
© Courtesy: Raster Gallery, Warsaw und KVOST, Berlin © Aneta Grzeszykowska
Die Anti-Influencerin: Künstlerin Aneta Grzeszykowska schlüpft in fremde Haut
Im Dienste der Erkenntnis über die Existenz baut Aneta Grzeszykowska möglichst viel Distanz zu ihrem eigenen Körper auf. Und gibt ihn trotzdem preis. Zu sehen im Kunstverein Ost.
Stand:
Aneta Grzeszykowska ist eine Anti-Influencerin. Sie stellt zwar ihren eigenen Körper – und in jüngerer Zeit auch den ihrer Tochter – ins Zentrum ihrer Kunst. Aber um digitale Sichtbarkeit geht es ihr gerade nicht.
Mitten im großen Ausstellungsraum des Kunstvereins Ost (KVOST) liegt eine mit Wolle überzogene, menschliche Puppe in Lebensgröße. Sie soll Grzeszykowskas Tochter Franciszka im Jahr 2027 darstellen. Ein Blick in die Zukunft also.
Aber der 1974 im Warschau geborenen und mittlerweile in renommierten Sammlungen wie dem Guggenheim Museum und dem Centre Pompidou vertretenen Künstlerin geht es nicht um die Darstellungen konkreter Personen. Vielmehr versucht sie, mithilfe von Fragmentierungen und Auslöschungen Phänomenen wie Identität und Existenz auf den Grund zu gehen. „Privacy Settings“ heißt ihre von Nathalie Hoyos und Rainald Schumacher kuratierte Ausstellung.
Gelöscht aus der Familiengeschichte
Im Eingangsbereich liegt ein Fotobuch, bestückt mit Fotografien aus dem Familienalltag der Künstlerin. Schaut man genauer hin, entdeckt man auf einigen Aufnahmen Leerstellen. Ein Mann etwa trägt am hocherhobenen Arm eine Lampe. Den anderen Arm hält er vom Körper abgewinkelt, gleich einem Tänzer, dem die Partnerin aus der Umarmung entwichen ist.
Eigentlich ist alles ein Rollenspiel.
Künstlerin Aneta Grzeszykowska
Auf dem ursprünglichen Foto befand sich Grzeszykowskas Tochter im Arm des Vaters. Die Künstlerin hat sie aus allen Bildern dieses Konvoluts gelöscht. Sie setzt damit die Werkgruppe „Album“ fort, die sie 2006 mit Archivfotos begann, aus denen sie sich selbst herausgelöscht hat. Als „Geschichte meines Lebens ohne Hauptfigur“ beschreibt Grzeszykowska diese Arbeit. Das Löschen habe sie ganz profan mit Photoshop vorgenommen, erzählt die Künstlerin.

© : Valentin Wedde, Courtesy: Art Collection Telekom, Raster Gallery, Warsaw und KVOST, Berlin
Die in der frühen Sowjetunion übliche Praxis, in Ungnade gefallene Parteigrößen aus den offiziellen Fotografien zu entfernen, ist ihr natürlich bekannt. Grzeszykowska bezieht ihre Arbeit aber nicht dezidiert auf diese historischen Beispiele, Geschichte neu konstruieren.
Rollenspiele mit Schweinehaut
„Eigentlich ist alles ein Rollenspiel“, meint sie. Am deutlichsten wird das in ihrer Arbeit „Untitled Film Stills“. Es handelt sich um eine Reinszenierung der gleichnamigen Fotoserie der US-amerikanischen Fotografin Cindy Sherman aus den 1970er Jahren.
Sherman schlüpfte in dieser Serie in die Rollen von stereotypen weiblichen Filmcharakteren, wie der einsamen Hausfrau oder dem Vamp, indem sie sich entsprechend verkleidete und posierte. Grzeszykowska wiederum schlüpft in ihrer Reinszenierung mit Sonnenbrille und Tuch in die Rolle Shermans. Nur die Umgebung ist eine andere, eben das Warschau der 2000er Jahre anstelle von New York in den 1977er bis 1980er Jahren.

© Courtesy: Art Collection Telekom and KVOST, Berlin, © Aneta Grzeszykowska
Grzeszykowska betont, dass Sherman, obwohl sie abwesend ist, nun doch die Hauptrolle spielt – im Gegensatz zur ursprünglichen Serie, in der Sherman in die Rollen von anderen schlüpfte und dadurch zur Reflexion über die Konstruktionen von Blicken, die Gewalt des Sehens und dessen voyeuristische Komponente anregte.
Grzeszykowska benutzt auch sehr ausgefallenere Materialien. Mit Schweinehäuten reproduziert sie Fragmente des eigenen Körpers. „Lebendiges und totes Material kommen hier zusammen“, meint sie. Auf eine Lederpuppe ist etwa eine Maske aus Schweinehaut aufgezogen, die einem menschlichen Gesicht nachempfunden ist. In großformatigen Rahmen werden menschliche Silhouetten mit Leder und Schweinehaut konstruiert.
Grzeszykowska, vor drei Jahren auch auf der Biennale Venedig vertreten, hat eine ganz eigene Praxis entwickelt, auf menschliche Körper zu blicken. Sie tritt in Distanz zu ihnen, vor allem in Distanz zum eigenen Körper.
Sie wechselt zwischen den Modi von Anwesenheit und Abwesenheit. Das nimmt ihrem und anderen Körpern die Individualität. Gleichzeitig eröffnet sich ein Raum für allgemeingültige Spekulationen über Existenz, Leben und Tod.
Nicht ausgeschlossen, dass die Puppen, von einem Atemhauch ins Leben geholt, sich plötzlich bewegen. Vorstellbar ebenfalls, dass die aus Schweinehaut genähten Silhouetten eines Nachts aus dem Rahmen steigen und ein Eigenleben beginnen. Nichts scheint unmöglich bei dieser Ausstellung.
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