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Erbaut wurde die Kunsthalle für die "Biennale der Ostseeländer". Auf dem Bild besucht ein junges Paar die 8. Ausgabe der Biennale von 1979.

© Jürgen Sindermann, Kunsthalle Rostock

50 Jahre Kunsthalle Rostock: Die rote Fahne weht nicht mehr

Die Kunsthalle Rostock war der einzige Museumsneubau der DDR. Jetzt wird sie 50 – und präsentiert dazu zwei Ausstellungen. In „Ein halbes Jahrhundert für die Kunst“ befasst sie sich mit ihrer eigenen Geschichte, in „Utopie, Inspiration, Politikum“ mit dem Palast der Republik in Berlin.

Zum 50. Geburtstag wirft sich die Kunsthalle Rostock ein Gewand über, das zu denken gibt. Die Künstlerin Bettina Pousttchi überformt die Außenfassade des 1969 eröffneten Museumskubus mit bedruckten Planen. Und schwupps steht er wieder da, der Palast der Republik. Jedenfalls fast. Verschwinden und Standhalten? Die Kunsthalle blickt mit einer Doppelausstellung zurück in die Zukunft.

Der einzige Museumsneubau, den die DDR sich leistete, steht weit außerhalb der denkmalgerecht herausgeputzten Rostocker Altstadt. Dort, wo sich längst Einfamilienhäuser reihen, spiegelt sich die Kunsthalle im Schwanenteich. Ein schmuckes Stück DDR-Moderne: unten regionaltypischer roter Backstein, aus dem schon die Hansekaufleute ihre Häuser und Kirchen mauerten, oben geometrische Kunststeinreliefplatten in Segeltuchweiß.

Die verglaste Eingangsfassade lässt den Blick gleich bis in den zentralen Innenhof gleiten. Davor räkeln sich die Aktskulpturen von Jo Jastram, Fritz Cremer und Eric Poulsen wie eh und je. Aber vergangenen Herbst hat die Kunsthalle Zuwachs durch einen coolen Erweiterungsbau bekommen, genannt „Schaudepot“. Dessen transparente Vorhängefassade schmückt ein luftiges Printmuster, das die Rastergeometrien des Altbaus respektvoll aufnimmt. Der Fünf-Millionen-Neubau bietet nun modernste Klimabedingungen für den wertvollen Sammlungsbestand und lässt sich auch für Sonderausstellungen nutzen. Das wird die Kunsthalle brauchen. Denn kommendes Jahr steht die überfällige Generalsanierung des denkmalgeschützten Haupthauses an. Bis dahin zeigt sich die originale Bausubstanz noch inklusive Patina: vom Stäbchenholzparkett und den Industrieglasdecken im Obergeschoss bis zu den himmelblauen WC-Kacheln. Eine Zeitreise.

Mehr Internationalität durch "Ostseewochen"

Begonnen hatte alles mit politischem Kalkül. Die junge DDR, der es außenpolitisch an staatsrechtlicher Anerkennung mangelte, rief in den 1950er Jahren die „Ostseewochen“ ins Leben, um sich im Reigen der nichtsozialistischen Anrainerstaaten öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen: mit Volksfesten, Leistungsschauen, Kongressen und selbstverständlich auch mit Kunst. Daraus entstand die „Biennale der Ostseeländer“, ein Schaufenster internationaler Gegenwartkunst in der DDR. Ursprünglich allein als Domizil für diese Biennale wurde der Kunsthallenkubus erbaut.

2018 wurde der Kunsthalle ein gläserner Neubau zur Seite gestellt.
2018 wurde der Kunsthalle ein gläserner Neubau zur Seite gestellt.

© Jürgen Sindermann, Kunsthalle Rostock

Gründungsdirektor Horst Zimmermann, im DDR-Kunstbetrieb und auch mit der Stasi wohlvernetzt, begann aber schon 1965 eine ständige Sammlung aufzubauen. Heute zählt der Bestand 520 Gemälde, 200 Skulpturen und 6000 Grafiken. In der Jubiläumsschau „Ein halbes Jahrhundert für die Kunst“ gruppieren sich ausgewählte Werke in Dekadenschritten, nebst Besucherstatistiken, Fotos, Presseberichten und Direktorenzitaten. Die auf DDR-Kunst konzentrierte Sammlung wurzelt in den Zwanziger Jahren und in der nordostdeutschen Region. Zu den Publikumslieblingen gehört Theodor Rosenhauers kleines, schrundig gemaltes Stillleben „Brot und Wein“ von 1967. Basiskost.

