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Geschlechterfantasie.

© LAIF

Kultur: Der Mann fürs Barometer

Auf der Suche nach dem Hier und Heute: Ein Gespräch mit Jeffrey Eugenides über Realismus, seinen neuen Roman „Die Liebeshandlung“ und den Pakt mit dem Leser

Jeffrey Eugenides, 51, lebt in Princeton, New Jersey. Er wurde für den Roman „Middlesex“ mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, Sofia Coppola verfilmte seinen Erstling „Die Selbstmord-Schwestern“. In der nächsten Woche erscheint sein dritter Roman: „Die Liebeshandlung“ (aus dem Amerikanischen von Uli Aumüller und Grete Osterwald. Rowohlt Verlag, 623 Seiten. 26,90 €). Eine Dreiecksgeschichte: Mitchell will Madeleine für sich gewinnen. Madeleine braucht jemanden, der sie braucht, und glaubt diesen in Leonard gefunden zu haben. Alle drei sehen sich mit den Realitäten des Erwachsenenlebens konfrontiert, von dem sie im intellektuellen Spa einer amerikanischen Eliteuni verschont worden sind. „Die Liebeshandlung” (The Marriage Plot) ist ein mit den Raffinessen der Postmoderne gespickter Roman über klassischen Herzschmerz und verlorene Unschuld.

Herr Eugenides, Wie halten Sie es mit der Religion?

Ich habe ein gespaltenes Verhältnis dazu. Ich bin zu gläubig, um Atheist zu sein, und zu skeptisch, um regelmäßig in die Kirche zu gehen. Als Student habe ich viel Thomas Merton gelesen und Augustinus und Teresa von Avila.

Wie Mitchell, einer der drei Protagonisten in „Die Liebeshandlung“.

Ich wollte herausfinden, was es heißt, an etwas zu glauben.

Und, haben Sie es herausgefunden, als Sie – wie Mitchell – in den 80er Jahren eine Zeit lang in Mutter Theresas Sterbehospiz in Kalkutta arbeiteten?

Nein (lacht). Mitchells spirituelle Selbstsuche fand auch nicht deshalb Eingang in den Roman, weil ich unbedingt dieses autobiografische Detail loswerden wollte. Es war mir vielmehr aufgefallen, dass die Religion aus der zeitgenössischen Literatur fast komplett verschwunden ist. Dabei sind die Grundsatzfragen der menschlichen Existenz – Warum sind wir hier? Was ist der Sinn des Lebens? – so aktuell wie eh und je. Es ging mir darum, diese Themen in „Die Liebeshandlung“ zu bringen, so wie sie in praktisch jedem Roman des 19. Jahrhunderts präsent waren.

Der Roman hat seit dem 19. Jahrhundert eine Menge durchgemacht: Von James Joyce über die französische Dekonstruktion bis hin zu den Twitter-Epen, mit denen er heute konkurrieren muss. Ist erzählende Literatur überhaupt noch zeitgemäß?

Es ist wie mit dem Jazz. Charlie Parker begann in einem bestimmten Moment, den Jazz weg von der Melodie zu führen, weg von der populären leicht verständlichen Musik. Dann kamen John Coltrane und der Free Jazz und so weiter. All das war wundervoll. Aber irgendwann wurde der Jazz derart dissonant und fragmentiert, dass jemand, der kein Experte war, die Musik nicht mehr verstand. Dem Roman erging es ähnlich. Ich aber will nicht, dass meine Bücher nur noch von Professoren gelesen werden.

Das ist kaum anzunehmen. Ihr letzter Roman „Middlesex“ verkaufte sich weltweit über drei Millionen Mal.

Mich haben die Dekonstruktivisten und die Semiotiker stark beeinflusst. Die meisten meiner Bücher sind Versuche, die Gültigkeit dieser Theorien anzuerkennen, ohne selber nouveaux romans à la Alain Robbe-Grillet zu schreiben. Für den zeitgenössischen Roman existieren unzählige erzählerische Möglichkeiten, auch wenn man ihm ein gewisses Maß an Realismus zurückgibt. Als Schriftsteller habe ich einen Pakt mit dem Leser: Ich erfinde eine Welt, die ihm so glaubwürdig wie möglich erscheint. Der Leser lässt sich seinerseits auf all die Lektionen und Wahrheiten und Vergnügen ein, die diese erfundene Welt mit sich bringt. Kennen Sie die Geschichte mit dem Barometer?

