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Geld oder Liebe. Joachim Jäger, Gabriele Knapstein und Ralph Gleis vor der Skulptur des amerikanischen Pop-Art-Künstlers Robert Indiana auf dem Vorplatz des Hamburger Bahnhofs.

© Sven Darmer / VG Bildkunst Bonn 2020

Gelingt der Neuanfang?: Die Nationalgalerie steckt in einer tiefen Krise

In wenigen Wochen geht Direktor Kittelmann. Auch die Reformen der Preußenstiftung bringen Ungewissheit. Die Sammlungsdirektoren bleiben dennoch optimistisch.

Nur noch wenige Wochen, bis Udo Kittelmann Ende Oktober geht. Der Direktor der Nationalgalerie hatte vor einem Jahr überraschend gekündigt. Und doch ist seine Stelle immer noch nicht ausgeschrieben.

Die Neubesetzung des Postens hängt im Wesentlichen von den Ergebnissen des Reformprozesses bei den Staatlichen Museen ab, heißt es bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Das kann dauern, mindestens drei bis fünf Jahre. Joachim Jäger, der Leiter der Neuen Nationalgalerie, führt bis auf Weiteres die Geschäfte. Veränderungen aber müssen schneller her, zumal bei der Nationalgalerie.

Sie steckt tief in der Krise. Zum angekündigten Abgang Kittelmanns kam vor wenigen Monaten die Nachricht hinzu, dass Friedrich Christian Flick im nächsten Jahr seine Sammlung abziehen will, weil die Rieck-Hallen abgerissen werden sollen, in denen bisher seine Werke zu sehen waren. Als dritter Schlag folgte Corona und damit der Einbruch im Budget.

Die drei verbleibenden Leiter von Neuer und Alter Nationalgalerie sowie Hamburger Bahnhof, Joachim Jäger, Ralph Gleis und Gabriele Knapstein, stehen vor einem Scherbenhaufen, könnte man meinen. Das sehen sie anders. Beim Fototermin am Hamburger Bahnhof stehen als Hintergrund zwei Kunstwerke zur Wahl: Robert Indianas „Imperial Love“ und der in ein Stück Berliner Mauer eingebaute Geldautomat von Elmgreen & Dragset, die eine Skulptur links, die andere rechts vom Eingang des Gebäudes.

Kittelmanns Kündigung war der erste Schlag

Der Fotograf dirigiert das Trio zu den meterhohen Buchstaben des amerikanischen Pop-Art-Künstlers aus rostigem Stahl. Sie machen sich optisch besser. Intuitiv aber hat er das Motiv gewählt, das Jäger, Gleis und Knapstein am meisten verbindet: die Liebe zur Kunst. Gewiss, Geld ist wichtig für den Betrieb. Aber sie sind Idealisten, das wird klar.

Die Drei von der Nationalgalerie treten demonstrativ geschlossen auf, als wollten sie es allen zeigen. Zu der vom Wissenschaftsrat geforderten Neuaufstellung sind sie schon länger entschlossen.

Als sichtbarstes Zeichen, dass sich etwas ändern muss, werten sie Kittelmanns Kündigung. Er habe wegen der verkrusteten Strukturen bei der Stiftung aufgegeben, so ihre Erklärung. Dass es außerdem Auseinandersetzungen um dessen häufigen Tätigkeiten als Gastkurator bei anderen Institutionen gab und die Beziehung zum Verein der Freunde der Nationalgalerie als wichtigster Förderer zerrüttet war, wollen sie nicht kommentieren.

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Die Lage sei gar nicht so schlecht, versichern sie unisono, als machten sie sich gegenseitig Mut. Gerade jetzt sei die Zeit für Visionen. Das von Herzog de Meuron geplante Museum des 20. Jahrhunderts gleich neben dem Mies van der Rohe-Bau mache eine Neujustierung der Sammlungen erforderlich: Das 19. Jahrhundert gehört danach auf die Museumsinsel, das 20. Jahrhundert ans Kulturforum und das 21. Jahrhundert in den Hamburger Bahnhof.

Ganz überraschend kommt diese Sortierung nicht, gilt die Aufteilung doch im Grunde schon, seit der Hamburger Bahnhof vor 24 Jahren als Museum der Gegenwart eröffnete. Aber mit Beuys, Warhol und Lichtenstein blieb es eher ein Haus der jüngeren Vergangenheit. Sobald die Schwergewichte der 1960er und 1970er Jahre in den Neubau am Kulturforum ziehen, komme der Hamburger Bahnhof zu seiner eigentlichen Bestimmung kommen, ist die dortige Leiterin Gabriele Knapstein überzeugt.

