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Ein Kampf ohne Hoffnung. Herero im Krieg gegen deutsche Soldaten in Südwestafrika, dem heutigen Namibia.

© imago/Leemage

Erinnerungskultur: Die Spuren des Kolonialismus in Berlin

Durch die Diskussion um die Straßenumbenennung in Wedding wird die blutige Geschichte des Kolonialismus aufgearbeitet. Endlich.

Deutsche Helden. Ein Großkaufmann, ein Afrikaforscher und ein Widerstandskämpfer. Finden Sie den Fehler? Genau, der Widerstandskämpfer passt nicht richtig in die Reihe. Er kam erst später dazu. An der Petersallee, die das Afrikanische Viertel im Berliner Wedding durchschneidet, verweisen Schildchen auf den Namenspatron: „Prof. Dr. Hans Peters, Stadtverordneter, 1896–1966.“ Ursprünglich war die Allee allerdings nach Carl Peters benannt, einem Glücksritter, der mit windigen Verträgen die erste deutsche Kolonie Deutsch-Ostafrika zusammenkaufte. Wegen seines mörderischen Umgangs mit der einheimischen Bevölkerung gab man ihm den Spitznamen „Hänge-Peters“. In Tansania heißt er bis heute „mkono wa damu“, blutige Hand.

An der Lüderitzstraße und dem Nachtigalplatz fehlen Erklärhinweise. Anders als im Fall Peters hatten sich so schnell keine Musterdemokraten oder Nobelpreisträger finden lassen, die Nachtigal oder Lüderitz hießen. Nun sollen ihre Namen allesamt verschwinden. Lüderitzstraße, Petersallee und Nachtigalplatz werden nach einem Beschluss des Bezirksamtes umbenannt. Etwas ungerecht ist das vielleicht gegenüber Gustav Nachtigal, der zwar der kaiserlichen Kolonialverwaltung angehörte, Afrikanern aber ohne den Hochmut eines Herrenmenschen begegnete.

Das Afrikanische Viertel ist das größte Flächendenkmal, das an die deutsche Kolonialgeschichte erinnert. Zurück geht das Quartier auf Pläne des Hamburger Zoodirektors Carl Hagenbeck, der im heutigen Volkspark Rehberge nicht bloß eine „Arena für Tierdressuren mannigfacher Art“ errichten wollte, sondern auch einen „besonderen Raum“ für jährlich wechselnde „Völkerausstellungen“. Wie in einem Menschenzoo sollten dort „Eingeborene“ präsentiert werden. Der Erste Weltkrieg kam dazwischen. Vergeben waren allerdings schon so klangvolle Namen wie Dualastraße, Kongostraße oder Sambesistraße, die bis heute als Reminiszenzen an einst von Deutschland annektierte Gebiete fungieren.

Das Afrikanische Viertel wird wirklich afrikanisch

Seit einiger Zeit ist das Afrikanische Viertel dabei, wirklich afrikanisch zu werden. Seit den späten neunziger Jahren leben immer mehr afrikanische Staatsbürger dort, vor allem aus Ghana, Kamerun und Nigeria. Etwa 2500 Afrikaner sind inzwischen im Areal gemeldet. Die putzgrauen und backsteinroten Arbeiter-Siedlungsbauten erscheinen wie Kulissen aus den stolzen Tagen des Roten Weddings. Die alte Kampflust ist noch da. „Hier gibt es ein paar Idioten, die wollen die Straßennamen ändern“, schimpft eine alte Frau am Nachtigalplatz. „Sollense doch bei sich machen.“

Siebzig Jahre lang ist kaum über die einstigen deutschen Kolonien gesprochen worden. Aber jetzt hat eine Diskussion begonnen, die so schnell nicht wieder aufhören wird. Das liegt unter anderem an den immer drängenderen Forderungen an die Bundesregierung, den Völkermord an den Herero und Nama als Genozid anzuerkennen. Bei der Niederschlagung von Aufständen in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika waren zwischen 1904 und 1908 etwa 70 000 Menschen ums Leben gekommen.

Das wiedererwachte Interesse an der Kolonialzeit hat aber auch mit dem Humboldt Forum zu tun, das ab 2019 im wiederaufgebauten Berliner Stadtschloss Schätze aus den außereuropäischen Sammlungen präsentieren will. Allerdings wehren sich afrikanische Aktivisten wie die Organisation AfricAvenir dagegen, dass Exponate „die zu einem nicht unwesentlichen Teil geraubt wurden“, hinter „einer preußischen Fassade“ gezeigt werden sollen. Das Humboldt Forum reagiert auf die Kritik mit einer Intensivierung seiner Provenienz-Forschung.

Grausamkeiten zum Frühstück

Ein Kampf ohne Hoffnung. Herero im Krieg gegen deutsche Soldaten in Südwestafrika, dem heutigen Namibia.
Ein Kampf ohne Hoffnung. Herero im Krieg gegen deutsche Soldaten in Südwestafrika, dem heutigen Namibia.

