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Archetyp. Edward Hoppers Gemälde „Hodgkin’s House“ von 1928.

©  Adam Reich Photography/Heirs of Josephine Hopper/VAGA at Artist Rights Society

300 Jahre US-amerikanischer Kunst: Die Entdeckung einer traumhaften Landschaft

Schwelgerisch, realistisch, abstrakt: Das Wallraf-Richartz-Museum in Köln zeigt 300 Jahre US-amerikanischer Kunst.

„Es war einmal“ – so beginnen Märchen. „Es war einmal in Amerika“ ist die Ausstellung „300 Jahre US-amerikanische Kunst“ überschrieben, die das Kölner Wallraf-Richartz-Museum seit dieser Woche zeigt. Die rheinische Metropole ist durchaus der gegebene Ort, um die amerikanische Kunst in den Blick zu nehmen. Hier wird seit 1969 die legendäre Sammlung von Irene und Peter Ludwig gezeigt, die mit dem Stichwort „Pop-Art“ viel zu eng umrissen wäre, hier wurde sich mit anspruchsvollen Ausstellungen wie etwa 1981 mit „Westkunst“ immer wieder der transatlantischen Geistesverwandtschaft versichert.

Köln fühlte sich in Sachen Gegenwartskunst lange Zeit auf Augenhöhe mit New York, ehe kulturpolitisches Missmanagement die Stadt in Depression stürzte. Die jetzige Ausstellung will offenkundig verlorenes Terrain zurückerobern. Und dafür eignet sich eine strahlende, das ganze Füllhorn der Kunst Amerikas ausschüttende Übersicht allemal.

Tritt der Besucher durch die Tür zum Wechselausstellungsbereich im dritten Obergeschoss des Museums, fällt der Blick auf das Gemälde „Hodgkin’s House“ von Edward Hopper – ein geradezu archetypisches Bild des Malers, der dieser Tage mit einem Auktionsrekord von 91 Millionen Dollar für ein Gemälde von 1929 in die Spitzengruppe der teuersten Künstler hochgejazzt wurde. In Köln ist das ruhige Motiv eines weiß gestrichenen Hauses vor blassblauem Himmel zu sehen, aus dem eine – unsichtbar bleibende – Sonne kräftige Schlagschatten auf die Fassade wirft.

Die berühmtesten Stücke fehlen

Es ist diese matter-of-factness, die Hopper zum amerikanischen Maler schlechthin gemacht hat. Flankiert wird das Kölner Gemälde von zwei kleineren Formaten, unter denen das frühe „Mädchen an der Nähmaschine“ von 1921 den gelernten Zeitungsillustrator erahnen lässt, aber zugleich die Orientierung an dem großen Realisten vom Beginn des 20. Jahrhunderts, Robert Henri, verrät, dessen Alltagsmotive ihm und seinen Jüngern den Begriff „Ashcan School“, die „Ascheimerschule“, einbrachte.

Auch die ist bestens vertreten, wie überhaupt alle Kapitel der amerikanischen Kunst mit den insgesamt 134 gezeigten Gemälden und (wenigen) Skulpturen vollständig abgedeckt sind. Man ahnt, welches Puzzle es da zusammenzusetzen galt – denn die berühmtesten Stücke der amerikanischen Kunst fehlen erwartungsgemäß, die leiht kein Museum gerne für eine solche kulinarische Schau aus. Aber auch sonst mussten die Kuratorinnen, Barbara Schaefer und Anita Hachmann, einen Bogen um die großen, leihunwilligen Museen der Ostküste machen und stattdessen in der Provinz Stück für Stück zusammenklauben, was die bemerkenswerte Zahl von über 80 Leihgebern erklärt. Der Mangel ist jedoch zugleich ein Vorzug, denn das Publikum bekommt eine Fülle von selbst unter Experten eher wenig bekannten, qualitativ aber den Postkarten- Stücken gleichrangigen Werken zu sehen.

Die historische Entwicklung ist schnell erzählt. Es ist der Königsweg von der unbeholfenen Malerei einer kleinen, weit entfernten Kolonie über die Entdeckung der eigenen, großartigen Landschaft zu einer reich differenzierten, doch stets wirklichkeitsgesättigten Kunst, die ihrerseits auf das alte Europa zurückstrahlt und nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig den Sieg davonträgt. Der wird auf überaus geschickte Weise illustriert: Der abschließende Saal zur Nachkriegskunst zeigt nahezu ausnahmslos Werke, die 1958 bei der Ausstellung „Die neue amerikanische Malerei“ zu sehen waren, die in Berlin die einzige deutsche Station ihrer ausgedehnten Tournee hatte.