Immer wieder gehen Ausstellungen an Berlin vorüber

Gute Arbeit aber sei schon vorher geleistet worden, gibt sie sich kämpferisch – allen Kritiken des Gutachtens zum Trotz. Die Ausstellung von Katharina Grosse – als Künstlerin im Ausland gefeiert und nun in ihrer Heimatstadt endlich gewürdigt – sei doch der beste Beweis, so Knapstein.

Solche Highlights braucht die Stadt, will sie als Kunststandort ernstgenommen werden, warnt sie. Bis vor wenigen Jahren hat sich Berlin noch selbst als Anziehungspunkt der Kreativen beworben, jetzt läuft die Stadt Gefahr, durch deren Verdrängung ihren Ruf zu verspielen.

Bei Gabriele Knapstein liegen am ehesten die Nerven blank, das ist zu spüren. „Es kann doch nicht sein, dass wir als eines der bestbesuchten Museen nicht unterstützt werden“, fühlt sie sich angesichts des drohenden Abrisses der Rieck-Hallen im Stich gelassen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat sich zwar dazu bekannt, den Hamburger Bahnhof durch Ankauf für die Kunst zu retten.

Sie haben noch Hoffnung für die Rieck-Hallen

Wie bei den Rieck-Hallen besteht auch hier die Gefahr, dass die Immobiliengesellschaft CA Immo den Vertrag kündigen könnte. Aber das Museum für Gegenwart braucht mehr als das Bahnhofsgebäude. Ein neuer Anbau als Ersatz für die abgerissenen Rieck-Hallen reicht Knapstein nicht. In letzter Minute war dafür ein Entwurf hervorgezaubert worden, um Friedrich Christian Flick doch noch zu halten. Er blieb bei seinem Nein.

Knapstein macht sich trotzdem Hoffnung, die Rieck-Hallen retten zu können – „bis die Bagger kommen“. Durch ihren rauen Industriecharme sind sie für die Gegenwartskunst und Neuen Medien besser geeignet als die benachbarte historische Halle. Die Sammlungsleiterin setzt auf Gespräche im Herbst mit der CA Immo, denn sie braucht den Platz dringend für neue in Aussicht gestellte Schenkungen und Leihgaben anderer Sammler.

Der Kampf um die Friedrichswerderschen Kirche führte zum Sieg

Solche Dramen um Standorte sind in der Nationalgalerie nicht neu, es gab sie bis vor kurzem auch bei der Sammlung des 19. Jahrhunderts. Es lohnt sich zu kämpfen, macht Ralph Gleis der Kollegin Mut. Mit der Friedrichswerderschen Kirche, einem Außenposten der Alten Nationalgalerie für Skulptur des 19. Jahrhunderts, hatte er noch einmal Glück gehabt.

Für den Schinkel-Bau schienen alle Messen gesungen zu sein, als die rundum entstandenen Luxus-Neubauten das Gemäuer gefährdeten und die Skulpturen ausziehen mussten. Die Sanierung gelang, die Nationalgalerie konnte bleiben. Ende Oktober wird die Friedrichswerdersche Kirche wieder der Öffentlichkeit übergeben.

Eine simple Nachbesetzung von Kittelmann reicht nicht

Es wird Udo Kittelmanns letzte Amtshandlung sein. Die beiden Tage der offenen Tür im Januar mit 13 500 Besuchern haben bewiesen, so Gleis, wie wichtig das Haus dem Publikum ist, insbesondere den Berlinern.

„Wir brauchen eine Verlässlichkeit in der Planung“, mahnt Joachim Jäger an. Er gehört zu den Sprechern jener 19 aufmüpfigen Direktoren, die in einem offenen Brief verlangten, dass sie an den Reformprozessen der Preußenstiftung beteiligt werden – aus Sorge, es könnten wieder Entscheidungen über die Museen hinweg getroffen werden. Für die Nationalgalerie drängt die Zeit noch mehr, betonen die drei Sammlungschefs.

