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Schwarz ist seine Farbe. Lederer ist laut Umfragen der beliebteste Berliner Senator.

© Kai-Uwe Heinrich

Berliner Kultursenator Klaus Lederer: Der Drachentöter von Prenzlauer Berg

Unglamourös ist Klaus Lederer als Berliner Kultursenator angetreten – doch seine Politik in der Corona-Krise hat sich bewährt.

Das offizielle Bewerbungsschreiben für seinen Senatorenjob hatte Klaus Lederer im August 2016 im Tagesspiegel veröffentlicht. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller erfuhr dabei presseöffentlich, dass er als nebenberuflicher Kulturverwalter ungeeignet sei. Denn ausschließlich als Vollzeitstelle könne das Amt nachhaltig Wirkung entfalten, postulierte Lederer: „Eine Kulturpolitik, die sich allein auf steigende Etats und die reibungsarme Verwaltung des Status quo konzentriert, wird der Bedeutung von Kultur für die Entwicklung Berlins bei Weitem nicht gerecht.“

Man konnte ebenfalls erfahren, dass der letzte Kultursenator „mit praktiziertem Gestaltungsanspruch“ Lederers Linken-Parteifreund Thomas Flierl war. Tatsächlich gelang es Klaus Lederer nach der Wahl dann, in den Koalitionsverhandlungen Michael Müller das Ressort abzuluchsen. Obwohl der 42-Jährige in diesem Bereich politisch zuvor nicht aktiv gewesen war. Aber er war nun einmal der Landeschef der Linken.

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Was Klaus Lederer damals als Agenda ausbreitete, war maximal unglamourös. „Berlin braucht eine integrierende Kulturpolitik“, stand da, „die auf soziale Herausforderungen reagiert, den Metropolencharakter der Gesamtstadt ebenso im Blick hat wie die kulturelle Basis in den Bezirken.“ Außer der dezentralen Kulturarbeit hob der Senator in spe die Bedeutung von Musikschulen und Stadtteilbibliotheken hervor, betonte die Wichtigkeit kultureller Bildung bereits in Kindertagen und sprach sich dafür aus, dass staatliche Institutionen Mindesthonorare zahlen, wenn sie Freiberufler projektweise beschäftigen. Er rief dazu auf, die von der Off-Szene eroberten Kunstorte gegen Gentrifizierung zu verteidigen, und versprach, eine Politik zu machen, die dafür sorgt, „dass alle Berliner unabhängig vom Geldbeutel Zugang zu den kulturellen Angeboten haben“.

Kein prestigeträchtiges Namedropping

So hätte auch der Kulturdezernent von Bielefeld seine Kandidatur begründen können. Von weltstädtischem Sendungsbewusstsein nicht die Spur, geschweige denn von einem Anspruch, international stilprägend zu wirken. Kein prestigeträchtiges Namedropping, medialer Erotikfaktor gleich null. Und als Klaus Lederer dann den Chefsessel der Kulturverwaltung übernommen hatte, hielt er sich strikt an diese kleinteilige, basiskulturelle To-do-Liste. Zum Glück für die Stadt.

Denn als die Corona-Pandemie die Lichter in den Theatern und Museen, Clubs, Kinos und Konzertsälen ausknipste, war da ein Senator, der sich sofort und nachhaltig um jene kümmerte, die es besonders schwer getroffen hatte. Weil er sich auskannte mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen des Kulturprekariats, weil er und seine Verwaltung ein Netzwerk aufgebaut hatten, das bis in die feinsten Verästlungen der unübersichtlichen, diversen, eigenbrötlerischen und oft auch miteinander verfeindeten Berliner Szenen reicht.

„Links redet man nicht, links handelt man“, ist einer von Lederers Lieblingssätzen. Und tatsächlich hat kein Bundesland den Soloselbstständigen und Kleinunternehmern schneller geholfen als Berlin. 100 Millionen wurden bereits am 19. März bereitgestellt. In kurzer Folge legte die Kulturverwaltung dann weitere Programme auf, die versuchen, wirklich jede und jeden zu erreichen, die oder der in der Hauptstadt kreativ arbeitet. 300 000 Euro gab es zusätzlich für Popmusikprojekte des „Musicboard Berlin“.

Klaus Lederer, Kultursenator in Berlin, spricht auf dem Landesparteitag von Die Linke Berlin.
Klaus Lederer, Kultursenator in Berlin, spricht auf dem Landesparteitag von Die Linke Berlin.

© Fabian Sommer/dpa

Ein prototypischer linksliberaler Kulturmensch

1000 Stipendien à 9000 Euro verschaffen Freiberuflern Luft, im Rahmen der Soforthilfe IV wurden bereits 8,5 Millionen Euro an privatwirtschaftlich organisierte Kulturbetriebe ausgeschüttet, also an Varietés, freie Ensembles, Kinos, Clubs, Festivals, Bühnen. 30 weitere Millionen stehen für den Zeitraum September bis November zur Verfügung. Und sogar die starre Bürokratie wurde gelockert, mit „Verfahrensvereinfachungen im Zuwendungsrecht“, die es erlauben, Projekte zu verschieben, bei Absagen bereits angefallene Kosten abzurechnen oder auch an vor dem Lockdown engagierte Künstlerinnen und Künstler Ausfallhonorare zu zahlen.

