
© Esra Rotthoff
„Differenzen innerhalb des künstlerischen Teams“: Maxim Gorki Theater nimmt die Nahost-Erzählung „Eine Nebensache“ vom Spielplan
Künstlerische Differenzen, die politisch sind: Adania Shiblis Palästina-Buch „Eine Nebensache“ kommt kurzfristig nicht auf die Bühne, zu den konkreten Gründen schweigen die Beteiligten. Ein bitterer Vorgang.

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Es kommt selten vor, dass ein Theater eine Produktion absagt, zumal aus künstlerischen Gründen. Das Berliner Maxim Gorki Theater hat nun einen solchen Fall. Die für diesen Donnerstag angekündigte Premiere „Eine Nebensache“ entfällt. Ersatzlos.
Dazu erklärt die Intendanz: „Aufgrund von Dynamiken und Differenzen innerhalb des Casts und des künstlerischen Teams der Produktion sieht sich der künstlerisch verantwortliche Hausregisseur Oliver Frljić – dem Adania Shibli ihren Roman zur Adaption am Gorki anvertraut hatte – nicht in der Lage, die Arbeit an der Produktion weiter fortzusetzen.“ Auf Nachfrage hieß es aus dem Theater: „Darüber hinaus können wir zu dieser Angelegenheit aus datenschutz- und persönlichkeitsrechtlichen Gründen sowie aus Loyalitätspflicht den an der Produktion beteiligten Kolleg*innen gegenüber leider keine weiteren Auskünfte geben.“
Was nur zu Spekulationen führt. Regisseur Oliver Frljić ist bekannt für radikale, zuweilen überzogene Positionen. Keine Nebensache. Sondern ein Hauptschauplatz, wenn es um Literatur und Freiheit und Diskussionskultur geht. Ensemblemitglieder des Maxim Gorki Theaters beklagen, die Produktion sei gecancelt worden. Von wem? Und warum?
Die Romanvorlage für das Stück, über das es solch schwere Zerwürfnisse gibt, hat eine längere und komplizierte Vorgeschichte. Adania Shibli, palästinensische Schriftstellerin mit israelischem Pass, die auch in Berlin zu Hause ist, setzt sich in dem Buch mit einem grausamen Verbrechen auseinander. Es ist eine wahre Begebenheit. Israelische Soldaten vergewaltigen und töten 1949 ein palästinensisches Mädchen. Der Roman aus dem Jahr 2017 erschien 2022 in deutscher Übersetzung. 2023 wurde der Titel mit dem Litprom-Preis ausgezeichnet.
Shibli konnte den Preis allerdings nicht wie geplant persönlich entgegennehmen. Die Frankfurter Buchmesse sagte nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober die Preisverleihung ab, was zu einer heftigen Debatte führte. Namhafte Kritiker verteidigten Shiblis Arbeit, internationale Schriftsteller und Nobelpreisträger wie Olga Tokarczuk und Abdulrazak Gurnah setzten sich für sie ein.
Das Gorki gilt im besten Sinn als sicherer Ort für schwierige und schmerzhafte Themen. Besonders diese Bühne steht für streitbares Theater, engagiertes Temperament und Offenheit. Gerade hier hat es über Jahre bemerkenswerte Aufführungen zum Israel-Palästina-Konflikt gegeben, von Yael Ronen und anderen Künstlerinnen und Künstlern. Eine bittere Sache: Wieder trifft es Adania Shibli. Und das Gorki Theater hat es nicht geschafft, die Konfliktfragen auf die Bühne zu bringen, wo sie hingehören.
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