Kultur: „Die Großen wussten alles“
Für Mozart ist es nie zu spät: eine Begegnung mit der Jahrhundertgeigerin Ida Haendel in Berlin
Sieht so eine Legende aus? Ida Haendel, die grande dame des Violinspiels, ist vor allem eines: eine Persönlichkeit, die im Leben wie in der Kunst beherzt zu sich selber steht. Als Zugabe ihres von Ovationen begleiteten Berliner Gastspiels im Kammermusiksaal der Philharmonie wählt sie am Montagabend ein „Gebet“ genanntes Arrangement ihres Lehrers Carl Flesch nach einem Ausschnitt des „Dettinger Te Deums“ von Georg Friedrich Händel.
Die Bitte um Frieden erklingt als einsam durch den Raum schwingendes, von Seufzerfiguren gespicktes Linienspiel, dem Ida Haendels blutvoller Ton schmerzvollen Ausdruck verleiht – in dieser Abwesenheit jeglichen harmonischen Gerüsts fast in die Nähe jüdischer Kantillation gerückt. Die im polnischen Städtchen Chelms geborene Jahrhundertgeigerin, die ihrem Lehrer als Neunjährige nach London folgte und quasi vom Naziunwesen zur britischen Staatsbürgerin gemacht wurde, hat das Stück vor wenigen Monaten auch anlässlich des Papstbesuchs in Auschwitz gespielt. Gewünscht war das hebräische „Kol nidrei“ von Max Bruch, doch Haendel wollte deutsche Musik. „Ich, Haendel, spiele etwas von Händel“, meinte sie augenzwinkernd, die ihre Begabung für Reinkarnation hält.
Versöhnungsgesten unternahm die Künstlerin, die neben Jascha Heifetz, Nathan Milstein und Yehudi Menuhin – ihr „Mitschüler“ bei ihrem Lehrer George Enescu – zu den ganz Großen ihres Fachs gehört, schon bei einem ersten Berlinbesuch nach Kriegsende, „vor dem mich alle Freunde warnten.“ Es wurde ein Triumph.
Wenn sie heute mit der Kammerphilharmonie Amadé Mozarts Violinkonzert A-Dur spielt, erfüllt sie sich einen lang gehegten Wunsch. „Ich habe viel zu wenig Mozart gespielt“, meint sie im Interview, denn gefragt war sie für das große Standardrepertoire, für Beethoven, Brahms, Bruch und Sibelius. Dabei ist Mozart für sie alles andere als der schäkernde Götterliebling, sondern „tief tragisch, ein Komponist wie Dynamit.“ Und so spielt sie ihren Solopart auch nicht lieblich, empfindsam wispernd und mit koketten Verzögerungen, sondern groß, streng und stolz. In absoluter Konzentration. Auge in Auge mit „Amadé“-Chef Frieder Obstfeld, leistet sie sich nicht das kleinste Ritardando, zieht höchstens in den Kadenzen das Tempo ein wenig an. Auch die Dynamik ist straff und klar, wenig abgestuft in einem Ton, dessen bezwingende Süße sich allerdings ins Herz bohrt.
Umso überraschender, rührender dann plötzliche Piano-Nuancen in manchen Moll-Rückungen des Adagios, ebenso im nach der Pause gespielten Adagio E-Dur, das Mozart als „einfachere“ Alternative für diesen Mittelsatz schrieb. Sich als Interpretin vor das Werk zu stellen, ist nicht Ida Haendels Ideal: „Das Wichtigste ist, dem Werk zu dienen; die großen Komponisten wussten alles“. Und doch ist die grazile Frau – die bei gefühlten 30 aufgrund verwirrender biografischer Angaben wohl ewig 79 Jahre alt bleiben wird – hochpersönlich in ihrem heiligen Ernst und Eifer, in einer umwerfenden Mischung aus Feuer und Disziplin.
Die „Amadés“ – nomen est omen – sind ihr da kongeniale Partner. Obstfeld hat den mit Haendel eröffneten Mozart-Zyklus dem großen Geiger Sandor Végh gewidmet, der als Dirigent der Salzburger „Camerata academica“ Interpretationsgeschichte schrieb. In seinem Geiste wird musiziert: noch ein wenig bedächtig, doch gerade im leicht spröden Klang äußerst ausdrucksvoll bei „Adagio und Fuge“; voll geistsprühender Dialoge und im Kontrast kernig-zärtlicher Klanggesten in der „Linzer“-Sinfonie.