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Punch-Drunk Love

© p-a/dpa

Uwe Nettelbeck: Der Geistesblitz

Jetzt erscheint die letzte Ausgabe der "Republik“, und das Berliner Arsenal huldigt Uwe Nettelbeck, der für den Feuilletonjournalismus und die Kulturessayistik ein Geisterreiter war.

Thomas Bernhards schönes, von anderen oft unter Wert gebrauchtes Wort vom „Geisteskopf“, hätte auf ihn richtig zugetroffen. Aber Uwe Nettelbeck war für den Feuilletonjournalismus und die Kulturessayistik noch mehr: auch ein Geisterreiter, ein Geistesblitz, also eine gleißende Erscheinung, die doch nicht stetig im Zentrum Licht warf und sich damit auch nicht dauernd selbst beleuchtete.

Heute Abend erinnert das Berliner Arsenal-Kino noch einmal an ihn. Gleich fällt dann ein Harmonium vom Himmel – in „Punch-Drunk Love“, einem späten Nettelbeck-Lieblingsfilm von „Magnolia“-Regisseur Paul Thomas Andersen, der als Hommage gezeigt wird. Vor einem Jahr ist Uwe Nettelbeck, der bis Ende 1968 als junger Mann fünf tolle Jahre lang der verantwortliche Filmkritiker der „Zeit“ war, auf seinem Landgut in der Nähe von Bordeaux gestorben (Tsp. vom 25. 1. 97). Da war er 67 Jahre alt und hatte sich das halbe Leben lang mit seiner Frau Petra, einer einst berühmten „Tagesschau“-Sprecherin, aus der Schlagzeilenwelt zurückgezogen. Nach einem Chefredakteurs-Gastspiel bei „Konkret“ und seinem Produzentenengagement für die Rockgruppe „Faust“ geisterte Nettelbeck, aus der Ferne so nah, fast nur noch als Herausgeber und Autor der zusammen mit seiner Frau gegründeten (halbregelmäßigen) Halbjahrespublikation „Die Republik“ durch die intellektuelle Szene. Oder war mitunter als Autor „Jungle World“ zu lesen.

Was die Jüngeren allenfalls noch als Legende wussten: Dieser abgebrochene Literaturstudent Nettelbeck schrieb in den, verglichen mit heute, wahrhaft wilderen 60er Jahren auf oft ganzen „Zeit“-Seiten oder auch in der Zeitschrift „Filmkritik“ über Godard und Hitchcock, Truffaut und Kubrick, Pasolini und Bergman, über den neuen deutschen Kurzfilm oder den US-Underground Aufsätze von solcher Anschaulichkeit, Wahrnehmungsschärfe und Reflexionsdichte, wie sie auf späteren Kulturseiten nie mehr zu lesen waren.

Ganz hoch gegriffen: Walter Benjamins Ideal einer „analytischen Deskription“ erfüllte sich in Nettelbecks besten Texten. Übrigens auch in seinen Gerichtsreportagen, etwa über den Kindsmörder Jürgen Bartsch oder bei seiner einst skandalisierten, die „Zeit“-Karriere beendenden Beobachtung des Frankfurter Kaufhausbrandprozesses gegen Baader und Ensslin.

Nun ist zweierlei anzuzeigen. Morgen, an Uwe Nettelbecks erstem Todestag, erscheint mit der Nr. 123-125 die letzte „Republik“. Außen schwarzrot eingebunden, innen schwarz auf weiß gedruckt als veritables Taschenbuch – wie auch alle anderen Ausgaben dieser an Karl Kraus’ legendäre „Fackel“ nicht bloß optisch gemahnenden Publikation, die Petra Nettelbeck mit Freunden und Weggefährten besorgt hat. Auf 208 Seiten, geschmückt von einem Graphik-Zyklus des Berliner Filmemachers und Ästhetikprofessors Heinz Emigholz, enthält diese „Republik“ vor allem ein riesiges hinterlassenes Fragment mit dem Titel „Kino“. Es sind aus Nettelbecks Nachlass Notate, Exkurse, Zitate, (Film-)Dialoge, manchmal längere Lesefrüchte und dann wieder essayistische Kommentare: ein Bilder-Werk-Gedankenkosmos, von der „Titanic“ oder Hitchcocks Krimis über tausend Western und Eastern, der mit Sam Peckinpah, mit Pat Garrett und Billy the Kid endet. Dort abbricht. Ein filmisch-literarisch-kulturgeschichtlicher Mahlstrom, Kugelblitz, Geistesozean.

Ein Fragment, das noch einmal neugierig macht, ebenso wie die beigefügte 45-seitige Bibliographie Uwe Nettelbecks, die geradezu danach ruft, dass ein Verlag einmal seine wichtigsten Filmkritiken, Reportagen und Essays für die Nachwelt vereint. Der Nachwelt empfohlen sei natürlich auch die „Republik“, für deren schieren Titel den Nettelbecks nach der Wende fünfstellige Summen geboten wurden. Petra und Uwe N. haben es stattdessen vorzogen, in ihrer französisch-atlantischen Zurückgezogenheit Bände wie die Nr. 118-119 zu edieren, die Nettelbecks bis heute ungespieltes Großschauspiel „Die Thürme von Braunschweig“ enthält: ein auf Karl Philipp Moritz und seinen „Anton Reiser“-Roman anspielendes Drama, in dem auch Lessing, Herder, Goethe, Kant und viele mehr auftreten. Eine Tragödie, eine Komödie, was sonst.

Die Republik Nr. 123-125, für 25 € von Pym Films Berlin (www.pym.de). „Ein Abend für Uwe Nettelbeck“ heute um 19 Uhr im Arsenal Kino Berlin, Eintritt 6,50 €.

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