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Große Gesten, melodramatische Gefühle. Josef Fennekers Plakat für den Film "Der Mörder Dimitri Karamasoff" von 1934.

© Deutsche Kinemathek / Stadt Bocholt

Digitalisierte Filmplakate von Josef Fenneker: Revolution im Zickzack

Wiederentdeckt: Die deutsche Kinemathek präsentiert die meisterhaften Filmplakate des Designpioniers Josef Fenneker auf einer Website.

Ihre Lippen: blutrot geschminkt. Sein Griff: eisern. Der Tod, ein Skelett mit leicht eiförmigem Schädel, tritt aus dem Schwarz der Nacht hervor und legt seinen Arm um das Mädchen mit dem Bubikopf. Er wird es mit sich nehmen, hinab in die Unterwelt. „Du sollst nicht töten!“ heißt der Film von Conrad Wiene, er handelt vom Mord an einer Prostituierten. Der „Eisenbahn-Marder“, Teil einer Filmreihe um den Gentleman-Detektiv Stuart Webb aus dem Jahr 1918, ist hingegen ein eleganter Herr in Frack und Zylinder. S-förmig beugt sich sein Körper über ein Äffchen, mit dem er zusammenzuarbeiten scheint. Das Äffchen hält eine Zigarette in der Hand. „Pest in Florenz“: eine Adelsdame, von Dienern in einer Sänfte durch die Straßen balanciert, begegnet einem Totenzug. Angeführt wird die Parade zum Friedhof vom Bischof, der einem Gespenst gleicht.

„Die Pest in Florenz“, 1919 nach einem Drehbuch von Fritz Lang von Otto Rippert inszeniert, hat sich erhalten. „Du sollst nicht töten!“ und der „Eisenbahn-Marder“ gelten als verschollen, ein Schicksal, das sie mit fast neunzig Prozent aller Stummfilme teilen. Übrig geblieben sind aber die Plakate, die der Maler, Grafiker und Bühnenbildner Josef Fenneker gestaltete. In expressionistischem Zickzack, geschwungenen Bögen, in Schwarz-Weiß oder gedämpften Pastellfarben bringen sie Dramen auf den Punkt: Wollust und Tod, die Dreistigkeit eines Diebes, dekadente Szenen aus der Renaissance.

Fenneker hat den deutschen Film mit seinen Arbeiten von 1918 bis 1951 begleitet, die meisterhaftesten seiner Plakate entstanden in der Weimarer Republik für Berliner Uraufführungskinos. Ausgestellt werden sie nur selten, dafür sind die Farblithografien zu fragil. So ist es ein kleines Wunder, dass nun 372 Plakate und Entwürfe besichtigt werden können, in einer bemerkenswerten, deutschlandweit einzigartigen Onlinepräsentation der „Deutsche Kinemathek / Museum für Film und Fernsehen“. Sie führt in eine versunkene Welt großer Gesten und melodramatischer Gefühle, zu Stars wie Fritz Kortner, der als menjoubärtiger „Mörder Dimitri Karamasoff“ eine Blondine an sich drückt, oder Lya Mara, die sich für „Die Ehe der Fürstin Demidoff“ blasiert von ihrem uniformierten Gatten abwendet.

Fenneker entwarf Plakate für das Marmorhaus am Ku'damm

Als „großen Stilisten, der spielerisch mit vielen aktuellen und kunsthistorischen Einflüssen umging“, lobt der Filmhistoriker Matthias Struch, der das Projekt für die Kinemathek geleitet hat, Fenneker. Der Sohn eines Kolonialwarenhändlers aus dem westfälischen Bocholt hatte die Klasse für grafische Kunst und Buchkunst am Berliner Kunstgewerbemuseum absolviert, zuletzt als Meisterschüler des Porträtmalers Emil Orlik. Seine Plakate entwarf Fenneker für Berliner Filmproduktionsfirmen, vor allem aber für das am Kurfürstendamm gelegene Uraufführungskino Marmorhaus, das dem jüdischen Kinounternehmer Siegbert Goldschmidt gehörte. Für einige Filme schuf er bis zu vier eigenständige Bilder, es gab Wochen, in denen Plakate von ihm für drei verschiedene Filme an den Litfaßsäulen hingen.

Dieses Plakat gestaltete Josef Fenneker für den Film "Baccarat" von 1920.
Dieses Plakat gestaltete Josef Fenneker für den Film "Baccarat" von 1920.

© Deutsche Kinemathek / Stadt Bocholt

Eines seiner letzten Motive lieferte Josef Fenneker 1948 für den Defa-Spielfilm „Affaire Blum“ über einen Justizskandal der zwanziger Jahre, bei dem ein jüdischer Fabrikant als Mörder angeklagt worden war. Das Bild zeigt einen aquarellierten Herrn im Halbprofil, hinter den flammend roten Gitterstäben einer Anklagebank. Fenneker schreckte aber auch nicht davor zurück, 1933 das Plakat zum antisemitischen Propagandafilm „Hans Westmar – Einer von vielen“ zu gestalten. Matthias Struch spricht von „typischen Ambivalenzen deutscher Künstlerbiografien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“.

Ein Jahr haben Struch und das Team an der Plakat-Präsentation für die Website der Kinemathek gearbeitet, finanziell gefördert wurde das Projekt von der Berliner Kulturverwaltung. Jedes Bild in der Galerie lässt sich einzeln anklicken, Zusatzinformationen nennen neben den Daten zu Format, Technik und Material des Plakats auch die Namen der Regisseure und Darsteller und zur Freigabe durch die zeitgenössische Zensurstelle. Sogar die Adressen der Druckereien werden genannt: Lindemann & Lüdecke etwa in der Oranienstraße 183 oder Hollerbaum & Schmidt in der Reinickendorfer Straße 98.

Es war keine leichte Sache, Entwürfe durchzusetzen

„Es gilt, die Idee des Films, seine Art und Atmosphäre so stark zu empfinden, damit es möglich wird, diese in einen Plakatentwurf zu übersetzen“, so hat Fenneker seine Arbeit beschrieben. Kein Foto könne die „übersteigerte Dramatik“ des Kinos wiedergeben, das vermöge nur die gezeichnete und gemalte Illustration. Allerdings sei es ein „Lotteriespiel“, einen Entwurf durchzusetzen, denn die Filmgesellschaften gerieten regelmäßig in Panik, wenn „künstlerische Propaganda“ gefordert werde.

Ab Mitte der dreißiger Jahre arbeitete Fenneker vorwiegend als Ausstatter am Theater, zunächst an der Duisburger Oper, ab 1938 am Berliner Schillertheater, zuletzt an den städtischen Bühnen in Frankfurt am Main, wo er 1956 starb. Neben Kino und Oper gehörte seine Leidenschaft auch Tingeltangel, Varieté und Kabarett. Auf Plakaten, mit denen er 1920 für den Luna-Park am Berliner Halensee warb, bewegt sich ein Liebespaar flanierend, rauchend, tanzend durch die Nacht. Im Hintergrund erleuchten Scheinwerferlichter den Himmel. Hereinspaziert!

www.deutsche-kinemathek.de/archive/sammlung-josef-fenneker/galerie

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