Reimund Spitzer, der Betreiber des Golden-Gate-Clubs, erhob Klaus Lederer jüngst in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel zum St. Georg der hauptstädtischen Kulturlandschaft. Wer weder Rheinländer noch katholisch geprägt ist, würde auf den Drachentöter-Vergleich vielleicht nicht kommen. Doch was Lederer vor seiner Senatorenzeit im Blick hatte – Minderheitenschutz und Bürgerrechte –, das will er auch im Kulturbereich realisieren.

1974 in Schwerin geboren, aufgewachsen in Frankfurt/Oder und in Ost-Berlin sozialisiert, lebt Klaus Lederer mit seinem Ehemann in Prenzlauer Berg. Optisch gibt er sich als prototypischer linksliberaler Kulturmensch, kleidet sich ausschließlich in Schwarz, wobei er selbst zu offiziellen Terminen T-Shirt statt Hemd unterm Jackett trägt. Er will sichtbar zu den Coolen gehören, er will geliebt werden von der Avantgarde, von jenen, die an den Rändern des etablierten Kulturbetriebs agieren.

Beschützer der Nischen, Apostel der Teilhabe

Lederer will ein Graswurzel-Senator sein, ein Beschützer der soziokulturellen Nischen, ein Apostel der Teilhabe und der Niedrigschwelligkeit. Es könne doch nicht nur darum gehen, „mit den anderen Städten um die international umherziehenden Starkünstler zu konkurrieren, so wie die Nationalstaaten ums große Kapital“, hat er mal in der Zeitschrift „Theater heute“ gesagt. Das kann man beschmunzeln und darauf hinweisen, dass er bis jetzt, von der Volksbühne und der naheliegenden Lösung mit René Pollesch abgesehen, noch keinen Prestigeposten in den führenden Berliner Häusern neu besetzen musste, wo es ohne Weitsicht jenseits des lokalen Tellerrands nun einmal nicht geht. Die umstrittene Verlängerung von Daniel Barenboim an der Staatsoper hat er durchgewunken.

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Und doch: Mit seiner Politik seit 2016 hat Lederer die Krisenfestigkeit der hauptstädtische Kulturlandschaft verbessert. Der Boom des Berlin-Tourismus, die florierende Wirtschaft, der Überschuss an Steuermitteln erlaubten dem Senator, Geld mit vollen Händen auszureichen. Nach dem Motto: „Die Kleinen beschenkt man, die Großen lässt man laufen.“ Kinder- und Jugendtheater bekamen endlich die ihnen zustehende Anerkennung, auch in finanzieller Hinsicht, ein „Festivalfonds“ wurde aufgelegt für buntscheckige Events vom Karneval der Kulturen bis zur Art Week.

Aber die Off-Szene erhielt die Gaben aus der Kulturverwaltung, ohne dass Lederer darum an die Etats der großen Subventions-Tanker ranmusste. Er machte sogar das fast schon Undenkbare möglich: Nach Jahren, in denen die Institutionen Lohnerhöhungen stets aus dem eigenen Etat begleichen mussten, wurden die Tarifabschlüsse nun vollständig vom Staat ausgeglichen.

Klaus Lederer (Die Linke), Berliner Kultursenator, und Vera Allmanritter, Leiterin des Instituts für Kulturelle Teilhabeforschung.
Klaus Lederer (Die Linke), Berliner Kultursenator, und Vera Allmanritter, Leiterin des Instituts für Kulturelle Teilhabeforschung.

© Jörg Carstensen/dpa

Faktenbasierte Risikoabschätzung und verantwortungsbewusstes Handeln

Jetzt allerdings, im sechsten Monat der Krise, sind viele nicht mehr mit Lederer zufrieden. Weil sie ihn zu zögerlich finden, wenn es um Lockerungen im Kulturbetrieb geht. Die neue Saison startet mit den bundesweit strengsten Vorgaben, kaum mehr als 20 Prozent der Plätze dürfen Bühnen und Konzerthäuser belegen. In seinem Sicherheitsstreben kommt die universitäre Prägung Lederers zum Tragen. Er ist promovierter Jurist. Und als solcher darauf trainiert, jedes Wort genau zu wägen: ohne faktenbasierte Risikoabschätzung kein verantwortungsbewusstes Handeln. Also lässt er sich nicht von den Lobbyisten und Interessenvertretern vor sich hertreiben, sondern zieht sich mit Experten zu langwierigen Beratungen zurück.

Bevor er eine Entscheidung trifft, will er jedes auch nur erdenkliche Folgeszenario durchdacht haben. Und darum hält er an seinen Hygiene- und Schutzregeln fest, obwohl in Bahnen, Flugzeugen und teilweise auch in Restaurants längst eine andere „Neue Normalität“ praktiziert wird. Vielleicht werden all jene, die jetzt so gerne wieder den Rausch des gemeinschaftlichen Liveerlebnisses in voll besetzten Sälen erleben würden, Klaus Lederer schon bald dafür dankbar sein.

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