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Meg Websters Installation aus Erde, Bienenwachs, Salz und Zweigen in der Rotunde der Pariser Börse

© Tadao Ando Architect & Associates, Niney et Marca Architectes, agence Pierre-Antoine Gatier/Nicolas Brasseur/Pinault Collection

Die große Minimalismus-Schau in der Pariser Börse: Als die Kunst nach Pfefferminz schmeckte

Skulpturen aus Blech, Bienenwachs und Bonbons: In den 60ern und 70ern war Demokratisierung das erklärte Ziel. Heute werden die Werke der Minimal-Art als Klassiker bewundert. Das könnte sich wieder ändern.

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„Es riecht nach Weihnachten“, sagt die junge Frau und lehnt sich schnuppernd im oberen Geschoss über die Brüstung der Rotunde, dem Herzstück der einstigen Pariser Börse, in der sich seit ihrem aufwändigen Umbau vor vier Jahren die Sammlung Pinault befindet.

Mit Weihnachten würde man die Minimal Art wohl am wenigsten verbinden, der hier gerade eine umfassende Überblicksschau mit Werken von 52 Künstlern aus den 1960er und 1970er Jahren gewidmet ist. Doch Jessica Morgan, Ausstellungskuratorin und Direktorin der Dia Art Foundation in New York, dem Mekka aller Minimal-Exegeten, nickt zustimmend.

Auch Meg Webster, die in ihrem elektrischen Rollstuhl gerade unten in der Rotunde um die im Raum stehende, gewölbte Wand aus weihnachtlich duftendem Bienenwachs herumkurvt, wäre sicher mit dieser Reaktion auf ihr Werk einverstanden. Ihre Vorstellung von Minimalismus ist sehr viel weiter gesteckt als sonst üblich.

Neben der meterhohen Wand aus Wachs hat die eigens aus New York zur Ausstellungseröffnung angereiste 81-Jährige außerdem einen gewaltigen Kegel aus Salz, ein perfekt geglättetes Kugelsegment aus rotbrauner Erde und einen aus Zweigen und Blättern gebildeten Kreis ins gigantische Rund der Rotunde platziert.

Im Laufe der Ausstellung werden alle fünf Skulpturen ihre geometrische Form als Folge von Feuchtigkeit, Wärme, Trockenheit verlieren. Darin besteht gerade der Reiz ihrer Idee von Minimal: Die ansonsten für Rationalität und Kühle stehende Kunst ist bei Meg Webster der Veränderlichkeit durch äußere Bedingungen preisgegeben. 

Jessica Morgan hat der ansonsten in Europa weniger bekannten Künstlerin damit die große Bühne bereitet. Es ist ein Statement: Nicht einen Minimalismus der weißen Männer, wie er ansonsten in den Museen meist vorgestellt wird, wiederholt sie hier. Stattdessen skizziert die Kuratorin ein größeres Bild, das auch Vertreter aus Afrika, Asien und Lateinamerika einbezieht, insbesondere Künstlerinnen.

On Kawaras Datumsbilder der Serie „Today“ und die dazugehörigen Schachteln mit einer Zeitung vom jeweiligen Tag werden in den historischen Vitrinen rund um die Rotunde präsentiert.

© Tadao Ando Architect & Associates, Niney et Marca Architectes, agence Pierre-Antoine Gatier/Nicolas Brasseur/Pinault Collection

Trotzdem kommen all die Judds, Sonniers, Brice Mardens in der Ausstellung nicht zu kurz. Gleich zu Beginn ist Robert Ryman (1930 – 2019) eine ganze Wand mit einer Serie quadratischer Gemälde gewidmet, die wenige Jahre vor seinem Tod entstand und mit der er ein allerletztes Mal die verschiedenen Stufungen von monochrom Weiß durchspielte.

Künstlerinnen bekommen ihren großen Auftritt

Es ist zugleich eine Verbeugung vor François Pinaults Sammelleidenschaft, ihm gehört eine der bedeutendsten Kollektionen des US-Künstlers in Privatbesitz. Doch als wollte die Kuratorin den Großmeister des Minimal wieder auf Maß bringen, hat sie ihm eine Bodenarbeit aus weißen Bonbons von Felix Gonzalez-Torres (1957 – 1996) zur Seite gestellt, von denen sich die Besucher bedienen dürfen: Kunst mit Pfefferminz-Geschmack.

Ein halbes Jahrhundert nach der Hochzeit des Minimalismus haben viele vergessen, dass die Maler und Bildhauer damals ausgezogen waren, um die Sockel zu eliminieren und die Betrachter näher an die Kunst heranzuholen. Heute sind Richard Serras Stahlplatten, von denen eine gestützt durch einen Winkel an der Wand lehnt, oder Walter de Marias Stelen selbst Klassiker geworden und werden im Museum oder öffentlichen Raum ehrfurchtsvoll bewundert.

Die Ausstellung zeigt in einer Vitrine von de Maria geradezu putzig klein einen auf Hochglanz polierten „High Energy Bar“ aus Stahl, den er einem, wenn auch anderen Sammler als Zeichen der Freundschaft schenkte.

Die von Jessica Morgan klug kuratierte Schau würdigt einerseits die Granden, andererseits führt sie durch Aufteilung in sieben Kapitel zu Themen wie Licht, Oberfläche, Monochromie, Gitter überraschende Beispiele zusammen.

Wer hätte schon gewusst, dass die 1953 von Paris in die USA weitergewanderte Griechin Chryssa (1933 – 2013) als eine der ersten das bisher nur in der Werbung eingesetzte Neon als künstlerisches Medium nutzte. Ihre heftig blinkenden farbigen Röhren sollten es mit den Lichtgewittern auf dem New Yorker Times Square aufnehmen können.

Als würden Sonnenstrahlen in den abgedunkelten Raum fallen: Lygia Papes Installation „Ttéia“ aus vergoldetem Draht

© Pedro Pape/Projeto Lygia Pape. Courtesy Projeto Lygia Pape

Und noch zwei Frauen sorgen in Paris für eine Überraschung: Die Brasilianerin Lygia Pape (1927 – 2004) hat eine kleine Retrospektive eingerichtet bekommen, ihre erste Einzelausstellung in Frankreich, die mit einer überwältigenden Installation schließt. Vielen Eintretenden des vollkommen verdunkelten Raums entweicht ein Ausdruck des Staunens, denn der von der Decke bis zum Boden gespannte Golddraht wirkt im effektvoll gesetzten Licht wie glitzernde Sonnenstrahlen.

Auch die Frankfurterin Charlotte Posenenske (1930 – 1985) löst perplexe Reaktionen aus, nur mit ganz anderen Mitteln. An den verschiedenen Orten der edel sanierten Börse tauchen ihre lapidaren Lüftungsschächte aus verzinktem Blech auf.

Unterschiedlich zusammengesetzt wirken sie wie hemdsärmelige Kommentare zum samtartigen Beton, den der japanische Architekt Tadao Ando beim Umbau in ein Ausstellungshaus einbrachte. Posenenskes industrielle Schnodderigkeit wirkt hier geradezu wohltuend, führt sie doch zurück an die Ursprünge einer geerdeten Minimal-Art.

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