühne parken am Rande des Platzes des 18. März vor dem Brandenburger Tor und auch der Bücherbus Reinickendorf ist da.

Das Aktionsbündnis #BerlinistKultur hat, nach dem Aktionstag gegen drohende Einsparungen im Kulturbereich im Oktober, nun zur Demonstration gegen Kulturkürzungen auf Bundes- und Länderebene geladen. An dem Tag, an dem im Berliner Abgeordnetenhaus der Hauptausschuss tagt und über die Haushaltsplanung bis 2028 debattiert.

Menschen protestieren vor dem Brandenburger Tor gegen die geplanten Kürzungen im Kulturbereich.

© dpa/Markus Lenhardt

Eins lässt sich ziemlich schnell sagen, nachdem die Moderatoren Vidina Popov und Jürgen Kuttner den Reigen der Reden und Darbietungen um 10 Uhr eröffnen: Wenn die geballte Kulturszene zur Demo lädt, läuft die Sache. Von den „Großen“ wie Staatsoper, Philharmoniker, Berliner Ensemble über das HAU, die Jugendtheater Grips, Parkaue, FELD, die Privatbühnen Renaissance-Theater und Ku’damm-Komödie bis zum Ballhaus Naunynstraße oder der freien Tanzszene ist alles an Plakaten und Bannern vertreten, was Berlins Kultur ausmacht.

Gefangenenchor aus „Nabucco“

Die Bühnentechnik stimmt, der Ablaufplan der knapp dreistündigen Demo wird minutiös eingehalten. So als hätten die Theaterleute gleich noch ihren Inspizienten mitgebracht. Und muskalisch, tänzerisch und darstellerisch sind vom Gemeinschaftschorprojekt der drei Opernhäuser, des Rundfunkchors und des RIAS Kammerchors bis zum Staatsballett Profis am Werk. Dass Erstere den Gefangenenchor aus „Nabucco“ anstimmen, lässt zusätzlich Freude aufkommen.

Schauspielerin Katharina Thalbach zitiert Richard von Weizsäcker: „Kultur ist kein Luxus.“

© dpa/Markus Lenhardt

Die ist dahin, als Joe Chialo die Bühne betritt. Buh-Rufe schallen dem Kultursenator entgegen. Seine Teilnahme war vorab nicht angekündigt worden, er sei als Gast erschienen, sagt er und sucht Verständnis für die Nöte der Haushaltskonsolidierung, die „eine historische Herausforderung“ sei. Der Einsparbeitrag der Kultur falle mit rund 120 Millionen aber sehr hoch aus, sagt Chialo und beteuert, dass die „Belastungen gerecht verteilt werden sollen“.

Chialo wird unwirsch

Erneut setzt es Buhs für den langsam unwirsch werdenden Chialo. Das war jetzt der falsche Satz für die Ohren der Kulturschaffenden, die zuvor ein ums andere Mal betont haben, dass besonders kleine Häuser und freie Szene sowieso schon unter prekären Bedingungen arbeiten und keinerlei Budgetkürzung verkraften können. Ähnlich argumentiert auch Oliver Reese vom Berliner Ensemble, der vorrechnet, dass 85 Prozent des Etats seiner Bühne in Gehältern und Gebäudeunterhalt aufgehen und bei zehn Prozent Kürzung nicht viel vom künstlerischen Budgetposten bleibt.

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Dem Kultursenator jedoch ist von seiner Gesprächspartnerin nichts Konkretes zu entlocken. Er sei nicht mit Antworten gekommen, sagt er, es werde ja noch verhandelt, sondern als Zeichen der Solidarität mit der Kultur. Und mit dem Versprechen: „Wir kämpfen für euch. Wir werden es schaffen, dass die Kürzungen korrigiert werden!“ Immerhin dafür erntet er schütteren Applaus.

Angemeldet haben die Veranstalter 3000 Leute, doch laut Polizei sollen es mehr sein, ruft Jürgen Kuttner in die Menge. Schwer zu sagen, ob das stimmt.

Aus der viel beschworenen Vielfalt der Darbietungen, die von Songs einer Volksbühnen-Kombo mit Alexander Scheer über die Percussion-Gruppe der Ufa-Fabrik bis zu einer Lyrikdarbietung der Berliner Literaturkonferenz, in der jedes zehnte Wort eingespart wird, reicht, stechen zwei Einlagen heraus.

Lars Eidinger, mal anders, bei einer speziellen Art von „Hamlet“-Monolog.

© dpa/Markus Lenhardt

Die von Katharina Thalbach, die mit schnarrender Stimme aus einer Rede des einstigen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zitiert. Darin nennt Weizsäcker es grotesk, in Bezug auf staatliche Kulturförderung von „Subventionen“ zu reden. Und weiter: „Kultur ist kein Luxus, sondern der geistige Boden, der unsere innere Überlebensfähigkeit sichert.“ Großer Jubel! Auch als Daria Wolf vom Grips-Theater den „Linie 1“-Empowerment-Song „Hey Du“ singt.

Und dann kommt „Hamlet“ Lars Eidinger als Abgesandter der Schaubühne, um die zentrale Bühnenfrage zu stellen: „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.“ Sein Dänen-Prinz-Kostüm hat Eidinger, der sogar auf den Veranstaltertruck klettert, weggelassen. Er trägt Anzug, grüne Handschuhe und Kopfverhüllung. Ein No-Name, ein Nicht-Darsteller. „Die Idee war, zu zeigen, was passiert, wenn kein Schauspieler mehr da ist“, sagt er am Ende des keineswegs nur nach Shakespeare klingenden Monologs.

Gegen den leisen Kulturpessimismus der Schaubühne setzt Alexander Scheer Volksbühnen-Direktheit: „Lieber Joe Chialo, hör auf, die Sparerei zu verteidigen. Fang an, dein Ressort zu verteidigen!“ Keine Frage: Die künstlerische Bandbreite dieser Stadt ist ihr Pfund.

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