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Kultur: "Der Tunnel": Große Tunnel-Gefühle

Die besten Geschichten fürs Kino schreibt bekanntlich der Krieg. Geschütze knattern, Tränen fließen, Männer waten durch Schlamm und Dreck, zeigen Muskeln und Mut.

Die besten Geschichten fürs Kino schreibt bekanntlich der Krieg. Geschütze knattern, Tränen fließen, Männer waten durch Schlamm und Dreck, zeigen Muskeln und Mut. Und auch die Liebe wirkt im Angesicht des Todes süßer denn je. Dass auch der lautlose Kalte Krieg derlei Geschichten gebären kann, zeigt der große SAT.1-Zweiteiler "Der Tunnel", den Roland Suso Richter mit allem dazu gehörigen Pathos des Kriegsfilm-Genres in Szene setzt. Nachdem das Landgericht München die Klage einer Zeitzeugin abgewiesen hat, ist klar, dass der Film am Sonntag und Montag zu sehen sein wird.

Die Story bezieht ihren bittersüßen Reiz aus ihrer Authentizität: Eine Gruppe Westberliner Studenten beschließt im frisch vermauerten Berlin, einen 145 Meter langen unterirdischen Fluchtweg unter der Mauer durchzubuddeln, um Freunde, Verwandte und Geliebte rüberzuholen in die Freiheit.

Richters Film, der wahrlich einen großen Kino-Stoff erzählt, kommt freilich ins Fernsehen. Nur ein einziges Mal ist er am Donnerstagabend im Berliner Zoo-Palast vor tausend Zuschauern - darunter Stars von Wolfgang Joop bis Goetz George - gezeigt worden. Ihr Applaus war eine Demonstration gegen die deutsche Kino-Politik.

Im ARD-Dokumentarfilm "Der Tunnel" von Markus Vetter weiß der reale Tunnel-Bauer Hasso Herschel mit lakonischer Selbstironie von seinen Jugenderlebnissen zu erzählen. Im SAT1-Film wandelt er sich zu Harry Melchior. Der hat wie sein Vorbild wegen angeblichen Hochverrats über vier Jahre in Bautzen gesessen. Dann ist er als Hochleistungssportler zum Held der DDR avanciert, bis er schließlich mit gefälschtem Pass, Bart und Dialekt seinem Staat den Rücken kehrt. Und so steht er dann da im verrotteten West-Berlin (gedreht in Prag, Berlin und in den Babelsberger "Sonnenallee"-Kulissen): Heino Ferch mit seinem kantigen Gesicht, dem mächtigen Männer-Körper und den Augen aus Samt und Schalk.

Neben ihm Sebastian Koch als der intellektuellere und ängstliche Ingenieur Matthis, der kleine Felix Eitner als adelsstolzer, schwuler Fred von Klausnitz, Mehmet Kurtulus als einfüßiger Italo-Amerikaner Vittorio. Und schließlich gesellt sich zu den Männern die glutäugige, zupackende Nicolette Krebitz als Fritzi, die ihren Verlobten wiederhaben will. Das weibliche Element darf auch in diesem Film nicht fehlen, der besonderen Würze Liebe wegen.

Und schon kann das Abenteuer beginnen, der trickreiche Kampf der Kleinen mit dem riesigen, wohl durchorganisierten DDR-Staatsapparat. Gegenspieler von Harry ist Oberst Krüger von der Staatssicherheit, ein Mann mit väterlich warmer Stimme und einem so unbedingten Glauben an sein System, dass ihn ein paar Leichen nicht berühren. Das personifizierte Böse? Nein, ganz so klischeehaft geht Roland Suso Richter nicht vor. Er besetzt ihn mit dem eher melancholischen als harten Uwe Kokisch und gibt ihm damit durchaus menschliche Züge. Dennoch kommt es zum großen Showdown der beiden Männer, untermalt mit ordentlich dröhnender Musik.

Auf ähnliche Weise reichert Richter die reale Geschichte an: mit Verrat in den eigenen Reihen, mit Selbstmord, mit Todesschüssen an der Grenze, mit Opfermut, Freundeskrach und Zusammenbrüchen, mit Köpenickiaden und sattem Herumgeballere. Dafür kümmert er sich weniger um die konkrete Arbeitssituation unter dem Pflaster von Berlin: Wohin mit der ausgebaggertenErde? Wovon finanzieren die jungen Leute sich und ihre Baustelle während der monatelangen Schufterei in Lehm, Dreck und Dunkelheit? Wohin verschwindet das Dutzend dazugeholter Helfer so spurlos? Egal, die Story funktioniert - obwohl das gute Ende aus der Wirklichkeit bekannt ist - als Fiktion wie geschmiert auch über die langen drei Fernseh-Stunden: spannungsgeladen, menschlich und politisch anrührend.

Und am Schluss liegen sich alle vor amerikanischen Fernseh-Kameras in den Armen, die Tränen fließen, die Liebenden küssen sich, und die Freiheit des Westens triumphiert. Ein Drama aus dem Kalten Krieg, das durchaus darauf achtet, die noch heute aktuellen Ost-West-Empfindlichkeiten nicht übermäßig zu strapazieren.

Mechthild Zschau

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