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1800 an einem Tag. „Eldorado“ zeigt auch die Logistik der Flüchtlingsversorgung.

© Majestic/zero one film / Peter Indergand

Doku „Eldorado“ auf der Berlinale: Über die Verwaltung von Flucht und Vertreibung

Außer Konkurrenz im Wettbewerb: Markus Imhoof gelingt mit „Eldorado“ eine tiefgehende, vielschichtige Doku über Europas Geflüchtete.

Wenn wir Spaghetti essen, unterstützen wir eigentlich die Versklavung der Flüchtlinge, sagt Markus Imhoof. Der Schweizer Regisseur stellt seinen Dokumentarfilm „Eldorado“ vor, der Satz klingt supermoralisch, aber wer den Film gesehen hat, begreift, Imhoof hat Recht.  Es sind illegale Migranten, die in Italien versteckt in den Feldern leben und von der Mafia auf den Tomatenplantagen ausgebeutet werden. Für 30 Euro am Tag, von denen sie die Hälfte abgeben müssen. Oft werden sie gar nicht bezahlt.

Imhoof dreht heimlich in ihrer Elendsbehausung, spricht mit dem Gewerkschafter Raffaele Falcone, der sich um die Illegalen kümmert. 30 000 solcher Schwarzarbeiter gibt es in der italienischen Landwirtschaft, sagt Falcone auf der Pressekonferenz in Berlin, offiziell existieren sie nicht. Der Film macht sie sichtbar.

Die Illegalen sorgen für Profit, für den Wohlstand Europas, Imhoof nennt es „wirtschaftliche Kolonialisierung“. Der Bauer aus dem Senegal, der sich freiwillig nach Hause zurückschicken lässt und sich von der Starthilfe (3000 Schweizer Franken) zwei Milchkühe leiste, hat nämlich keine Chance – weil Brüssel den Milchexport aus Europa nach Afrika subventioniert. Unsichtbar sind gewöhnlich auch die afrikanischen Frauen, die auf ihrer Flucht in Libyen im Gefängnis landeten und dort zur Prostitution gezwungen wurde. Rahel aus Eritrea zum Beispiel, sie darf zeitweilig als Pflegehilfe arbeiten, die Alten mögen sie gern. Bis die Schweiz ihren Asylantrag ablehnt. Weil als Asylgrund nur gilt, was ihr in der Heimat angetan wurde, nicht auf der Flucht, wie ein Berater in der UN-Migrationsagentur IOM erläutert.

Imhof begann lange vor „Wir schaffen das“ an dem Film zu arbeiten

Noch ein Dokumentarfilm über Flüchtlinge? Nach „Seefeuer – Fuocoammare“, dem Berlinale-Gewinner 2016, und Ai Weiweis „Human Flow“ 2017? Noch einmal Boat People, erschöpfte Gestalten, traumatisierte Menschen? Vielleicht liegt es daran, dass der Schweizer Dokumentarfilmer („Das Boot ist voll“, „More Than Honey“) mit der Arbeit an „Eldorado“ lange vor dem Spätsommer 2015 begann, vor Angela Merkels „Wir schaffen das“: Imhoofs Film gelingt jedenfalls, was die beiden anderen Dokus vermissen lassen.

Zum einen analysiert er Strukturen, legt die Verbindung zwischen Asylpolitik und Handelsströmen ebenso offen wie die Logistik der Flüchtlingsversorgung. Die Marinesoldaten auf dem „Mare Nostrum“- Kreuzer, die unter Deck zum Gottesdienst gehen und als „Männer des Meeres und des Krieges“ um geistigen Beistand bitten und kaum Schlaf bekommen. Die Verteilung der Rettungswesten. Der Kreuzer, der die Rettungsboote im Schiffsbauch aufnimmt, bis er die Menschen am Hafen ausspuckt. Die Lagerorganisation – die ganze provisorische Mechanik der Verwaltung von Flucht und Vertreibung. Nie war es so schwer, Drehgenehmigungen zu erhalten, erzählt der Regisseur. Europa will nicht, dass man sieht, was mit den Geflüchteten geschieht, will nicht, dass die unvermeidliche Überforderung ins Bild kommt. 1800 Gerettete hocken auf dem Kreuzer, da bleibt den Helfern nichts anderes übrig, als ihnen Nummern an die Kleidung zu tackern.

Zum anderen nimmt Imhoof sich dennoch die Zeit, einzelnen Migranten zuzuhören, Schlaglichter auf ihre individuellen Geschichten zu werfen. Er holt sie aus der Namenlosigkeit, der Menge heraus.

Das Private ist ungeheuer politisch

Drittens weitet „Eldorado“ die Perspektive ins Historische und erzählt parallel von Giovanna, dem italienischen Kriegskind, das Imhoofs Eltern aufnahmen. Bis ein Gesetz nach dem Krieg Giovannas Aufenthalt in der Schweiz untersagte. Sie starb in Mailand, unterernährt, mit 14 Jahren. Der Regisseur, heute 76, nimmt versuchsweise seinen Kinderblick wieder ein, auf das faszinierende fremde Mädchen, mit dem er in einen imaginären Dialog tritt. Das ist nicht frei von Sentimentalität, aber die Nahaufnahme bis ins Privat-Biografische hinein imprägniert „Eldorado“ gegen die populistisch entpersonalisierende und katastrophische Rede von der Flüchtlingswelle.

Das Private erweist sich zudem als ungeheuer politisch. Die Faschisten gestatteten den Juden den Transit, wenn die Schweiz im Gegenzug Kriegskinder aufpäppelte. Ein Menschenhandel. Imhoof erinnert sich, wie er für eine Schiffspassage aus Afrika 36,50 Euro bezahlte, mit Sitzplatzreservierung. Ein Flüchtling zahlt 1500 Dollar.

24.2., 9.30 Uhr (Zoo-Palast), 22.30 Uhr (International)

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