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Kurt Hübner

© Fritz Wolle/Cinetext

Kurt Hübner: Der Herausforderer

Ein Menschenfischer und Künstlerkönig, so hat er die Bühne geprägt. Zum Tod des großen Theatermannes Kurt Hübner.

Alles außer Brecht und Kortner ist Hübner. Das deutsche Theater heute gründet auf Kurt Hübner. Erst kamen nach 1945 die Emigranten als Wiederanreger, Brecht im Osten, Fritz Kortner im Westen. Und natürlich gab es den Glanz nochmal von Gustaf Gründgens, der freilich schon ein Abglanz war. Doch das wirklich Neue im Theater, das etwas ganz Anderes, etwas Zwiespältigeres, in sich Zerrisseneres und darin Menschenwahreres zeigte, das hat dieser Kurt Hübner als größter Menschenfischer und Künstleraufspürer der zweiten, letzten Jahrhunderthälfte befördert, befeuert, beflügelt.

Am vergangenen Dienstag, so hören wir jetzt, ist er in München gestorben, fast 91 Jahre alt. So wird dieser Sommer 2007 als Sommer der großen Toten des Films und der Bühne in die Annalen eingehen. Diese Theaterferien dauern für manche, die am liebsten wie Charlie Chaplins Doppelgänger im „Limelight“ geendet wären, nun eine Ewigkeit.

Kurt Hübner hatte schon eine Weile nicht mehr inszeniert. Doch war er, doch ist er, als im vergangenen Oktober die Theaterwelt seinen 90. Geburtstag gefeiert hat, noch immer präsent gewesen. Oft leibhaftig im Zuschauerraum, oft in Gesprächen, im Geist, wo er denn weht, allemal. Denn so viele hat er entdeckt, hat sie werden lassen und hat sie, sagen wir’s in seinem Fall mal bewusst so zackig: gemacht. Aus Talent wurde unter seiner strengen, mitreißenden Hand oft Genie, aus der Provinz eine Metropole.

Als Hübner 1959 die Intendanz des Theaters in Ulm übernahm und 1962 die Leitung der Bremer Bühnen, da wurden und wuchsen mit ihm: die Regisseure Peter Zadek und Peter Stein, Klaus Michael Grüber, Rainer Werner Fassbinder, Peter Palitzsch, Johannes Schaaf, Hans Neuenfels und Johann Kresnik; die Schauspieler(innen) Bruno Ganz, Traugott Buhre, Vladim Glowna, Walter Schmidinger, Edith Clever, Jutta Lampe, Hannelore Hoger, Judy Winter und die Bühnenbildner Wilfried Minks, Karl-Ernst Herrmann, Jürgen Rose und Erich Wonder. Und viele, viele mehr. Später übernahm er für 13 Jahre die West-Berliner Freie Volksbühne, und als er dort zu seinem Abschied 1986 Calderons „Das Leben ist Traum“ inszenierte, war sein Hauptdarsteller, der gefangene Prinz, ein sehr junger Mann namens Martin Wuttke.

Einmal, in Bremen 1965, inszenierte Hübner „Hamlet“, und sein damaliger Prinz hieß Bruno Ganz, ein noch völlig unbekannter 24-jähriger Schweizer, der dem regieführenden Intendanten in dessen Schlafzimmer vorgesprochen hatte. Hübner lag mit einer Grippe im Bett, aber Peter Zadek hatte den jungen Mann empfohlen – der Hübner damals nicht überzeugte. Und nach der dritten Bremer „Hamlet“-Vorstellung wütete Hübner gegen seinen Protagonisten und gab’s ihm auch schriftlich: „Auf der Bühne zeigte sich ein leerer, strohdreschender, humorloser, sentimentaler Hohlkopf!“