Dann kam die Wende. Die entlassene Direktorin wurde durch eine neue Chefin ersetzt, die aus dem Westen anreiste. Was nun an experimentellen Kunstformen, Installationen und abstrakten Positionen in die Kunsthalle einzog, vergrätzte das Rostocker Publikum. Christo und Jean-Claude gastierten in Rostock, Nagelkünstler Günther Uecker und beinahe auch Julian Schnabel. Zum Eklat wurde die vorletzte Ostsee-Biennale 1992, als Raffael Rheinsberg mit einer spröden Container-Installation die Gemüter erhitzte. Derweil schrumpfte der Kunsthallen-Etat ebenso rapide wie die Besucherschar, die einst jährlich 100 000 zählte. Beinahe wäre das Museum verschwunden. Warum nicht ein Autohaus daraus machen?

Die Sammlung war die Rettung

Was die Kunsthalle rettete, war die substanzielle Sammlung. Allein als Ausstellungshaus hätte sie nicht überlebt. Seit einem Jahrzehnt führt der Verein „Pro Kunsthalle“ unter Direktor Uwe Neumann Regie. Man versucht einen Spagat. Die Osttradition schreiben Ausstellungen zu Willi Sitte, Fritz Cremer oder Ulrich Hachulla fort. Auf ein jüngeres Publikum zielen Cross-Over-Projekte wie unlängst eine Kooperation mit der Rostocker Uni, eine Schau zwischen Sciencelab und Kunstinstallation.

Die eigentlich für klassische Skulpturen und Gemälde optimierte Architektur der Kunsthalle eignet sich mit ihren weiten, offenen Räumen für Vieles: Ein Haus mit menschlichem Maß, das seine Besucher nicht überfordert, sondern Raum lässt zum Nachdenken.

Der Palast der Republik dagegen ist verschwunden. Nur noch als Nachhall und in Bildern lässt sich davon erzählen. Unter dem Titel „Utopie Inspiration Politikum“ will Kuratorin Elke Neumann die „vielfältigen Facetten“ des umstrittenen Bauwerks ausloten, das zugleich Regierungsgebäude und Freizeitort war. Originalkunst und Relikte aus dem Palast sind ebenso zu sehen wie künstlerische Arbeiten, die sich kritisch mit diesem architektonischen Symbol der Macht befassen.

Vier der gewaltigen Gemälde aus der Palastgalerie sind angereist. Bernhard Heisig lässt noch einmal seinen nackten Ikarus übers blitzblaue Meer fliegen. Willi Sitte hält eisern „Die rote Fahne“ hoch. Sein Bild verkeilt sich zwischen Leidenspathos und Kampfrhetorik, trotz Picassostilzitaten stets linientreu. Werner Tübke dagegen gibt mit idealschönen Aktfiguren den Michelangelo-Widergänger. Verständlich und volksnah, wie offiziell gefordert, war solch verrätselte Kunst nicht. Heute gehören diese modernen Historienbilder der Bundesrepublik, ebenso wie die vielen Landschaftsgemälde vom Dresdenpanorama bis zur Ostseewerft, die in den Arbeitsräumen der Volksvertreter hingen.

Der Palast der Republik prägte 1989 noch die Mitte von Berlin.
Der Palast der Republik prägte 1989 noch die Mitte von Berlin.

© Harald Hauswald, OSTKREUZ - Agentur der Fotografe

Aber der 1973 bis 1976 von Heinz Graffunder und anderen errichtete Palast war eben nicht nur Arbeitsort des Machtapparats und Sitz der Volkskammer, sondern auch Vergnügungsort und Partyzone, mit Spree-Bowling, Gastronomie und Veranstaltungsprogramm.

Teppichbodenreste leuchten mit ihrem Dreieckmuster in Senfgelb, Apfelgrün oder Orange. Künstler Fred Rubin lässt jetzt die Rundbar aus dem dritten Stock als drehbare Installation wiederauferstehen. Das Tanzbodenmuster der Disko im Jugendtreff rotiert. Das ramponierte Originalmobiliar aus dem Palast dagegen zeigt auch den achtlosen Umgang nach der Wende.

Wie sich der verglaste, golden spiegelnde Baukörper des Palasts der Republik in die Stadt und ins Leben der DDR-Bürger einfügte, reflektieren in der Ausstellung Gemälde und Fotografien. Gerd Danigel fotografierte 1980 in seinen Interieurs Momente der Langeweile und Melancholie, Thomas Sandberg heitere Besucherströme. Später kamen die Demonstrationen und künstlerischen Besetzungen der Wende und Nachwendezeit. Der amerikanische Fotograf Doug Hall zeigt 1992 die menschenleeren Säle.

Seit 1990 geschlossen, dann asbestsaniert und entkernt, diente der leere Rohbau zwischen 2003 und 2005 noch als Schauplatz für Hunderte von Veranstaltungen. 2006 beschloss der deutsche Bundestag den Abriss. Was bleibt? In der Realität ist der Palast der Republik ausradiert. Aber die Kunst erinnert.

69/19. Ein halbes Jahrhundert für die Kunst, bis 11.8.2019

Palast der Republik. Utopie, Inspiration, Politikum, 1.6.-13.10.2019, beide Kunsthalle Rostock.

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