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Imre Kertész.

© Georgios Kefalas/dpa

Nachruf auf einen Literaturnobelpreisträger: Der Schicksallose: Zum Tod von Imre Kertész

Von Anfang an nahm er sich in seiner Kunst mitleidlos in den Blick. Vieles von dem, worüber er schrieb, hat Imre Kertész erleben müssen. Von der Verschleppung nach Auschwitz bis zu den Demütigungen des hohen Alters. Doch in seiner Prosa verbarg sich trotz aller Schmerzhaftigkeit auch das Gegenteil: eine Feier des Lebens. Ein Auszug aus unserer Blendle-Empfehlung.

Von Gregor Dotzauer

Letzte Einkehr: So hieß das überwiegend in Berlin entstandene Tagebuch, aus dessen Notizen der schon schwer parkinsonkranke Imre Kertész 2013 den Abschluss seines Werks destillieren wollte. Aufzeichnungen vom Hinaustreten aus einem Leben, das er als Geschichte fortlaufender Demütigungen empfand. Material zu einer „Naturkunde des Verfalls“ mit einem „Exit“, der unweigerlich im Jenseits der Literatur stattfinden muss.

Im Frühjahr 2015 erschien „Letzte Einkehr“ noch einmal als „Tagebuchroman“: um die Daten der aus den Jahren 2001 bis 2009 stammenden Einträge zumeist bereinigt, gekürzt, verdichtet und in seinen schonungslos intimen Details zum Exemplarischen gehärtet. Dem Ideal, das Kertész in der ersten Fassung formuliert hatte, kam es damit schon ziemlich nahe: „Ein radikal persönliches Buch, bis schließlich nichts mehr übrig bleibt. Den Weg zu Ende gehen, im wortwörtlichen Sinn. Die Figur zerrütten, zermalmen, zernichten. Aber möglichst ohne jede Erklärung, vor allem ohne jede sogenannte Philosophie.“

Was er als „Krönung“ seines Werks betrachtete, ließ sich indes anders, als er es beabsichtigt hatte, nur noch teilweise ins Erleben einer durch und durch fiktionalen Romanfigur übersetzen. Zwischen einem Ich, das sich mit größtmöglicher Nüchternheit von außen zu betrachten versucht, und einem Er, dem die Innenperspektive nicht auszutreiben ist, schuf er mit der zweiten Fassung der „Letzten Einkehr“ die unreinste, brüchigste, aber auch ergreifendste Form seiner Autofiktionen, die 1992 mit dem gleichfalls Roman genannten „Galeerentagebuch“ begannen. Es blieb die Gattung, die er so entscheidend prägte wie – auf je andere Weise – nur noch J. M. Coetzee mit seiner afrikanischen Trilogie und Paul Nizon mit seinen Expeditionen ins Dickicht von Paris. Wobei auch seine auf Anhieb als Romane erkennbaren Bücher das Autofiktionale nie abstreiften.

Imre Kertész, am 9. November 1929 in Budapest geboren, hatte von Anfang an eine Kunst im Sinn, die ihren Schöpfer mitleidlos in den Blick nimmt, aber auch sofort wieder von ihm absieht. Der liebenswürdige, höfliche, warmherzige Mensch, der er war, verwandelte sich unter den eigenen Händen in eine literarische Figur, die vom erkalteten Lebensstoff ihres anderen Ichs zehrte.

Den vollständigen Nachruf lesen Sie hier für 45 Cent im digitalen Kiosk Blendle.

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