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Spezialistin für Familienepen. Schriftstellerin Nino Haratischwili.

© Arne Dedert/dpa

Nino Haratischwilis neuer Roman: Die bitteren Tränen des Oligarchen

In „Die Katze und der General“ verfolgt Schriftstellerin Nino Haratischwili ein ungesühntes Verbrechen in Tschetschenien. Leider fehlt dem Roman erzählerische Kraft und Plausibilität.

Ihre Familiensaga „Das achte Leben (Für Brilka)“ bescherte Nino Haratischwili 2014 einen atemberaubenden Popularitätsschub. Aus dem kleinen Georgien erzählt sie über sechs Generationen von Aufstieg und Niedergang der gigantischen Sowjetunion. Sie sichtet ererbte Träume und Leiden, damit die heranwachsende Brilka ein Leben in Freiheit führen kann. Selbst der Umstand, dass die knapp 1300 Seiten unlektoriert wirken, erhöht den Charme der Lektüre: Man hat das Gefühl, der Erste zu sein, der diese Zeilen liest, obwohl sie für jemand anderen bestimmt sind.

Für ihren neuen Roman ist Haratischwili, 35, wieder zu Recherchen aufgebrochen, diesmal nicht nach Georgien, in dessen Hauptstadt Tbilissi sie zur Welt kam. Den grausamen Ursprung von „Die Katze und der General“ entdeckt sie im angrenzenden Tschetschenien. Die Gewalt, die dort mit dem Ende der Sowjetunion offen ausbricht, haben auch zwei Georgier geschürt, die in „Das achte Leben“ omnipräsent sind, aber nie beim Namen genannt werden: Josef Stalin und sein Geheimdienstchef Lawrenti Beria. Sie ließen im Zweiten Weltkrieg die angeblich mit den Nazis kollaborierenden Tschetschenen nach Zentralasien deportieren, Zehntausende starben. Durch Chruschtschow rehabilitiert, konnten sie in ihre Heimat zurückkehren, in der sich Russen niedergelassen hatten. Auf die Unabhängigkeitserklärung des überwiegend muslimischen Landes folgt der religiös angeheizte erste Tschetschenienkrieg – eine Demütigung für Russland, dessen desorientierte Armee sich im Guerillakampf wiederfindet.

Oligarch mit Rachegelüsten

Inmitten von Wahn und Ohnmacht ereignet sich das Verbrechen, um dessen Sühne „Die Katze und der General“ kreist. Haratischwili sperrt ihre Figuren in ein tief eingeschnittenes, nebliges Tal. Dorthin wird die Einheit des alkoholkranken russischen Oberst Schujew verlegt, angeblich für ihren tapferen Einsatz im verheerten Grozny, in Wahrheit, um den unberechenbaren Kommandeur aus der Schusslinie zu nehmen. Im Tal herrscht Misstrauen, aber kein Krieg. Und so ziehen zwei junge Russen aus der Lagerküche los, um Lebensmittel zu besorgen. Doch niemand im Dorf will mit ihnen handeln, bis auf Nura, eine faszinierend eigensinnige Siebzehnjährige, die davon träumt, das Tal zu verlassen, dessen strikte Moral jungen Frauen wenig Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben bietet. Nura verkauft den Soldaten Hühner und Eier, weil sie Geld braucht für ihre Flucht. Unterdessen lässt Oberst Schujew vermeintliche Separatisten jagen, in einer Scheune foltern und ermorden. Eines Nachts wird Nura hier hergebracht.

Zwanzig Jahre später in Berlin. Der zu Reichtum gelangte Oligarch Orlow engagiert die georgischstämmige Schauspielerin Sesili, Katze gerufen, für ein Video. Sie sieht Nura zum Verwechseln ähnlich, und Orlow hat noch eine Rechnung offen. Er war einer der Küchenjungen in Tschetschenien, er war dabei, als Nura ermordet wurde – und beschloss danach, ein anderer zu werden: „In einer Welt, in der man vor die Wahl gestellt wurde, entweder zum Mörder zu werden oder sich selbst eine Kugel in den Kopf zu jagen, in einer Welt, in der man vergewaltigte, weil sich die Möglichkeit ergab, gab es kein Richtig mehr. Dann blieb nur noch ein einziges Streben, das Streben nach Macht.“ Orlow, knallhart geworden und nur noch General genannt, liebt die Kunst und seine Tochter Ada. Als sie sich wegen der Schuld ihres Vaters das Leben nimmt, ersehnt der General – wie Göttervater Wotan bei Wagner – nur noch eines: das Ende.

Schablonenhafte Erzählung voller schiefer Bilder

Diesen Wunsch teilt der Leser bald. Haratischwilis diesmal nur knapp 800 Seiten starker Roman wirkt so schablonenhaft konstruiert, dass in ihm plötzlich stört, was man in „Das achte Leben“ hinzunehmen bereit war: schiefe Bilder, gefledderte Metaphern, schlampige Recherchen. In der Berliner Philharmonie gibt es selbst für Oligarchen keine Logen, ebenso wenig existieren Fünf-Sterne-Köche und Champagner von 1907, der schäumt wie am ersten Tag. Dass ein investigativer Journalist zum steifbeinigen Romanpersonal gehört, führt nicht zu mehr Durchblick. Während ihre georgische Familiensaga mit magischer Schokolade und Besuchen von Toten poetischen Furor entfacht, bleibt Haratischwilis Moraldrama ohne erzählerische Kraft. Die Mär vom schuldig gewordenen Handlanger, der zum Oligarchen wurde und nicht vergessen kann, bleibt ohne Leben. Das hat Nuras einer wahren Begebenheit entlehntes Schicksal nicht verdient.

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