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Die Gorillahand wirkt menschlich. Und ist doch ganz anders.

© Humboldt-Universität zu Berlin, Zoologische Lehrsammlung/Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, digitale Reproduktion: Jester Blank GbR

Highlights für das Humboldt Forum: Der Mensch stammt vom Affen ab?

2019 soll das Humboldt Forum im Berliner Schloss eröffnen. Wir präsentieren schon jetzt die Vorboten der Sammlungen. Diesmal geht es um eine Gorillahand.

Diese Hand irritiert. Das liegt nicht nur an ihrer Präsentation. Am Gelenk abgetrennt befindet sie sich in Alkohol eingelegt, gleichsam schwebend in einem Glasbehälter. Die Finger sind leicht gekrümmt, als würden sie nach etwas greifen. Die Irritation wird vor allem dadurch befördert, dass die Hand ausgesprochen menschlich wirkt. Dies betrifft die Gesamtgestalt, aber auch Details, wie die Handlinien, die Leisten auf den Fingerspitzen und die Falten an den Fingergelenken. Gleichzeitig unterscheidet sie sich durch ihre Größe, die kräftigen Finger, die dunklen und stark gekrümmten Nägel, vor allem aber durch den kurzen Daumen von einer Menschenhand. Hautleisten an der Außenseite der Finger zeigen, dass es sich um die Hand eines afrikanischen Affen handelt. Nur Schimpansen und Gorillas laufen mit den Händen im Knöchelgang, sie setzen bei der vierfüßigen Fortbewegung lediglich die vorderen beiden Fingerglieder auf.

In diesem Falle ist es das Präparat der rechten Hand eines Westlichen Gorillas, Gorilla gorilla (Savage, 1847) aus dem westlichen Zentralafrika. Es ist ein Objekt der Zoologischen Lehrsammlung der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Jahre 1884 begründet, diente die Sammlung als Instrument zur zoologischen Wissensvermittlung. Dazu wurden mit anatomischen und mikroskopischen Präparaten, mit Modellen sowie mit Wandtafeln die damals aktuellen Medien eingesetzt. Im Zweiten Weltkrieg sind größere Teile der Sammlung zerstört worden. In den 1970er-Jahren sollte sie aufgelöst werden. Zahlreiche Objekte gingen dabei verloren oder in den Besitz des Museums für Naturkunde über. Trotz dieser Einbußen ist sie eine der bedeutendsten zoologischen Lehrsammlungen in Deutschland und wird nach wie vor für Lehre und Forschung genutzt. Um Erhalt und Pflege einer so umfangreichen Lehrsammlung zu gewährleisten, bedarf es für die Zukunft einer ausreichenden personellen und finanziellen Ausstattung.

Darwin hat den Menschen seiner Sonderstellung beraubt

Die Hand und ein Fuß eines Gorillas wurden laut Inventarbuch im Jahre 1904 für 20 Mark erworben, Verkäufer war Erwin Olbricht, Besitzer eines Drogen- und Farbenhandels in Leipzig. Er verkaufte der Sammlung auch noch eine Schimpansenhand und eine Erdpython. Alle diese Tiere leben in der Region des westlichen Zentralafrika. Die Präparate stammen daher möglicherweise aus der damaligen deutschen Kolonie Kamerun. Wie sie in den Besitz des Verkäufers gelangten, ist nicht bekannt.

Worin lag nun die wissenschaftliche Bedeutung derartiger Objekte? Mit Darwins Deszendenztheorie wurde der Mensch seiner Sonderstellung beraubt und in die Natur integriert. Er sollte nun von Affen abstammen, ausgerechnet von den Tieren, die abwechselnd als belustigende Karikaturen oder furchterregende Bestien betrachtet wurden. Dies war für viele Menschen eine Kränkung. Über die Menschenaffen Gibbons, Orang-Utans, Gorillas und Schimpansen war zu Darwins Zeiten allerdings noch recht wenig bekannt. Demzufolge wurden die genealogischen Beziehungen zwischen ihnen und dem Menschen lange Zeit höchst kontrovers diskutiert. Vergleichende Analysen von Schädeln, Knochenbau und Ausbildung der Extremitäten spielten für diese Diskussionen eine entscheidende Rolle.

Die Präparate liefern wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse

In diesem Kontext muss auch der Erwerb anatomischer Präparate verschiedener Primatenarten inklusive der Gorillahand für die Zoologische Lehrsammlung gesehen werden. Nur durch eine vergleichende Betrachtung derartiger Sammlungsobjekte lassen sich evolutive Transformationen von Organen und die verwandtschaftliche Stellung des Menschen anschaulich nachvollziehbar machen. Auch wenn heutzutage eine abgetrennte, in Alkohol eingelegte Gorillahand irritieren mag, so basiert unsere hohe Wertschätzung von Gorillas und anderen Menschenaffen auch auf Erkenntnissen, die mittels solcher Präparate gewonnen und vermittelt wurden.

Aufgrund ihrer vielfältigen wissenschaftlichen, kulturellen und historischen Bezüge wird die Gorillahand im Humboldt Forum eines der Exponate sein, die in der Auftaktausstellung der Humboldt-Universität zu Berlin zu sehen sein werden.

