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Kultur: Der zarte Riese

Schmerzensmann, Komiker, Wahnsinnsucher: Der Schauspieler Thomas Holtzmann wird 80

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Alle Schauspieler wirken auf der Bühne oder auf der Leinwand größer als in Wirklichkeit. Aber bei Thomas Holtzmann steigert sich der natürliche Wuchs aus den hohen Einsachtzigern noch bei jedem Auftritt ins Riesenhafte. Es beginnt schon mit dem Kopf: mit dem von vertikalen Furchen sonderbar zerklüfteten Antlitz, das, zwischen antikem Caesarenlook und ergrauten Klassikerjünglingszügen changierend, so einzigartig holtzmännisch in die Jetztzeit einbricht wie ein magisch belebtes Monument. Und darunter erstreckt sich ein Körper, bei dem man sich als zuschauender Gulliver einem Hünen aus dem Lande Brobdingnag gegenüber glaubt – so mächtig überragt dieser Akteur seine Mitspieler. Aber das geschieht gar nicht mit der schieren Physis, sondern mit der verkörperten Kunst, Aura und Geistesgegenwart eines durchaus fragilen, hochnuancenreichen Menschen, der Tragik und Komik mit einer Wucht zusammenbringt wie kein anderer.

Heute wird er schon 80, der schlanke, gebildete Spieler: ein gebürtiger Münchner mit den Zügen eher des musischen Preußen. Einer, der sich im Kino und Fernsehen meist rar machte und in den Theaterferien immer ausgebrochen ist in die fernsten Fernen. Hätte es früher schon die Wiederentdeckung des Weltreisenden Alexander von Humboldt gegeben, es wäre für den Südseetaucher und tropenkundigen Thomas Holtzmann eine Rolle nach Maß gewesen. Weil sie, bei allem kultivierten Hintergrund, auch einen verrückt Unmäßigen dargestellt hätte.

Das nämlich sind seine liebsten Rollen. Alles bequem Schöntuende, Schöntönende trieb ihm sein Lehrmeister Fritz Kortner aus, der den jungen Klassikerhelden (Prinz von Homburg, Orest, Tellheim) vom bildungsbürgerlichen Mädchenschwarm in einen erotisch-melancholisch Verschatteten, Zwielichtigen, Mehrgesichtigen verwandelte. So war Holtzmann in Kortners Spätzeit 1969 am Berliner Schiller-Theater und am Hamburger Schauspielhaus jeweils der Titeldarsteller in Shakespeares „Antonius und Cleopatra“ und Goethes „Clavigo“. Damals im „Clavigo“, Kortners letztem Triumph beim Berliner Theatertreffen 1970, war Rolf Boysen schon Holtzmanns Partner, wie bis heute, an den Münchner Kammerspielen und am Residenztheater.

Dort trieb es Holtzmann mindestens zweimal an die Grenze des überhaupt Darstellbaren: In Dieter Dorns Inszenierung von Shakespeares „Was ihr wollt“ spielte Holtzmann 1980 den eitlen Hofmeister Malvolio in seiner Irrliebe zu sich und einer ihn narrenden Frau bis in den aberwitzigsten Wahnsinn, mit knarzig überschnappender Stimme, schier platzendem Kopf und innerlich explodierenden Gliedern; ein Ereignis zum Vom-Stuhl-Fallen vor Lachen, zum Aufspringen vor elementarem Erschrecken. Und zwölf Jahre später, als er im „König Lear“ als Gloucester von Lears grausen Töchtern geblendet wurde, war Holtzmann ein Schmerzensmann wie aus einem Holbein-Gemälde, mit einem versteinert lebendigen Pathos, das geringeren Spielern zu blutig verschmierter Pathetik zerlaufen wäre.

Nichts ist komischer als das Unglück, sagte Beckett. Das zeigt Holtzmann, der auch ein wunderbarer Wladimir in Tabori/Becketts „Warten auf Godot“ war, als tragischer Komödiant immer wieder. Nicht nur in seinen grandiosen Klassikerrollen, bei Kortner, Noelte Stein, Bondy, Lang oder Dorn in Berlin, Hamburg, München, Salzburg und Wien. Er ist dieser einzigartig zarte Riese mit dem tödlich komischen Blick auch in moderneren Stoffen, von Tschechow bis Botho Strauß und Theresia Walser. Als er den Kortner-Preis erhielt, sagte sein Laudator George Tabori, eine alte Schauspielerwirkungsregel erweiternd: „Geht nie zusammen auf die Bühne mit kleinen Kindern, Tieren – und Thomas Holtzmann.“ Wohl wahr, aber er ist als Spielmacher auch ein großer Mitspieler, und das hoffentlich noch lange!

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