Immer kommt der Realismus durch

Den zentralen Saal innerhalb des Ausstellungsrundgangs nimmt allerdings die amerikanische Moderne ein, so vielgestaltig, wie sie, historisch gesehen, nie beieinander zu sehen war. Denn der auf Abstraktion und kompromisslose Avantgarde gerichtete „Synchromismus“ um 1914, der sich auf Kandinsky bezog, die expressive Farbenfreude eines Marsden Hartley oder aber der auf messerscharfe Konturen fixierte Präzisionismus der zwanziger Jahre – sie konnten zu ihrer Zeit nur schwer miteinander. Stuart Davis nimmt mit seiner gemalten „Glühbirne“ von 1924 die Pop-Art vorweg, heißt es. Georgia O’Keeffe, mit zwei Werken vertreten, wählt unerhörte Perspektiven auf alltägliche Objekte. Ihr Mann Alfred Stieglitz fotografiert in gezähmter Nüchternheit die Hochhausstadt. Wenn man der Ausstellung übrigens eine wirkliche Fehlstelle nachsagen wollte, so ist es der fast völlige Verzicht auf die Fotografie.

Der Regionalismus als Gegenposition zur Großstadt-Avantgarde der Zwischenkriegszeit propagiert ein ländlich-traditionsverhaftetes Amerika, das in Wahrheit in den dreißiger Jahren ruiniert wurde. Was die Landschaft angeht, so war das 19. Jahrhundert weitaus besser – die Künstler ließen sich auf die große und überwältigende Natur ein, vom grün belaubten Tal des Hudson-Stroms bei Asher Brown Durand (1851) bis hin zu stolzer Übertreibung in den rot glühenden Sonnenuntergängen eines Frederic Edwin Church von 1867 oder den Gebirgszügen des Fernen Westens des 1830 in Solingen gebürtigen Albert Bierstadt.

Immer kommt dann doch der Realismus durch, nach den Schwelgereien besagter Landschaftsmaler die nüchterne Alltagsdarstellung eines Thomas Eakins von seinem Freund John Biglin 1874 im Ruderboot auf dem Schuylkill River, damit den Sportsgeist der Amerikaner beschwörend, der sich in den Großstädten im derben Kampf der Boxer bei George Bellows äußert. Hemdsärmelig waren schließlich schon die Pioniere, die dem Ruf des „Manifest Destiny“, der „offenkundigen Bestimmung“ US-Amerikas folgten und sich das Land zu eigen machten – das freilich keineswegs jungfräulich bereitlag, sondern von Völkern bewohnt wurde, die erst nach ihrer Vertreibung und weitgehenden Ausrottung als Gegenstand nostalgischer Verklärung dienen durften: den Indianern.

Eine europäisch geprägte Sichtweise

Daran kommt eine Ausstellung des Jahres 2018 nicht mehr vorbei. Artefakte aus den Kölner ethnologischen Sammlungen müssen helfen, die Leerstelle zu füllen, die die Missachtung der Indigenen als Subjekte des Kunstschaffens bedeutet. Ähnlich verhält es sich mit den Afrikanern, die als Sklaven ins Land verfrachtet wurden. Immerhin hat das Kuratorinnenduo im 20. Jahrhundert Bilder nicht über, sondern von Schwarzen aufgetan, die von der Flucht vor den Drangsalen der Segregation ebenso zeugen wie vom Selbstbewusstsein der „Harlem Renaissance“ der 20er Jahre.

Ja, die Unabhängigkeitserklärung, deren Unterzeichnung am 4. Juli 1776 in dem großformatigen Historienbild von John Trumbull aus dem Jahr 1832 geschildert wird, galt nur den weißen Herrschaften, und der Gründervater George Washington, der feinsinnig lächelnd aus einer der rund 75 Versionen des bekannten Porträts von Gilbert Stuart (um 1800) herausschaut, fand bekanntlich nichts dabei, Sklaven zu halten, die ihm sein nobles Landleben ermöglichten. Man mag die Geschichte uminterpretieren – ändern kann man sie nicht, und so zeigt sich die amerikanische Kunst durch ihre drei Jahrhunderte hindurch eben als Kunst einer europäisch geprägten Sichtweise.

Die eben doch ganz anders ist: Das zu überprüfen, gibt diese Ausstellung Gelegenheit. Eine vergleichbare Veranstaltung gab es zuletzt in Paris 1984 (Eine neue Welt. Meisterwerke der amerikanischen Malerei 1760–1910, Grand Palais) und, zeitlich enger gefasst, in Berlin 1988 (Bilder aus der Neuen Welt. Amerikanische Malerei des 18. und 19. Jahrhunderts, Schloss Charlottenburg). Nun ist Köln einmal wieder die deutsche Hauptstadt der amerikanischen Kunst.

Wallraf-Richartz-Museum, Köln, bis 24. März. Umfangreicher Katalog im Wienand Verlag, 39,90 €, im Buchhandel. 49,90 €.

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