Bruno Ganz schwärmt von dieser Geschichte bis heute. Weil sie Hübner offenbart, wie er war. Manchmal ein zorniger Gott, der auch vom Schnürboden, dem Theaterhimmel, herabschrie und sein Theater oft sehr lauthals dirigierte. Oder kommandierte. Selbst in den heißesten 68-er Zeiten ließ dieser Hübner andere durchaus wissen, dass er mal Oberleutnant und Ritterkreuzträger war, allerdings, da ließ er freilich keinen Zweifel: „Als Jungscher, bei den Scheißnazis!“

Kurt Hübner hatte als geborener Hamburger ein unverkennbar norddeutsches Naturell. Aber mit einer unstillbaren Südenssehnsucht, und im Sommer gehörte er zu den frühesten Mitgliedern der Toskana-Fraktion. Bis zum Ende blieb er immer straff und schlank, gekleidet in italienischen Stoff und mit Budapester Schuhen; die Stimme etwas spöttisch nasal, im Tonfall leicht mit der seines Lieblingsregisseurs Peter Zadek zu verwechseln. Doch das Besondere im Äußeren waren seine Augen. Eisblau, unheimlich blitzend und durchdringend, geradewegs Suchscheinwerfer. Die ersten Signale seiner Neugier auf andere. Aufs Andere.

Der hanseatische Beamtensohn wollte schon früh ausbrechen ins Abenteuer. Einer wie er wäre früher wohl Seefahrer und Entdecker fremder Erdteile geworden. Jetzt blieb ihm nur die Kunst, und 1938 soll ihn auf der Berliner Schauspielschule der Staatstheaterintendant und Hyperschauspieler Gustaf Gründgens persönlich entdeckt haben. Bisweilen hat Hübner tatsächlich selber gespielt, 1990 im Kino zum Beispiel einen deutschen Unternehmer. In Loriots „Pappa ante Portas“. Dieser Ketzer und Theaterpapst.

Trotz eigener Schauspielerei und eigener Inszenierungen, die es wie sein Bremer „Hamlet“ auch zum Berliner Theatertreffen schafften, bleibt seine Lebensleistung doch das Entdecken, Erfinden und Ermöglichen: als Intendant. Einen Bruno Ganz, so jung in der Hamlet-Rolle, hatte er gewagt, obwohl Hübner, der ja tatsächlich aus der Gründgens-Schule kam, der neue, oft fast private Ton der jungen Akteure und Regisseure oft gegen seinen erlernten Geschmack ging. Aber sein Wagemut und sein musischer Instinkt machten ihn immer zum Verbündeten der Künstler. Und so öffnete er dem jungen, aus dem englischen Exil zurückgekehrten Peter Zadek die Bühne für einen ganz frischen, wilden, scheinbar unkultivierten, weil aus gegebenen Formen ausbrechenden Shakespeare. Bis hin zum Bremer „Maß für Maß“ in Jeans und in der für alle Nordlichter schier skandalösen Jargonübersetzung des bayerischen Dramatikers Martin Sperr. Hübner ermöglichte so: wirklich zeitgenössisches Theater, selbst unterm Signum der Klassiker. Und in den Inszenierungen Zadeks schuf der Bühnenbildner Wilfried Minks ganz neue Szenen ohne stilisierende Kulissen. Stattdessen wurden die Räume offen, hell, fast leer und manchmal nur mit Bild-Zitaten aus dem Film und der Pop-Art geziert. Ein Vietnamkriegs-Comic von Roy Lichtenstein begleitete plötzlich Schillers „Räuber“, das war damals eine Revolution.

Die neu gegründete Zeitschrift „Theater heute“ hieß eine Zeit lang nur „Bremen heute“, denn das war: das Theater heute. Und es strahlte aus, auch in die DDR, nach West- und Osteuropa, und in Bremen, mit dem Ensemble von Peter Steins legendärem „Torquato Tasso“, entstand auch die bald noch berühmtere Berliner Schaubühne.

Am Ende war Kurt Hübner dann beides: Revolutionär und Traditionalist. So wäre er wieder eine Herausforderung. Auch für das Theater heute.

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