
© Ekko von Schwichow S. Fischer Verlag
Felicitas Hoppe erzählt die Nibelungen-Saga neu: Der Tod fällt ins Wasser
Ein deutscher Stummfilm: "Die Nibelungen". Der Roman der Büchnerpreisträgerin überschreitet Wirklichkeit und Mythos im ästhetischen Spiel.
Stand:
Tödliche Kämpfe um Gold und Frauen, Vergewaltigung und Mord, Treue zu Sippe und Gefolgschaft – das Nibelungenlied ist toxischer Stoff und war vor allem im 19. und 20. Jahrhundert Projektionsraum für nationalmythische Sehnsüchte. Die Büchnerpreisträgerin Felicitas Hoppe hat das Versepos aus dem 13. Jahrhundert nun gegenwärtig und neu erzählt: „Die Nibelungen – Ein deutscher Stummfilm“.
Doch wie schreibt man ein so belastetes Werk neu? Schon aus den Worten Karl Simmrocks, der das Nibelungenlied 1827 aus dem Mittelhochdeutschen übersetzte, ätzt der nationalistische Furor: Die Nibelungen seien „Feld- und Zeltpoesie“, mit der man „Armeen aus dem Boden stampfen“ kann, „wenn es den Verwüstern des Reichs, den gallischen Mordbrennern, der römischen Anmaßung zu wehren gilt“.
Vom Klassenzimmer in den Schützengraben
Prophetische Worte. Denn während des Ersten Weltkrieges waren die Nibelungen Pflichtlektüre für Jungen, die aus den Klassenzimmern in die Schützengräben zogen. Das Epos wurde zum Nationalmythos, fand in politischen Reden Widerhall und wurde immer wieder gebraucht, um die katastrophische Gegenwart mit Sinn aufzuladen. 1923 folgte die berühmte, aufwendige Verfilmung von Fritz Lang.
Hoppes Roman verweist zwar im Titel indirekt auch auf Langs Werk, das mit seinen wuchtigen Architekturen und seinem heiligen Ernst heute vor allem campy wirkt. Er verfolgt aber eine andere ästhetische Strategie: Der große österreichisch-deutsche Filmemacher wollte den Mythos noch wiedererwecken, Hoppe dagegen sprengt ihn.
Das gelingt ihr, indem sie nie direkt die Handlung des Epos erzählt, sondern eine fiktive Aufführung der Wormser Nibelungen-Festspiele schildert, allerdings mit zahlreichen wuchernden Neuschöpfungen und Brüchen.
[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Berliner Entwicklungen. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de. ]
Erzählt wird die Theateraufführung von einem Fährmann, der einerseits Teil des Schauspieler-Ensembles auf der Bühne ist. Andererseits nimmt er das Stück aus seinem Boot durch ein Opernglas wahr, mit ausufernden Kommentaren, Schilderung von Publikumsreaktionen oder Reflexionen zu verschiedenen historischen Interpretationsversuchen der Nibelungen. Ab und zu bekennt der Erzähler-Fährmann sogar, dass er nicht „beim Drachenkampf unter der Linde, nicht bei Siegfrieds erfrischendem Bad im Blut seines Opfers“ dabei gewesen ist.
Der Erzähler kennt also den historischen Stoff, wird gar als Zeitzeuge bezeichnet, war aber oft nicht dabei, ist Teil des Bühnengeschehens, berichtet aber von genau diesem. Klingt kompliziert? Ist es auch, denn Erzählperspektive, der Ort der Handlung und selbst die Figuren werden bei Hoppe radikal entgrenzt.
Die Dramaturgie stammt von Tarantino
Wie bei einer russischen Matrojschka sind hier die Kunstformen effektvoll ineinandergesteckt. Die Theateraufführung wird im Rahmen eines Romans erzählt, der wiederum wie ein Stummfilm gegliedert ist: Jede Szene leitet ein kleiner Kurzteaser in einem schwarzen Kasten ein, der typographisch an die Einschübe des Stummfilms erinnert.