Sie möchten dort schneller neue Strukturen, einen kaufmännischen Leiter installieren, der auch für Gebäudefragen zuständig ist – „damit nicht wieder solch ein Tiefschlag passiert wie bei den Rieck-Hallen“, so Jäger. „Eine simple Nachbesetzung der Direktion, ohne weitere Änderungen greift nicht.“

Die drei Sammlungsleiter fühlen sich an ihrer Grenze

Mit seinen beiden Kollegen fordert er mehr Handlungsfähigkeit für die Nationalgalerie, eigene Etats, als Motivierung die Möglichkeit, über eingenommene Gelder aus Ticketverkauf, Vermietung, Bookshop selber verfügen zu können.

Wie bei den Theater soll es eine Funktionsaufteilung zwischen künstlerischem und geschäftsführendem Direktor geben. Als Kunsthistoriker könnten sie nicht beides leisten, sagt Jäger – schon gar nicht an der Nationalgalerie mit ihren sechs Häusern, zu denen als weitere Adresse das künftige Museum des 20. Jahrhunderts kommt.

2021 soll der Aushub beginnen, der Bauzaun der Nationalgalerie braucht dann nur wenige Meter weiter die Potsdamer Straße runter zu ziehen. „Wir sind an unseren Grenzen, was Größe und Anspruch betrifft“, gesteht der kommissarische Nationalgalerie-Chef ein.

Von der an den Museen geäußerten Kritik im Gutachten des Wissenschaftsrats, das mangelnden internationalen Austausch attestiert, fühlen sie sich deshalb nur bedingt betroffen. Sie würden schließlich gerne, wenn sie könnten.

Die unklaren Zuständigkeiten bei Vertragsverhandlungen brächten die Gespräche über Ausstellungen immer wieder zum Erliegen. Frustriert zählt Gabriele Knapstein jüngste Retrospektiven auf, für die der Hamburger Bahnhof zwar Leihgaben beisteuerte, als Station aber nicht beteiligt war: Robert Rauschenberg, Nam June Paik und Anni Albers tourten nach London, New York, Amsterdam und Düsseldorf, nur nicht nach Berlin.

In Zukunft soll stärker aus den eigenen Sammlung geschöpft werden

Die Drei von der Nationalgalerie verfolgen deshalb eine andere Strategie, die nicht zwingend aus der Not geboren ist – im Gegenteil. Sie wollen künftig noch mehr aus den eigenen Beständen schöpfen und ihre Sammlungen zu aktuellen Themen befragen. Beispielhaft dafür waren im letzten Jahr bereits die Künstlerinnen-Ausstellung der Alten Nationalgalerie zum Thema Gendergerechtigkeit, die Nolde-Schau zu Verwicklungen des Malers im Nationalsozialismus und „Hello World“ im Hamburger Bahnhof.

Leihgaben gibt es weiterhin, nur setzt hier mittlerweile das Gebot der Nachhaltigkeit, das erwachte Klimabewusstsein neue Grenzen. Die Beuys-Retrospektive zum 100. Geburtstag des Künstlers 2021 wird deshalb aus eigenem Bestand gestemmt, Kuratoren aus Südostasien werden dazu eingeladen, sich ihm unter dem Titel „Decolonizing Eurasia“ zu nähern.

Jäger lässt sich offensichtlich nicht entmutigen. Seine Spielstätte, der Mies van der Rohe-Bau, steht schließlich nach mehrjähriger Sanierung kurz vor der Wiedereröffnung. Im Winter soll Schlüsselübergabe sein, Anne Teresa De Keersmaeker wird eine Performance aufführen.

Dann ziehen die Werke wieder ein, bis das Haus im Juli 2021 mit der Alexander Calder-Schau „Minimal, maximal“ in der gläsernen Halle endgültig eröffnet.

Der Ausstellungstitel könnte zum Motto für die Nationalgalerie in den nächsten Jahren werden: kleinste Mittel, größte Effekte. Gabriele Knapstein, Joachim Jäger und Ralph Gleis sind fest entschlossen, die Herausforderung anzunehmen.

Sie würden als Triumvirat auch weiterhin gerne die Führung behalten, ohne Direktor darüber, das ist zu spüren. Die aktuelle Krise bei den Staatlichen Museen, das Vakuum nach Kittelmanns Abgang scheint sie umso mehr zu motivieren, ihre Häuser voranzubringen. „Ready to rumble“, sagt Gleis beim Abschied.

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