
© Saber Gazi
Kurdisches Filmfestival in Berlin: Die Paranoia im Rückspiegel
Das Kurdische Filmfestival feiert zehnjähriges Jubiläum. Die Filme sind in Berliner Kinos aber auch im Stream zu sehen.
Stand:
Dass Bakhtiyar ein Fremder ist, merkt er schon, wenn er im Supermarkt einkaufen geht. Die Kassiererin, die ihn auf Kurdisch anspricht, bittet er, mit ihm Farsi zu reden.
Der Lehrer ist noch neu in der Kleinstadt in einer kurdischen Provinz des Irans, er wurde wiederholt ohne Begründung versetzt. Seine Frau Sevil (Sevil Shirgi) und sein schwerkranker Vater, der vor 30 Jahren politisch aktiv war, haben sich längst daran gewöhnt. Bakhtiyar (Bakhtiyar Panjeei) allerdings fürchtet, dass die Vorgeschichte des Vaters der wahre Grund für die Schikanen der Behörden ist.
In der Schule wird er angeschwärzt, weil er einen Jungen vom Unterricht ausschließt, am Himmel kreisen Helikopter. Die Paranoia ist in Nader Saeivars Regiedebüt „Namo“ („The Alien“), der auf dem diesjährigen Kurdischen Filmfestival läuft, fast zum Greifen.
Saeivar knüpft an eine Tradition des jüngeren iranischen Kinos an: Filme in Autos. Der Peugeot, in dem Bakhtiyar herumfährt – im Nebenjob als Taxifahrer, um seine Tochter von der Schule abzuholen oder den Vater zum Arzt zu bringen –, wird in „Namo“ fast zum eigenständigen Protagonisten. Es ist auch eine Konzession: Das Filmemachen ist im Iran nur unter erschwerten Bedingungen möglich, Außendrehs unterliegen strengen Auflagen.
Das Auto wird bei Saeivar selbst zur Bedrohung: Seit auf der Straße vor dem Kiosk der Nachbarschaft tagein tagaus ein Wagen mit zwei Männern steht, greift die Paranoia auch auf die anderen Anwohner über. Wen überwachen sie? Der Sohn des Kioskbesitzers attackiert die Männer, der geistige Führer der Moschee wird zu Rate gezogen.
„Namo“ ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Qualität des kurdischen Kinos
Sind die Männer wegen Bakhtiyar hier, über dessen Vorgeschichte Gerüchte kursieren? Ein Verdacht steht im Raum, der sich ohne Anlass konkretisiert. Bakhtiyar steht zunehmend mit dem Rücken zur Wand, auch die Beziehung zu seiner Frau leidet unter den Verdächtigungen.
„Namo“ ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Qualität nicht nur des unabhängigen iranischen, sondern auch des kurdischen Kinos. Saeivar, der zusammen mit Jafar Panahi das Drehbuch geschrieben hat, entfaltet ein apathisches Bild des Iran, in dem die Religion zunehmend den gesellschaftlichen Zusammenhalt zur Erosion bringt.
[8. bis 14. Oktober in den Kinos Babylon Mitte und Moviemento]
Seine grauen Bilder sind unterlegt mit einer Mischung aus Propagandanachrichten und kurdischen Popsongs, zwischen denen Bakhtiyars Tochter im Autoradio switcht.
Das Kurdische Filmfestival feiert in diesem Jahr zehnjähriges Jubiläum, wegen der Corona-Pandemie sind die Filme erstmals auch online zu sehen. Daphne Charizanis „Im Feuer“ über eine junge Bundeswehrsoldatin mit kurdisch-irakischen Wurzeln, die sich in den Irak versetzen lässt, um ihre Schwestern zu finden, eröffnet am Donnerstag das Programm.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: