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Schlichte Optik, bester Klang. Um die Akustik der Halle hat sich der weltweit geschätzte Spezialist Yasuhisa Toyota gekümmert.

© Tobias Hase

Ein Vorbild für Berlin?: Die neue Isarphilharmonie setzt auf schlichten Industriecharme

Eigentlich war der günstige Bau in München nur als Übergangslösung für ein teureres Projekt gedacht. Doch das Konzerthaus könnte Schule machen.

Bei der Vorbesichtigung rieben sich die Münchner verwundert die Augen: ein Konzertsaal für schlappe 40 Millionen Euro – das haben sie in der hoffärtigen Isarmetropole für undenkbar gehalten! Der Saalbau, der da links der Isar im Großmarktquartier entstand, präsentiert sich allerdings nicht als strahlender Kulturtempel, sondern im Industriebaucharme, ohne Pomp und Glamour. Ein wenige erinnert mit seiner Alublechfassade an das benachbarte Heizkraftwerk Süd.

Doch man muss wissen, dass die „Isarphilharmonie“, wie sie die Bürger tauften, nur als Ausweichquartier gebaut wurde. Für ein Interim von fünf Jahren, das nach neuestem Stand dann wohl doch mindestens zehn Jahre dauern wird. Die in die Jahre gekommene Philharmonie Gasteig hat dringenden Sanierungsbedarf, und mit ihr das gesamte Kulturzentrum dort, das größte seiner Art in Europa, wie es heißt. Ein neues Konzerthaus mit drei Sälen im Werksviertel beim Ostbahnhof wurde gerade erst beschlossen und wird wohl nicht vor 2030 in Betrieb gehen.

36 Standorte wurden für das Interim überprüft. Eine Transformatorenlagerhalle samt Industriegelände neben der Isar unmittelbar am Mittleren Ring gab dann den Ausschlag. Neben der denkmalgeschützten Halle aus dem Jahr 1929, die als Foyer dient, entstanden der eigentliche Konzertsaalbau sowie weitere Gebäude für die Volkshochschule, die Hochschule für Musik und Theater und für Ateliers, Werkstätten, Probenräume und zwei kleinere Säle. Insgesamt 70 Millionen Euro kostet der „Gasteig HP8“ an der Hans-Preißinger-Straße 8.

München hat sich für seinen Kulturbereich Gewaltiges vorgenommen. Für die Sanierung des alten Gasteig in Haidhausen sind gedeckelte 450 Millionen angesetzt, für das neue Konzerthaus rechnet die „Süddeutsche Zeitung“ mit bis zu 700 Millionen. Der endgültige Finanzbedarf steht jedenfalls noch in den Sternen, wie meist bei Großprojekten.

Im Gegensatz zu Berlin oder Stuttgart darf man in München, was Großprojekte betrifft, optimistisch sein, immerhin ist es gerade gelungen, das neue Volkstheater für 128 Millionen kosten- und termingerecht fertigzustellen. Und auch die Isarphilharmonie ist im Budget geblieben, ein Verdienst nicht zuletzt der Architekten des Berliner Büros von Gerkan Marg und Partner gmp, die das können – wenn man sie lässt.

Ein Haus im Haus

Anfängliche Hoffnungen des Bauherrn, einen leichten, provisorischen Bau errichten zu können, erwiesen sich angesichts der hohen Ansprüche der Nutzer und der Anforderungen an Akustik, Gebäudesicherheit und Brandschutz als illusorisch. Ein solider Saalbau war unumgänglich. gmp hatten gerade erst Erfahrung mit dem hoch gelobten Konzertsaal im Dresdner Kulturpalast gesammelt.

Repräsentativ ist die eindrucksvolle Transformatorenhalle mit ihrer Beton- und Ziegelfassade, die den Industriebau vor 100 Jahren repräsentiert, und einer großartigen, durch ein Glasdach erhellten Atriumhalle. Das Erdgeschoss dient als Foyer für die Philharmonie und als Restaurant. In den drei Oberschossen mit umlaufenden Galerien sind die Stadtbibliothek, Veranstaltungsräume, die Kulturvermittlung und weitere Funktionen des Kulturzentrums untergebracht.

Der Weg vom Foyer in den neuen Veranstaltungssaal nebenan führt in eine Zwischenwelt: links die backsteinerne ehemalige Außenmauer des Altbaus, rechts die Wand des Konzertsaals aus Brettsperrholzkassetten. Und dazwischen die mächtigen Stahlkonstruktionen, die die Treppen, Wandelgänge und das Dachtragwerk in die Höhe stemmen. Alle Bauteile sind pur, unverkleidet, verraten aber doch die ordnende, gestaltende Hand des Architekten.

Erste Probekonzerte stellen alle zufrieden

Der Saalkörper, außen Fichte natur, innen tiefschwarz lasiert, ist ein Haus im Haus, ein hölzernes Instrument in einer Schutzhülle aus Stahl. Die Architekten sprechen von einer „Violine im Geigenkasten“. Er ist aus Holzmodulementen, also aus Fertigteilen, zusammengesetzt, eine kostengünstige und rasche Bauweise. Die dicken Holzwände haben die akustisch notwendige Schwere. Der japanische Starakustiker Yasuhisa Toyota, der auch an der Hamburger Elbphilharmonie und am Berliner Pierre Boulez Saal tätig war, hatte leichtes Spiel. Schlichte Holzlamellenwände zur Schallstreuung kleiden den in schwarz gehaltenen Saal aus. Für die Dämpfung sorgen die eigens entworfenen Sitze. Akustiksegel, veränderbare Reflektoren oder andere Hilfsmittel gibt es nicht. Erste Probekonzerte stellten alle Beteiligten zufrieden - aber das ist erwartbar und für eine endgültige Beurteilung ist es zu früh.

1956 Plätze sind nach dem traditionellen „Schuhkarton-Prinzip“ angeordnet. Ein Rang hinter der Bühne steht gegebenenfalls für den Chor zur Verfügung. Es gibt variable Hubpodeste und die Bühne lässt sich nach hinten großflächig öffnen, denn das Haus soll für Veranstaltungen verschiedenster Art genutzt werden können, vor allem im Hinblick auf die Nutzung nach dem Philharmonie-Interim.

Die kurze Planungs- und Bauzeit von knapp drei Jahren war möglich, weil ausgeklügelte modulare Bausysteme zum Einsatz kamen, weil eine extrem klare Grundrissstruktur wenig Sonderbauteile erforderte, weil bis auf Lasuren oder Anstriche keine Verkleidungen oder weitere Schichten auf den konstruktiven Teilen aufzubauen waren, weil industrielle Stahltreppen und Brüstungen aus Drahtseilnetzen (die die Sicht kaum behindern) zum Einsatz kamen.

Dennoch ist das Konzerthaus wegen der sorgfältigen Detaillierung und Verarbeitung kein ruppiger Industriebau geworden, erscheint die Ästhetik stilsicher und überzeugend. Schon diskutieren Vorbesucher, ob man Edelholzfurnier und Messingleuchter überhaupt braucht und ob die Ästhetik der Isarphilharmonie nicht den neuen Stil künftiger Kulturbauten prägen könnte, die dann endlich wieder bezahlbar, problemärmer und schneller zu bauen sein könnten. Am Freitag wird der Bau mit dem Eröffnungskonzert der Münchner Philharmoniker unter Leitung ihres Chefdirigenten Valery Gergiev eingeweiht.

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