Nein.

Der große Dekonstruktivist Roland Barthes misstraute dem Realismus und dem realistischen Roman generell. So zitierte er eine Stelle in „Madame Bovary“, in der Flaubert das Intérieur eines Zimmers beschreibt und dabei ein Barometer erwähnt. Barthes zufolge dient dieses Barometer einzig und allein dazu, die Wirklichkeit des Zimmers zu signalisieren und ist nicht mehr als ein Trick.

Sie haben also nichts gegen Barometer in Ihren Romanen?

Ich glaube einfach nicht, dass ein Barometer an der Wand den realistischen Roman an sich entwertet. Roland Barthes wollte am Ende seines Lebens ja sogar selber einen Roman schreiben. Er kam zum Schluss, dass es Momente absoluter Wahrheit in der Literatur geben kann.

„Die Liebeshandlung“ wird abwechselnd aus der Sicht der drei Hauptfiguren erzählt.

Ich habe mich noch nie so stark in die Gedanken und Gefühle meiner Protagonisten hineinversetzt wie in diesem Roman. In „Die Selbstmord-Schwestern“ war ich vor allem an der Sprache und der Erzählstimme interessiert, an dem Chor von Erzählern. Das „Wir“ trägt den Roman und schildert Geschehnisse, die vom ersten Absatz an bekannt sind. In „Middlesex“ interessierte ich mich für den Plot. Ich wollte eine dichte, komplexe Handlung, die sich über mehrere Generationen und verschiedene Schauplätze erstreckt.

Also schrieben Sie die Saga einer griechischen Einwandererfamilie in den USA, erzählt von einem Hermaphroditen.

In „Die Liebeshandlung“ geht es mir um die Figuren. Dabei bediene ich mich der Erfahrungen, die ich als erzählender Hermaphrodit gemacht habe und begebe mich sowohl in die Köpfe von Männern – Mitchell und Leonard – als auch in den einer Frau – Madeleine. Cormac McCarthy sagt, er schreibe nur über Männer, weil er sich nicht vorstellen könne, was sich in den Köpfen von Frauen abspiele. Mir erscheint es jedoch seltsam, wenn man als Schriftsteller die Hälfte der Bevölkerung von vorn herein ausschließt.

Denken Frauen und Männer überhaupt so verschieden?

Die meisten meiner Gedanken sind nicht besonders mit der Tatsache verbunden, dass ich ein Mann bin. Obwohl ich mir dessen natürlich bewusst bin. In den 70er Jahren – und davon handelte „Middlesex“ unter anderem – galt die geschlechtliche Identität als soziales Konstrukt. Heute wird alles mit den Genen erklärt. Ich glaube, dass wir alle in erster Linie Ichs sind. Wenn ich aus der Sicht einer Frau schreibe, schreibe ich nicht aus der Sicht aller Frauen, sondern nur aus der dieser einen speziellen Frau, meiner Figur. Ich versetzte mich in ihre Lage und in ihre Leben, genauso wie ich mich in eine männliche Figur versetze. Ich betrachte Frauenfiguren nicht als fremde Kreaturen, die ich von außen her angehen und verstehen muss.

In „Die Liebeshandlung“ gibt es kein Internet, keine Handys.

Und keine SMS, ich weiß. Auf diesen Punkt haben mich schon manche Leser angesprochen. Madeleine muss zu Hause neben dem Telefon auf den ersehnten Anruf von Leonard warten. Die Kommunikation zwischen Liebenden hat sich durch die Technologie sicher verändert. Aber die Gefühle und das Drama sind sich gleich geblieben. Ich halte mich übrigens für durchaus dazu imstande, einen Roman zu schreiben, der im Jetzt spielt. Um überzeugende Figuren zu schaffen, ist das Internet jedoch nicht nötig.

Das Gespräch führte Sacha Verna.

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