Der Autor ist Professor für Vergleichende Zoologie, Mitglied des Exzellenzclusters „Bild Wissen Gestaltung“ und Leiter der Zoologischen Lehrsammlung an der Humboldt-Universität zu Berlin.

„Der Daumen ist wesentlich für den Menschen”

Kurzer Daumen. Dieses Nasspräparat diente dazu, anatomische Vergleiche mit der menschlichen Hand durchzuführen.
Kurzer Daumen. Dieses Nasspräparat diente dazu, anatomische Vergleiche mit der menschlichen Hand durchzuführen.

© Humboldt-Universität zu Berlin, Zoologische Lehrsammlung/Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, digitale Reproduktion: Jester Blank GbR

Ole Goertz

Der Autor ist Chefarzt der Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, Handchirurgie am Berliner Martin-Luther-Krankenhaus.

Diese Hand wirkt auf mich brutal von ihrer eigentlichen Funktion, dem Greifen, dem Begreifen, der permanenten Bewegung abgetrennt, amputiert. Wurde das Tier dafür getötet? Ganz offensichtlich hat die Hand beim Gorilla eine andere Funktion als beim Menschen: Sie dient ihm noch zur Fortbewegung. Die menschliche Hand dagegen stellt ein Greiforgan unnachahmlicher Vielseitigkeit dar, das sich immer neuen Herausforderungen anpasst – durch das begreifende Gehirn und getrieben durch den Willen.

Warum ist der Daumen so unwichtig, der beim Menschen eine so wesentliche Aufgabe erfüllt? Offenbar spielt die Opposition des Daumens als Greifwerkzeug beim Gorilla eine so untergeordnete Rolle, weil die Hand eben noch stark der Fortbewegung dient. Auch die Daumenballenmuskulatur ist nur sehr schwach ausgeprägt. Die Fingernägel – beim Menschen den weichen, differenzierten Tastempfindungen der Fingerkuppen als Widerlager dienend – sind handwärts gerichtet, Krallen.

Auf dem Operationstisch sehe ich manchmal Hände, die dieser Hand entfernt ähneln. Das sind dann Hände, die durch Unfälle abgetrennt wurden und durch mangelnde Durchblutung braun und faltig geworden sind. Oder es sind verbrannte Hände – das erlebe ich leider manchmal, wenn ich für den Verein

Placet ehrenamtlich Kinder aus Krisengebieten operiere. Meine Tochter hat beim Anblick dieser Hand gesagt: Sie sieht ein bisschen so aus wie die Hand von Lourdes. Lourdes ist ein Mädchen aus dem Kongo, das starke Verbrennungen der Hände erlitt.

„Diese Hand erinnert mich an meine eigene“

Lola Schönauer-Uzquiano

Die Grundschülerin geht in die vierte Klasse der Joan-Miró-Grundschule in Charlottenburg.

Ich finde, die Hand sieht ein bisschen eklig aus, weil sie so eingequetscht ist. Aber Angst macht sie mir nicht, ich finde sie interessant. Sie erinnert mich an meine eigene Hand, aber sie hat viel mehr Haare, die Fingernägel sehen anders aus und sie hat eine andere Form. Wie ist diese Hand nach Berlin gekommen? Ob die Füße eines Gorillas auch so ähnlich aussehen wie die Füße von Menschen? Ich habe schon oft echte Gorillas gesehen, im Zoo. Meine Lieblingstiere sind aber Elefanten. Ich habe viele Elefanten als Kuscheltiere und zwei echte Meerschweinchen: Murmel und Urmel.

Meine Klasse hat bei dem Projekt „Das ist auch unsere Baustelle“ vom Humboldt Forum mitgemacht. Dazu gibt es eine Ausstellung in der Humboldt- Box, die man sich noch bis zum 16. Dezember angucken kann. Wir sollten uns überlegen, welche Räume wir in das Schloss reinbauen würden. Ich habe einen Pool gemalt: Das wäre doch schön, ein Pool im Schloss!

Protokoll: Dorothee Nolte

Die nächsten Termine

Noch bis Mai 2019 stellt das Humboldt Forum 15 Highlight-Objekte vor, die die Vielfalt der künftigen Sammlungen widerspiegeln – in Gesprächen und einer Ausstellung auf der Museumsinsel und am Kulturforum. Der nächste Termin:

Elefant, Biene & Gorilla

Weshalb ziehen auch Elefanten, Gorillas und Bienen ins Humboldt Forum? Über die Praxis kolonialen Sammelns sprechen internationale Expertinnen und Experten, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie Beteiligte des Humboldt Forums.

Donnerstag, 15. November, 19.30 Uhr

Emil-Fischer-Hörsaal der Humboldt-Universität, Hessische Straße 2, 10115 Berlin-Mitte

Federn, Lack & Breakdance
Mittwoch, 5. Dezember, 19.30 Uhr, Gemäldegalerie

Weitere Infos und Anmeldung für reguläre Tickets im Internet unter humboldtforum.com/highlights

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