Die Dramaturgie ist übrigens von Quentin Tarantino, wie es in den Credits am Ende zu lesen ist. Und wirklich: Der Nibelungen-Plot mit seinem großen finalen Gemetzel könnte vom „Kill-Bill“-Regisseur stammen. Hoppe passiert jedenfalls auch die zentralen Wegmarken der Original-Nibelungen, Siegfrieds Ermordung oder die Reise der Burgunden an den Hof König Etzels. Zwischendurch engagiert sie auch einen Wormser Bürger, der den Tod spielen muss.
Tod, der Laie aus Worms
Das klingt dann so: „Der Tod ist nämlich ein Laie aus Worms, in einem billigen Trainingsanzug von Woolworth, aus der Fußgängerzone nebenan, burgundisch nachempfundenen Farben, die, sobald er ins Wasser fällt, für immer verblassen.“ Fällt der Tod irgendwann ins Wasser? Tja, so genau weiß man das nicht.
Gerade aber von solchen semantischen Überschüssen, die der Text massenweise produziert, leben Hoppes Nibelungen.
Da ist zum Beispiel die „Goldene Dreizehn“, gewissermaßen der personalisierte Nibelungenschatz, der als Söldner in den Krieg gezogen ist und sich betrunken verplappert hat, bis seine „goldenenen Knochen“ entdeckt wurden. Zwischen Kopf und Hals der Goldenen Dreizehn stecken, dem Fährmann zufolge, drei goldene Münzen, die „mittlerweile“ im Museum für Gegenwartskunst in Basel lägen. Wann dieses „mittlerweile“ ist, bleibt natürlich offen: Raum und Zeit sind bei Hoppe gehörig aus den Fugen geraten.
[Felicitas Hoppe: Die Nibelungen - Ein deutscher Stummfilm, Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2021, 256 S., 22 €]
So wie im originalen Nibelungenlied alles auf das Gemetzel am Hofe von König Etzel hinausläuft, scheint hier alles nach der Enthauptung des Schatzes zu verlangen, der auch plötzlich beim Bankett in Etzels Halle auftaucht. Im Gegensatz zu den Original-Nibelungen hat sich Hagen in Hoppes Roman „vermutlich geirrt, als er den Schatz bei Lochheim im Rhein versenkte“.
Der Schatz, der Figur und Gegenstand ist, sich vermehrt, verkleidet, teilt, auftaucht, verschwindet und zwischenzeitlich gar in einen Käfig auf dem Domplatz von Worms gesperrt wird, ist in diesem Roman eine Allegorie für das maßlose ästhetische Spiel selbst. Denn der Schatz ist buchstäblich nicht zu fassen, so wenig wie der Roman selbst, der ständig semantische Unschärferelationen produziert.
Kriemhild wurde 1996 in Klagenfurt geboren
In den Pausen interviewt der Erzähler-Fährmann etwa Kriemhild. Von der heißt es, sie sei 1996 in Klagenfurt geboren worden, in Wien ausgebildet, und hätte Engagements am Deutschen Theater gehabt. An ihrer Tür hängt allerdings auch ein Schild mit der Aufschrift „Langfristig in Trauer“, was sich nun auf den Tod Siegfrieds bezieht. Kriemhild verdoppelt sich also, ist Schauspielerin und Figur und beides gleichzeitig.
Von ihr erhalten wir dann auch einen schönen Hinweis darauf, was hier eigentlich gespielt wird: „Alles immer bisschen zu groß, alles verzerrt, nichts kommt mit der Wirklichkeit ernsthaft zur Deckung. Und das ist auch gut so. Dafür hat man das Theater ja schließlich erfunden. Wer hat schon Lust, die Wirklichkeit nachzuahmen? Wir machen nichts nach, wir machen es vor.“
„Die Nibelungen sind so sehr unser Stoff“ hieß es in der neu-rechten Zeitschrift „Sezession“ vor einigen Jahren. Der rechts-politische Mythos braucht die Nibelungen heute noch, um der krisenhaften Wirklichkeit eine fiktive „tiefe“ Ordnung aufzuerlegen. Die Kunst aber, Felicitas Hoppes Erzählkunst, überschreitet Wirklichkeit und Mythos zugleich im chaotischen ästhetischen Spiel und verwandelt den toxischsten Stoff in Rheingold.
Matthias Ubl
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: