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Kultur: Die Langstreckenläuferin

Zur EM Sportliches: Die Krakauer Museumschefin Masza Potocka kämpft für die Gegenwartskunst.

Als Ende 1981 Panzer auf den Straßen der polnischen Städte Demonstrationen auflösten, Oppositionelle in großer Zahl interniert wurden und Menschen starben, musste Masza Potocka ihre Krakauer Foto- und Videogalerie für die Dauer des Kriegsrechts schließen. Ihren damals erwachten „Hunger auf ein Museum“ konnte sie erst 30 Jahre später stillen: Heute ist sie Direktorin des einzigen Museumsneubaus in Polen, des Museums für zeitgenössische Kunst in Krakau auf dem Gelände der ehemaligen Fabrik Oskar Schindlers, kurz MOCAK genannt. Zur Fußball-EM zeigt ihr vor einem Jahr eröffnetes Haus die Ausstellung „Sport in der Kunst“. Ein anregender, internationaler Parcours, der den Leistungssport kritisch in den Blick nimmt und humorvoll belegt, dass so mancher Künstler sich als Sportler sieht – vom Diktat der Zeit gepeinigt und immer in Gefahr zu scheitern.

Die alte Königsstadt Krakau ist Sitz der wichtigsten Kunstakademie im südlichen Polen. Tadeusz Kantor, der große Theaterregisseur, Performer, Maler und Bühnenbildner, hatte dort während des Kriegs im Untergrund ein experimentelles Theater geleitet, um später großen Einfluss auf die polnische Nachkriegsmoderne zu nehmen. Zu Krakaus Geschichte gehört auch das nahe gelegene deutsche Vernichtungslager Auschwitz/Birkenau und auf der anderen Seite der Weichsel die stalinistische Musterstadt Nova Huta mit gewaltigem Stahlwerk und 30 000 Arbeitern.

In diesem spannungsvollen Umfeld gründete Masza Potocka noch als Studentin 1972 „die erste private Galerie in Krakau nach dem Krieg“. Von Anfang an war sie eine außergewöhnliche Figur in Polens Kunstszene: Tochter der verzweigten Adelsfamilie Potocka, für ihre exzentrische Kleidung berühmt, als Feministin gefürchtet. Die Zeitschrift „Gazeta Wyborcza“ nannte sie kürzlich einen „ausgekochten Rowdy“. 1950 geboren, wuchs sie bis bei einem Onkel auf dem Land auf und arbeitete nach einem Literaturstudium bis 1982 als konzeptuelle Künstlerin. Mit 20, sagt sie heute, sei sie eine Art „Panzer“ gewesen und habe ihre Wünsche rücksichtslos durchgesetzt. Erst als 30-Jährige habe sie begriffen, dass andere Menschen ihre eigene Sensibilität haben.

Anfangs interessierte sie sich vor allem für Video, Foto, Performance und Fluxus: europäische und amerikanische Kunstströmungen, die sie bevorzugt ausstellte. Damit setzte sie sich bewusst von Kantor ab, der in Warschau mit einer konzeptuellen Künstlergruppe die Galerie Foksal gegründet hatte und sich mehr der traditionellen Kunstpraxis verpflichtet sah. Die Galerie existiert bis heute.

Masza Potocka reiste nach Berlin, Köln oder Düsseldorf und lud deutsche Künstler ein, in ihrem Projektraum auszustellen. Dabei half ihr der Konzeptkünstler Klaus Groh, der Kontakte hinter den eisernen Vorhang knüpfte und Einladungen in beide Richtungen organisierte. „Geld spielte keine große Rolle“, erinnert sich Jochen Gerz, der Krakau und Lodz seit den späten Siebzigern besuchte. „In der reichen Textilstadt Lodz gab es ein großes Kunstmuseum, in dem viele internationale Künstler ausstellten und ihre vor Ort entstandenen Arbeiten dem Museum schenkten. Krakau war eher der Untergrund, heruntergekommen, mit extremer Luftverschmutzung, vor allem wegen Nova Huta. Maszas Galerie bestand aus zwei kleinen Räumen im Hinterhof.“

1982, in der Zeit des Kriegsrechts, begann Masza Potocka systematisch, Kunst zu sammeln, mangels Geld meist über Schenkungen. „Die Künstler wussten, es ist nicht für mich, sondern für ein Museum“, erzählt sie. Sie war so besessen von der Idee eines Hauses für zeitgenössische Kunst, dass sie sich schon früh im Internet die Domain moma.pl sicherte und so das Renommee des New Yorker MoMA herbeizitierte, die internationale Institution für Gegenwartskunst. Viele glaubten, sie hätte ihre Galerie Potocka, die sie bis 2011 betrieb, nur umbenannt, sie erntete viel Spott und Wut. Masza Potocka blieb unbeeindruckt: „Wenn man sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, trägt einen die eigene Energie.“

Die Sammlung von rund 400 Werken, die sie über die Jahre aufbaute, ist eine von drei authentischen Privatsammlungen der Nachkriegsmoderne in Polen. Vergleichbar mit jener der Foksal Galerie, kleiner als die des Kunstmuseums in Lodz, aber nicht weniger bedeutend und vor allem: eigenwillig. Bei Potocka finden sich Größen wie Miroslaw Balka oder Wilhelm Sasnal, jüngere Positionen wie Rafal Bujnowski und Edward Dwurnik sowie internationale Künstler, zum Beispiel der Österreicher Otto Zitko, der Japaner Koji Kamoji und der Deutsche Jochen Gerz.

Als Krakau 2000 Europäische Kulturhauptstadt wurde und die Stadtregierung das Fehlen eines Museums für zeitgenössische Kunst eingestand, konnte Potocka ihre Sammlung wie einen Joker aus der Tasche ziehen. Es folgte ein Tauziehen um Standort und Konzept; Potocka, inzwischen Direktorin eines bunkerähnlichen Ausstellungshauses, dem Bunkier Sztuki, fand Unterstützung. 2004 kaufte die Stadt das Gelände der ehemaligen OskarSchindler-Fabrik. Schindler konnte dort und an anderen Orten 370 Juden beschäftigen und sie so vor den Gaskammern retten; seit Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ kennt alle Welt seine Geschichte. Es bedurfte vieler Diskussionen, bis ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben wurde. Das italienische Büro Studio Claudio Nardi bekam den Zuschlag, 2009 begannen die Bauarbeiten, zur Hälfte von der EU finanziert.

Masza Potocka gelang ein letzter Coup; sie wurde ohne Ausschreibung Direktorin „ihres“ MOCAK. Anda Rottenberg, Polens berühmteste und streitbarste Kuratorin, beriet die Stadt bei der Personalie: „Diese Frau bürgt für Qualität. Außerdem war es wichtig, schnell eine kenntnisreiche Person vor Ort ins Amt zu bringen, damit sie den Bau betreuen konnte.“

Heute bietet das Museum auf zwei Stockwerken 10 000 Quadratmeter für die Sammlung, Ausstellungen, eine Bibliothek und museumspädagogische Aktivitäten. Eine Backsteinwand und die Sheddächer erinnern an die Schindlerfabrik. Im Arbeiteroverall, darüber eine exquisite Lederjacke, erklärt die Direktorin mir ihr Konzept: Das Museum sei nicht für Kritiker und Kuratoren da, sondern für ein breites Publikum. Kunst habe keinen ökonomischen Wert, mit ihrer Hilfe könne man sich vielmehr selbst und andere erkennen. Eben dies müsse das Museum vermitteln, auch mit geringen Mitteln. Dafür krempelt sie gern die Ärmel hoch und stemmt eine ganze Ausstellungsserie, die sich auf der Grenze zwischen Kunst und Alltag bewegt. Nach „Geschichte in der Kunst“ ist zur EM jetzt der Sport dran, mit Arbeiten von Leni Riefenstahl bis Olaf Nicolai, von Harun Farocki, Sigalit Landau oder Timm Ulrichs.

Und was ist ihr größter privater Wunsch? „Einen Ort zu gestalten, an dem ich denken kann“, ist die spontane Antwort. Das MOCAK, keine Frage.

Regina Wyrwoll

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