© imago/Leemage

„Wir haben jetzt den Rand der Kalahari-Wüste besetzt und lassen die Hottentotten nicht mehr heraus“, schreibt ein deutscher Soldat 1904 an seine Eltern. „Die Regenzeit ist vorbei, und das in Menge vorhandene Wasser verdunstet wieder rasch. Entweder kommen sie heraus und ergeben sich – oder verhungern und verdursten.“ Zu sehen ist der Brief in der Ausstellung „Forschungswerkstatt: Kolonialgeschichte in Tempelhof und Schöneberg“ im Schöneberg Museum.

Erstaunlicherweise wurde das Schreiben 1904 auch im „Schöneberger Tageblatt“ gedruckt. Als ob es sich bei den Schilderungen, wie man Männer, Frauen und Kinder durch Verdurstenlassen aus der Welt schaffen kann, um eine geeignete Frühstückslektüre handeln würde. Generalleutnant Lothar von Trotha unterwarf die Aufständischen mit äußerster Brutalität und zielte auf vollkommene Vernichtung: „Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen.“ Die Strafaktionen gelten als erster Genozid des 20. Jahrhunderts.

Anders als dem im Mai zu Ende gegangenen Großprojekt „Deutscher Kolonialismus“ im Deutschen Historischen Museum geht es der sehenswerten Schöneberger Ausstellung nicht um das Gesamtpanorama, sondern um die konkrete topografische Verankerung. Gleich am Eingang hängen zwei Übersichtspläne von Tempelhof und der Stadt Schöneberg aus den Jahren 1912 und 1909 neben einer zeitgenössischen Wandkarte der Deutschen Kolonien: Deutsch-Südwestafrika, Kamerun, Deutsch-Ostafrika, Togo, die „deutschen Besitzungen im Stillen Ocean“, Kiautschou in China sowie die Samoainseln. Die einheimische Bevölkerung, heißt es auf einer Tafel, wurde von den Deutschen als „minderwertig und unzivilisiert“ angesehen. Deshalb galt es als legitim, sie „zu enteignen, zur Arbeit zu zwingen und auszubeuten“. Das ist eine schlüssige Definition des Kolonialismus. Berlin war die Hauptstadt einer Wirtschaftsgroßmacht, die ab 1884 unter ihrem Kanzler Bismarck noch zögerlich, unter Kaiser Wilhelm II. dann umso energischer nach Kolonien griff. Dem Deutschen Reich, so die Mehrheitsmeinung, stand ein „Platz an der Sonne“ zu.

Das Bild vom "guten deutschen Kolonialherren" hat sich nicht geändert

In der Ausstellung führen Symbole auf den Karten in die Lokalgeschichte. Das Preußische Eisenbahnerregiment, dessen Ausbildungskasernen in Tempelhof standen, verschleißte beim Bau einer Bahnstrecke zwischen Lüderitzbucht und Keetmanshoop im heutigen Namibia ungezählte Menschenleben. Tausende Hereros wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet, zwei Drittel von ihnen starben. Die Gewächshäuser des Botanischen Gartens in Lichterfelde, Sitz der „Botanischen Zentralstelle für die deutschen Kolonien“, warben mit Kaffeebäumen, Ölpalmen und Dattelpalmen für den wirtschaftlichen Nutzen des Ausbeutungs- Prinzips.

Und der „Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft“ in der Potsdamer Straße versuchte, dem „Frauenmangel“ in den Kolonien abzuhelfen, indem er bis zum Ersten Weltkrieg 571 junge Frauen als Farmgehilfinnen, Dienstmädchen und Wäscherinnen dorthin vermittelte. Auch einen Giftschrank gibt es in der Ausstellung, in dessen Schubladen, versehen mit einem Giftsymbol, nicht länger akzeptable Begriffe wie Mohr, Wilde, Eingeborene, Farbige oder das N-Wort stecken. „Hottentotten“, heißt es dort, ist eine herabwürdigende Redensart für alle Völker im südlichen Afrika, in deren Sprache Klicklaute vorkommen.

Deutschland hat seine Kolonien im Versailler Friedensvertrag verloren. „Was sich indessen kaum änderte, war das Bild vom ,guten deutschen Kolonialherrn’ und seinem ,treuen Askari’“, schreiben die Historiker Horst Gründer und Hermann Hiery im exzellenten, gerade erschienenen Sammelband „Die Deutschen und ihre Kolonien“. Zu einem realistischeren Bild der deutschen Herrschaft über Teile der Welt beizutragen, dafür könnte die Berliner Debatte gut sein.

Forschungswerkstatt: Kolonialgeschichte in Tempelhof und Schöneberg, Schöneberg Museum, bis 3. Oktober, Sa–Do 14–18, Fr 9–14 Uhr. – Horst Gründer/Hermann Hiery (Hg.): Die Deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick. bebra Verlag, Berlin 2017. 352 S., 24 €.

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